Mit Wut im Bauch

Ersun Yanal (r.) ist der Vater des Erfolgs bei Fenerbahce
© getty

Bei Fenerbahce ist seit dem 3. Juli 2011 nichts mehr normal: Der Klub wurde heimgesucht von der Verhaftung des Präsidenten und führender Vorstandsmitglieder, dem Ausschluss aus Europa und der Flucht vieler Stars - die unverwüstliche Fußball-Mannschaft eilt dennoch von Erfolg zu Erfolg.

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Abdullah Kigili wollte eigentlich kürzer treten. "Ich bin nicht mehr dabei, ich mache Platz", sagte er noch vor zwei Wochen und setzte dabei vor Vorfreude ein breites Lächeln auf. Raus aus dem Rampenlicht, etwas mehr Zeit für das eigene Geschäft, für die Kinder und die Enkelkinder.

Zwei Wochen später saß der gewichtige Mann dann doch wieder in der Ülker Sports Arena auf einem Stuhl und wartete auf das nächste Abenteuer. "Abdullah, sag' mal: Wie können wir den Fanartikel-Verkauf steigern", wollte Aziz Yildirim vom Begründer einer großen türkischen Kleidungskette wissen.

Dass in diesen Minuten die Präsidentschaftswahl in der schmucken Basketball-Halle lief, kümmerte Yildirim nicht sonderlich.

Warum auch?

Wenig später war klar, dass 75 Prozent aller anwesenden Klub-Delegierten dem seit 15 Jahren regierenden Yildirim ihre Stimme gaben. Eine deutlichere Mehrheit hatte er nie, obwohl es bei den Wahlen in den Jahren zuvor nie einen mächtigeren Herausforderer gegeben hatte als jetzt.

Fenerbahce im Fokus der Ermittlungen

Mehmet Ali Aydinlar, bis vor wenigen Jahren "Everbody's Darling" bei Fenerbahce, spendabler Sponsor und langjähriges Vorstandsmitglied, hatte sich als Gegenkandidat aufgestellt. Seine Mannschaft las sich wie die aktuellen Charts der reichsten Männer der Türkei.

Ganz nebenbei waren sie regierungsnah, was in der heutigen Türkei zum "guten" Ton gehört und im Wahlausgang später keine unerhebliche Rolle spielen sollte.

Dass der ebenfalls regierungsnahe Aydinlar am Sonntag eine zerschmetternde Niederlage erlitt, sieht dem Fenerbahce-Gebilde im Jahr 2013 ähnlich. Yildirim feierte sie als Triumph gegen die, die sich Fener unter den Nagel reißen wollten, wie er schon Tage vor der Wahl befand.

Denn Aydinlar ist seit dem 3. Juli 2011 nicht mehr Everbody's Darling bei Fenerbahce: Zu jener Zeit war er Präsident des türkischen Verbands und musste wenige Tage nach seiner Wahl den größten Skandal der türkischen Fußball-Geschichte moderieren. Die Polizei nahm fast 100 Personen aus der Fußballszene fest. Der Vorwurf: Spielmanipulationen im großen Stil.

Betroffen waren mehrere Klubs, doch Medien und Öffentlichkeit konzentrierten sich fast nur auf Fenerbahce, den Lieblingsklub von angeblich 25 Millionen Türken.

Unter den Festgenommenen waren Präsident Aziz Yildirim, die Vorstandsmitglieder Sekip Mosturoglu und Ilhan Eksioglu sowie viele weitere Funktionäre des Klubs.

"Ihr wisst, wer Fener erobern will"

Aydinlar bewegte sich auf dem schmalen Grat zwischen den Verbandsinteressen und seiner persönlichen Neigung zu Fenerbahce. Die Chance war da, den seit Jahren anhaltenden Gerüchten um unsaubere Geschäfte im türkischen Fußball ein Ende zu bereiten. Ein eindrücklicheres Exempel, als Fenerbahce den Prozess zu machen, konnte er gar nicht statuieren. Auf der anderen Seite wollte er dem Klub nicht schaden, dem er so gerne vorstehen wollte.

Bei Fenerbahce witterte man dagegen eine Verschwörung. Man sah sich als Opfer von Seilschaften, die den Klub aus den Fängen des mächtigen Aziz Yildirim befreien sollten.

In einem Manifest wandte sich Yildirim vor der Wahl noch einmal an die Klub-Mitglieder: "Ihr wisst genau, wer Fenerbahce erobern will. Ihr wisst genau, dass Ihr Anhänger des Klubs seid, der die Werte der Republik verkörpert und Ihr wisst genau, dass Aziz Yildirim sich niemandem ergeben wird, der an diese Werte nicht glaubt."

Die Flucht der Stars

Als das Wahlergebnis am Sonntag feststand, skandierten seine Anhänger minutenlang: "Wir sind die Soldaten Atatürks. Es lebe die Republik!" Ein Affront gegen den konservativen Aydinlar.

Ihn drängte die UEFA damals zu raschem Handeln und dieser sah sich genötigt, das vorschnelle Urteil abzugeben, Fenerbahce habe definitiv manipuliert. Der Klub wurde einen Tag vor der Auslosung aus der Champions League ausgeschlossen und der Wahnsinn nahm seinen Lauf.

Seitdem ist viel passiert: Fenerbahces Aktien an der Börse stürzten 2011 ins Bodenlose, Stammspieler wie Mamadou Niang, Diego Lugano oder Andre Santos verließen kurzerhand den Klub und man war quasi handlungsunfähig, da Yildirim noch Monate im Gefängnis blieb.

Die UEFA hat im Sommer Fenerbahce nun endgültig für zwei Jahre aus allen europäischen Wettbewerben ausgeschlossen, weil sie die Manipulation als erwiesen sah. Der internationale Sportgerichtshof CAS entsprach der Entscheidung der europäischen Fußball-Union.

Mannschaft beeindruckt

Auch die türkische Justiz hat Gefängnisstrafen ausgesprochen. Yildirim muss demnach sechs Jahre und drei Monate hinter Gitter: Ein Berufungsgericht soll bald endgültig eine Entscheidung fällen. Eine Wende ist kaum zu erwarten. Möglicherweise muss Fenerbahce bald sogar die Präsidentschaftswahl wiederholen, wenn Yildirim endgültig aus dem Verkehr gezogen wird.

Was sich aber seit dem 3. Juli 2011 nie verändert hat, ist die unter diesen Rahmenbedingungen schier unglaubliche Leistung der Fußball-Mannschaft.

Viele andere Klubs wären unter der Wucht des Drucks womöglich auseinandergefallen: Fenerbahce dagegen verwandelt seither die Wut im Bauch in eine Energie, mit der man zweimal Vizemeister wurde und in der Vorsaison erstmals ein europäisches Halbfinale erreichte.

Yanal als Vater des Erfolgs

"Wir sind als Mannschaft darauf getrimmt, niemals zurückzustecken. Das macht uns so stark", sagt Torhüter Volkan Demirel, der Feners besonderen Zusammenhalt und Teamgeist wie kaum ein anderer verkörpert.

Auch in dieser Saison trotzt die Truppe von Ersun Yanal jeglichen Rückschlägen im Umfeld: Fenerbahce ist unangefochten Tabellenführer, spielt den besten und vor allem ansehnlichsten Fußball der Liga und scheint in dieser Spielzeit auch gefestigter denn je zu sein.

Das ist vor allem ein Verdienst des Trainers Yanal, der im Sommer maximal als Notnagel für den zurückgetretenen Aykut Kocaman kam, weil der Klub im Zuge der UEFA-Strafen nicht wusste, wie es weitergeht. Doch Yanal ließ sich nicht beirren und baute seine Mannschaft behutsam auf.

Vor allem auf dem Transfermarkt bewies er ein gutes Händchen: Bruno Alves erweist sich bisher als starker Abwehrchef, Alper Potuk, den Yanal aus Eskisehir mitnahm, schlug ein und Emmanuel Emenike, den Yanal durchboxte, als man schon mit Benficas Oscar Cardozo einig war, erhöhte die Qualität im Angriff erheblich.

"Diese Mannschaft gibt mir ein gutes Gefühl", sagt Yanal. "Sie vermittelt mir Hoffnung, dass wir Großes erreichen können."

Das vorläufige Saisonhighlight könnte ein Derby-Sieg gegen den ewigen Erzrivalen Galatasaray (So., 18 Uhr im LIVE-TICKER) sein. "Ein Derby-Sieg wäre schön, aber wichtiger ist die Meisterschaft. Wichtig ist, dass wir die Serie fortführen", sagt Bruno Alves. Abdullah Kigili wird ihm sicher zustimmen.

Der Fenerbahce-Kader