Die Gefühle spielen verrückt

Von Cihan Acar
4:2 gewonnen und dennoch Frust bei Gheorghe Hagi: Keiner hatte an seinen Geburtstag gedacht
© Imago

Der 20. Spieltag der Süper Lig bringt die Gefühlswelten aller Beteiligten durcheinander. In Manisa macht man sich mit unkonventionellen Mitteln erfolglos auf das Spiel heiß, während Markus Merk für mehr Harmonie wirbt und den attackierten Schiedsrichtern zur Seite steht. Ein Ex-Leverkusener lässt seinen Gefühlen und Ärgernissen freien Lauf, und Gheorghe Hagi hat zwar Grund zu Feiern, ist aber traurig. Alles Süper bewahrt dagegen kühlen Kopf und führt durch das Gefühlschaos in der Liga.

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Fragezeichen I: Alles Süper beginnt diese Woche mit einem dicken Fragezeichen. Bei der Partie Trabzon gegen Antalya (0:0) wurde die Hoffnung auf einen Treffer der Gastgeber angesichts des Unvermögens im Torabschluss immer geringer, also schwenkte die Kamera in einer Pause in die Zuschauerränge und präsentierte die ausgefallensten Zuschaueroutfits.

Es gab allerlei zu sehen, einen Tiger, ein bunt bemaltes Gesicht, ein weiß bemaltes Gesicht, eine Hexe, und...einen ganz gewöhnlich aussehenden Zuschauer, dessen Mund aus mysteriösen Gründen von der Regie unkenntlich gemacht worden war. Rief er etwas Anstößiges in die Kamera und die Zensur sollte ambitionierte Lippenleser an den Bildschirmen schützen? Saß ein ehemaliger Kieferorthopäde in der Regie und brachte es nicht übers Herz, den Anblick zu senden?

Wir kommen nicht drauf, Erklärungsansätze in den Kommentaren sind willkommen.

Fragezeichen II: Dicke Fragezeichen schienen auch über dem Mannschaftskreis zu schweben, den die Spieler von Manisaspor vor der Partie gegen Fenerbahce abhielten. Eine TV-Kamera war hautnah dabei, und ein Führungsspieler, der in dem Getümmel nicht näher identifizierbar war, stimmte seine Männer mit dieser doch etwas verwirrenden Ansage auf die Partie ein: "Der Gegner hat Angst, zu verlieren. Warum? Weil sie viel zu verlieren haben! Wir dagegen haben gar nichts zu verlieren. Wenn sie schon Angst vorm Verlieren haben, dann lassen wir sie das auch spüren, dass sie Angst haben, zu verlieren!"

War (vermutlich) gut gemeint, ging aber leider nicht ganz so gut aus. Nach 1:0 Führung unterlag Manisa am Ende Alex und Co. noch mit 1:3. Kleiner Tipp von uns: beim nächsten Versuch, der eigenen Mannschaft Siegeswillen einzuimpfen, vielleicht den Gebrauch des Wortes "verlieren" ein ganz klein wenig einschränken.

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Freund und Helfer: Das Thema der Woche: die Unparteiischen. Schiedsrichter-Dissen blickt im türkischen Fußball auf eine lange Tradition zurück, und wie sehr diese Tradition verankert ist, sieht man an der Tatsache, dass TV-Experte Markus Merk dafür kritisiert wird, dass er die Schiedsrichter einfach nicht scharf genug kritisiert. Jedenfalls fand das kollektive Lästern über die Unparteiischen auch diese Woche statt.

Von Besiktas bis Bucaspor, alle echauffierten sie sich öffentlich über die Männer in Bunt. Merk sprang seinen Kollegen in einer TV-Sendung an die Seite und mahnte einen sanfteren Umgang untereinander: "Kopf hoch, Schiedsrichter! Bei soviel Kritik verliert man das Selbstvertrauen, das kenne ich aus Erfahrung. Wir brauchen Schiedsrichter, die fair und gradlinig sind. Und wir alle müssen ihnen Vertrauen schenken!"

Wir finden die Solidarität Merks lobenswert und haben eine Geschäftsidee für die Zeit nach dem türkischen Pay-TV für ihn parat: Die Merk-Sorgenhotline für Schiris! Dann hätten auch hierzulande all die Amateurschiedsrichter endlich einen hilfsbereiten Ansprechpartner, die Woche für Woche von Aggro-Kickern auf dem Feld und Rüpel-Rentnern an der Seitenlinie terrorisiert werden.

Frei Schnauze: Die Alles Süper-Reihe ist ja bekannt dafür, mit spontan kreierten Auszeichnungen nur so um sich zu werfen, und dies setzen wir auch diese Woche unbeirrt fort. Interviews mit Fußballern versprühen vor lauter Alibi-Aussagen und Desinteresse meistens weniger Entertainment als ein Koala-Bär auf Valium, doch Sezer Öztürk (früher Bayer Leverkusen und 1.FC Nürnberg, heute Eskisehirspor) hält dankenswerterweise von oberflächlichen Unterhaltungen genauso wenig wie wir.

Also rief der 25-jährige zum TV-Interview, machte es sich auf einer Couch bequem und lederte erfrischend ehrlich drauflos. Wie es ihm nach fast fünf Jahren als Fußballer in der Türkei denn so gefalle? "Mich stören einige Umstände hier." Was genau? "Unter anderem das Hochjubeln der ausländischen Spieler. Ein türkischer Spieler schlägt einen Pass und keiner redet darüber, doch wenn ein ausländischer Spieler denselben Ball spielt, heißt es: Wow, was war das!"

Ob er sich heute genauso entscheiden würde wie vor 5 Jahren, als er in die Türkei wechselte? "Auf gar keinen Fall. Ich habe mit 18 Jahren in der Bundesliga und in der Champions League gespielt und hätte mich dort durchbeißen sollen." Das sind doch mal klare Ansagen! Wir bedanken uns hiermit bei Sezer für die schöne Abwechslung von den gängigen Schwachstrom-Interviews der Kollegen und gratulieren herzlich zum imaginären Frei-Schnauze-Award.

Feierfrust: Als Fußball-Journalist in der Türkei muss man auf einiges gefasst sein, vor allem im Umgang mit Galatasaray-Coach Gheorghe Hagi. Treue Gala-Fans wissen aus dessen aktiven Zeiten, dass Hagi zu einem temperamentvollen Ausbruch nur ungern Nein sagt. Dass er nach dem 4:2-Sieg gegen Eskisehir auf der Pressekonferenz nach der Partie aber den anwesenden Reportern einen Maulkorb verpasste und ihnen dann in seiner Ansprache mal eben die Ohren langzog, überraschte die meisten dann aber doch etwas.

Vor allem der Grund für Hagis Unmut sollte sich als außergewöhnlich herausstellen: "Diejenigen, die es vergessen haben, möchte ich hiermit daran erinnern, dass gestern mein Geburtstag war. Ich habe für diesen Verein lange Jahre alles gegeben und erwarte mehr Respekt von euch. Gestern war ich deshalb sehr traurig. Ich gehe jetzt nach Hause und hoffe, dass ihr euch für die kommenden Jahre merkt, dass der 5. Februar mein Geburtstag ist."

Manche mögen in dieser Ansage Fremdschäm-Potenzial erkennen, wir aber können den Karpaten-Maradona völlig verstehen. Denn wenn man als Legende mit Tröte und Partyhut zuhause auf Gratulanten wartet und keine Journalisten-Bande mit schönen Geschenken aufkreuzt, dann zeugt das nun mal von fehlendem Respekt. Wer würde da nicht seinen eigenen Geburtstag in den Mittelpunkt der Analyse eines Fußballspiels stellen? Eben. Alles Gute, Hagi!

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