Schlitzohren und einige Deutsche

SID
Roberto Hilbert (l.) spielt bei Besiktas in der Türkei
© Getty

Die Türkei trifft auf Deutschland, in der Wahlheimat von Roberto Hilbert. Als Deutscher verdient er am Bosporus bei Besiktas sein Geld. Bei SPOX stellt Hilbert die türkische Stammelf vor - inklusive Stärken und Schwächen.

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Merhaba aus Istanbul,

der große Tag ist gekommen! Die Türkei trifft auf Deutschland (Fr., 20.15 Uhr im LIVE-TICKER) und das ist natürlich auch für mich ein ganz besonderes Spiel, nachdem ich hier in der Türkei schon meine zweite Saison spiele. Natürlich werde ich auch im Stadion sein, um das Spektakel, das ich erwarte, live mit zu erleben. Freunde aus Deutschland sind zu Besuch. Hoffen wir auf ein tolles Spiel!

Bei den Türken spielen eine Menge gute Leute, auf die man aufpassen muss. Hier mal eine ganz persönliche Einschätzung der elf Türken, die am Freitag wahrscheinlich in der Startelf stehen werden.

Volkan Demirel: Den Torwart von Fenerbahce habe ich seit meiner Ankunft in der Süper Lig als inzwischen sehr konstanten Torwart kennengelernt. Er ist sowohl bei Fenerbahce als auch in der Nationalmannschaft unangefochten die Nummer eins und an ihm führt auch kein Weg vorbei. Volkan hat das Erbe von Rüstü Recber, der ja noch mit mir bei Besiktas spielt, übernommen und es sehr gut gemacht. Ich muss schon sagen, dass er durch seine Ausdrucksweise und sein Auftreten einem gegnerischen Spieler Respekt einflößt. Wenn man als Angreifer auf ihn zuläuft, ist es nicht so einfach, weil er wie ein Koloss wirkt.

Gökhan Gönül: Volkans Teamkollege bei Fener ist ein sehr wichtiger Mann der Türken! Es gibt auf seiner Rechtsverteidiger-Position keinen türkischen Spieler, der ihm das Wasser reichen kann. Gökhan ist sehr offensivstark und immer für ein Tor gut. Es ist kein Zufall, dass er bei Fenerbahce nach Spielmacher Alex schon seit Jahren immer die meisten Assists auf dem Konto hat. Es gibt immer wieder Gerüchte, dass er Angebote aus dem Ausland hat und dieser Schritt ist ihm absolut zuzutrauen, zumal er auch eine sehr tolle Mentalität hat. Seine Entwicklung ist enorm.

Servet Cetin: Er fiel zuletzt bei Galatasaray aus und geht nicht hundertprozentig fit in das Spiel, aber der Junge beißt immer auf die Zähne und wenn er mal ausfällt, muss wirklich was kaputt gegangen sein. Keine Frage, Servet ist körperlich sehr robust, sehr athletisch und ungemein kopfballstark. Wenn Mario Gomez bei den Deutschen im Angriff spielen sollte, wird das ein interessantes Duell. Körperlich hält Cetin locker mit, auch im Kopfballspiel hat er gute Chancen, aber der Vorteil Marios ist die Schnelligkeit und der Antritt. Das könnte durchaus der Vorteil für das DFB-Team werden.

Egemen Korkmaz: Ich bin ein ganz großer Fan von ihm! Besonders seitdem ich mit ihm bei Besiktas spiele. Er ist super professionell, ein super Typ und vor allem charakterlich ein ganz Großer. Er hat eine gesunde Aggressivität, holt alles aus sich heraus - selbst in jedem Training und genau das lieben die Fans und schätzen wir Kollegen an ihm. Es ist schwer als Stürmer gegen ihn zu spielen. Man muss schon sehr viel aus sich herausholen, um ihn zu knacken. Dass er ein besonderer Typ ist, wissen die Türken seit seinem Wechsel von Bursaspor zu Trabzonspor und von dort zu Besiktas. Drei Klubs, die eine ganz besondere Rivalität verbindet und da ist ein Vereinswechsel nicht so einfach.

Hakan Balta: Könnt ihr euch noch erinnern, als die Türkei bei der Europameisterschaft 2008 die Spieler ausgingen und gegen Deutschland im Halbfinale fast der Ersatztorhüter im Feld spielen musste? Hakan war damals der einzige Spieler der Türken, der alle Begegnungen durchspielte. Die Euro 2008 war sein Durchbruch, auch bei Galatasaray, aber er hat eine ganz schwere Saison hinter sich, in der er nicht immer überzeugen konnte. Derzeit geht es wieder aufwärts, weil Fatih Terim bei Galatasaray zurück ist und die beiden ein gutes Verhältnis verbindet. Was Hakan auszeichnet, ist die deutsche Mentalität: Er ist in Berlin geboren, hat für Herthas Jugend gespielt und spricht die Sprache auch sehr gut.

Selcuk Inan: Für die Türken ist es ein Segen, dass Selcuk überhaupt spielen darf. Nach seiner Roten Karte gegen Kasachstan saß er ein Spiel in Österreich aus, aber über die exakte Sperre war noch nichts bekannt. Jetzt darf er spielen und Guus Hiddink ist sicher sehr erleichtert, ist Selcuk doch der Spieler, der im Mittelfeld die Fäden zieht. Selcuk war vielleicht der beste Spieler der vergangenen Saison und weil sein Vertrag bei Trabzonspor auslief, wollten ihn nicht nur türkische Klubs holen. Galatasaray hat mit ihm einen tollen Fang gemacht. Er ist defensiv und offensiv gleich stark. Und Vorsicht! Seine Freistöße sind brandgefährlich...

Emre Belözoglu: Er vereint vieles in einer Person: Kapitän, Kopf, Leader - Emre ist fast alles dieser Mannschaft und genießt ein hohes Ansehen. Er hat unglaublich viel Erfahrung, spielte schon für Inter Mailand und Newcastle United, aber auch in der Türkei ist er schon eine Ewigkeit dabei: Fatih Terim machte ihn einst schon mit 16 zum Stammspieler bei Galatasaray. Dass er über Umwege bei Fenerbahce gelandet ist, hat natürlich für viele Diskussionen in der Türkei gesorgt. Ich kenne ihn von den Duellen mit Fenerbahce und man kann schon sagen, dass er ein Schlitzohr ist. Er setzt seine Erfahrung sehr gut ein, ist ein sehr guter Passgeber und vor allem ein sehr guter Stratege. Die Schlitzohrigkeit macht ihn zum gefährlichen Mann.

Hamit Altintop: Hamit ist Türke, spielt für die Türken, aber er hat ganz klar die deutsche Mentalität. Er ist ein sehr überzeugender Fußballer, der eine große Bereicherung für die Nationalmannschaft ist. Er genießt in der Türkei ein hohes Standing, ist auch deutlich selbstbewusster und einer der Wortführer. Ich finde das normal, weil er beim FC Bayern nicht immer gespielt hat und letztlich einer von vielen war, obwohl er da auch wichtig war. Bei den Türken ist er aber der Hamit. Die Türken sind stolz auf ihn, dass er erst bei Bayern München und jetzt bei Real Madrid spielt.

Arda Turan: Er ist ganz klar das Aushängeschild des türkischen Fußballs. Arda macht den Unterschied aus und ist der gefährlichste Spieler der Türken, auf den Joachim Löw am meisten Acht geben sollte. Arda hat sich in den letzten Jahren toll entwickelt. Früher war er ein guter Dribbler, inzwischen kann er fast alles und ist sehr torgefährlich: Er hat die meisten Tore in der Quali erzielt. Vor der Saison ist er von Galatasaray zu Atletico Madrid gewechselt und in den Spielen, die ich live im TV gesehen habe, hat er auch dort überzeugt.

Burak Yilmaz: Er spielte früher bei meinem Klub Besiktas und war damals, so erzählt man, das absolute Top-Talent des türkischen Fußballs. Den Durchbruch hat er bei uns nicht geschafft, wie auch bei Fenerbahce nicht. Über Umwege ist er bei Trabzonspor gelandet und da kommt er groß raus und hat inzwischen alle Kritiker überzeugt. Schon wahnsinnig, dass er in dieser Saison alle sieben Saisontore Trabzonspors im Alleingang erzielt hat. Guus Hiddink hält viel von Burak und hat ihn vom Außenbahnspieler zum Mittelstürmer umfunktioniert. Ich habe gegen ihn gespielt und schon damals zog er immer in die Mitte. Er ist mit Arda der gefährlichste Mann und ich denke, er könnte der nächste sein, der nach Arda zu einem europäischen Top-Klub wechselt, weil er das Zeug dazu hat.

Kazim Kazim: Ein guter Spieler mit starker Technik, der sehr schöne Tore erzielen kann, wie er es am vergangenen Wochenende wieder unter Beweis gestellt hat. Es gibt hier in der Türkei einige Experten, die seine Art zu spielen, für aufreizend halten. Ich kann nur sagen, dass er sehr unbequem zu spielen ist und auch in der Nationalmannschaft immer überzeugt. Auch er hat es sich übrigens nicht leicht gemacht, direkt von Fenerbahce zu Galatasaray zu wechseln.

Insgesamt erwartet die deutsche Mannschaft eine Mannschaft, die immer bereit ist, alles zu geben - und die jetzt auch das Bewusstsein hat, dass es die letzte Chance ist, sich für die Europameisterschaft zu qualifizieren. Und: Es wird ein Hexenkessel in der Türk Telekom Arena, wo mehr als 50.000 Fans sein werden. Das Stadion wird beben und dieser Faktor könnte für die Türkei ein Vorteil sein. Es wird ein intensives Spiel, ein sehr emotionales Spiel, aber einen Tipp mag ich nicht abgeben...

Euer Roberto

 

Roberto Hilbert, geboren am 16. Oktober 1984 in Forchheim, spielte acht Mal für die deutsche Nationalmannschaft. Nach seiner erfolgreichen Zeit beim Zweitligisten SpVgg Greuther Fürth wechselte Hilbert 2006 zum VfB Stuttgart und wurde in seiner ersten Saison auf Anhieb Stammspieler und deutscher Meister. Seit Beginn der Saison 2010/2011 spielt Hilbert für den türkischen Spitzenklub Besiktas. Weitere Informationen zu Roberto Hilbert gibt es auf seiner Facebook-Seite.