"Deutschland ist ein guter Markt für die Türkei"

Von Für SPOX in Bursa: Fatih Demireli
Ömer Erdogan (r.) im Duell mit Miroslav Klose: Deutschland gewann in Berlin mit 3:0
© Imago

Der Shootingstar des türkischen Fußballs im Jahr 2010 war ein 33-Jähriger: Ömer Erdogan wurde mit Bursaspor Meister und wurde unter Guus Hiddink Nationalspieler. Doch das vergangene Jahr hatte auch Enttäuschungen: Der gebürtige Kasseler Erdogan spricht über die Niederlage gegen Deutschland im Oktober 2010 und über den Kampf um die deutsch-türkischen Talente.

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SPOX: Die Bundesliga hat in der Türkei einen hohen Stellenwert. Wie schaut's bei Ihnen aus, Ömer?

Ömer Erdogan: Ich schaue sehr viel Bundesliga. Ich lese viel im Internet, verfolge die Ergebnisse und wenn die Gelegenheit da ist, schaue ich mir die Spiele auch im Fernsehen an. Es macht schon sehr viel Spaß, die Bundesliga zu gucken.

SPOX: Sind Sie inzwischen Dortmund-Fan?

Erdogan: (lacht) Ich war als Kind Bayern-Fan, aber nachdem ich Nuri Sahin in der Nationalmannschaft kennengelernt habe, gönne ich ihm und Dortmund den Titel. Nuri ist ein super Typ, ein guter Fußballer und charakterlich ein seiner wertvoller Junge.

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SPOX: Was ist mit der Bayern-Liebe?

Erdogan: Ich drücke auch dem Hamit die Daumen und wünsche ihm das Beste, aber Bayern wurde schon so oft Meister. Dortmund verdient es, in diesem Jahr einfach Meister zu werden.

SPOX: Sie haben für St. Pauli gespielt. Wie sind da die Sympathien?

Erdogan: Es war eine schöne Zeit. Ich hoffe, sie schaffen den Klassenerhalt. Das ist ein Kultverein. Ob für Pauli oder nicht - ich denke, es macht jedem Fußballer Spaß am Millerntor zu spielen. Ich habe mit Holger Stanislawski noch zusammengespielt. Ihm gönne ich es besonders, dass sie drin bleiben.

SPOX: Als Sie zu Bursaspor kamen, kämpfte der Klub auch um den Klassenerhalt. Bis 2009 waren der Klub im Mittelmaß. Dann kam Ertugrul Saglam und sprach von der Meisterschaft. Alle haben gelacht, aber sie wurden wirklich Meister. Was hat er gemacht?

Erdogan: Er kam von Besiktas zu uns, aber er hat vorher schon bei Kayserispor erfolgreich gearbeitet. Als er von Besiktas zu Bursa wechselte, hat er gesehen, dass die Unterschiede nicht groß sind, wie viele denken. Er hat das Potenzial gesehen. Bursa ist eine fußballverrückte Stadt. Wir genießen zuhause oder auswärts immer eine große Unterstützung der Fans. Das ist eine gute Basis für Mannschaften, die oben mitspielen wollen. Letzlich hat Ertugrul Saglam Mut bewiesen und offen über den Titel gesprochen.

SPOX: Sie spielen auch dieses Jahr wieder um den Titel, aber in der Champions League sind Sie mit einem Punkt ausgeschieden. Was waren die Gründe für das Scheitern?

Erdogan: Man hat die Unterschiede gesehen. Wir sind in der Liga erfolgreich, aber vergleicht man uns mit Manchester United und Valencia, ist das etwas anderes. Diese Mannschaften spielen seit Jahren auf hohem Niveau, ihre Mannschaften sind um einiges teurer. Sie wissen, wie man sich auf diesem Niveau präsentieren muss. Wir wollten als Dritter die Gruppe beenden - das wäre auch keine Überraschung gewesen. Zu den Rangers gab es auch keine so großen Unterschiede.

SPOX: International hat auch die Nationalmannschaft große Probleme - und das trotz eines guten Starts. Doch gegen Deutschland gab es einen herben Rückschlag.

Erdogan: Das Spiel in Berlin hat mich sehr mitgenommen. Das ging über mehrere Wochen, ich bin danach auch im Verein in ein Tief gefallen. Es war nicht nur die Niederlage, sondern auch meine Leistung. Es war das Spiel meiner Karriere, aber das hat dann sehr weh getan. Ich war in dieser Phase sehr gut drauf, habe aber wie die gesamte Mannschaft sehr schlecht gespielt.

SPOX: Das Elend ging ja dann noch weiter. In Aserbeidschan gab's die nächste Niederlage.

Erdogan: Das war noch viel härter. Das kann man auch nicht so einfach vergessen. Wir müssen jetzt aber nach vorne schauen, weil wir immer noch Chancen auf die Qualifikation haben. Klar ist, dass wir uns weiterentwickeln müssen. Die Türkei war auch bei der WM 2010 nicht dabei und wenn wir auch die EM verpassen, wäre das sehr schlecht.

SPOX: Für Sie persönlich lief das Jahr klasse. Meisterschaft, Einladung zur Nationalmannschaft und das Debüt unter Guus Hiddink. Wie haben Sie das vergangene Jahr erlebt?

Erdogan: Das war das erfolgreichste Jahr meiner Karriere. Ich wurde in der Türkei auch noch zum besten Spieler gewählt, aber die Berufung zur Nationalmannschaft war natürlich ein großer Traum, den ich mir erfüllen konnte.

SPOX: Für das Länderspiel gegen Südkorea wurden sie nicht eingeladen. Geht es für Sie weiter in der Nationalmannschaft?

Erdogan: Ich versuche mich weiter zu empfehlen, aber momentan findet ein Umbruch statt. Die Mannschaft soll verjüngt werden, das kann ich sehr gut verstehen. Die Nationalmannschaft braucht junge, frische Spieler. Wenn aber die Chance besteht, dass ich aushelfen kann, wäre ich sehr glücklich.

SPOX: Die Türkei verstärkt sein Bemühen um Talente aus Deutschland. Tunay Torun vom HSV ist jetzt neu dabei. Wie sehen Sie das Wettrennen um die Deutsch-Türken?

Erdogan: Die Türkei hat ein Problem in der Nachwuchsarbeit. In den letzten Jahren sind kaum junge Spieler nachgekommen. Ich nehme Bursaspor da heraus, weil unser Trainer sehr viel Wert auf junge Spieler legt. Aber wenn ich die anderen Vereine und ganz besonders die Istanbuler sehe - da kommt nichts hoch. Im Deutschland ist es genau andersrum. Da kommen sehr viele Talente hoch. Da auch viele türkische Spieler hochkommen, ist das ein sehr guter Markt, um diese Spieler für die Nationalmannschaft zu gewinnen.

SPOX: Sie sind selbst Deutsch-Türke, sind in Kassel geboren. Wie empfinden Sie das, wenn sich ein Türke für Deutschland entscheidet?

Erdogan: Ich akzeptiere das. Es gibt nunmal sehr viele, die zwar Türken sind, aber in einer deutschen Umgebung aufwachsen. Es ist normal, dass sie sich Deutschland zur Verfügung stellen.

SPOX: Hamit Altintop kritisierte Mesut Özil. Die Entscheidung sei mehr "Business als eine Herzensangelenheit". Geben Sie Hamit recht?

Erdogan: Natürlich wäre es mir lieber, wenn ein Mesut, ein Serdar oder ein Ilkay für die Türkei spielen. Wenn Sie es aber nicht tun, muss man das akzeptieren. Sie fühlen sich wahrscheinlich mehr zu Deutschland hingezogen. Natürlich spielt bei der Entscheidung auch der Werdegang eine Rolle. Wenn Mesut sich für Deutschland entscheidet, ist sein Marktwert in Europa natürlich besser.

SPOX: Mesut Özil auf der einen, Nuri Sahin auf der anderen Seite. Er ist momentan einer der besten Spieler der Bundesliga, aber in der türkischen Nationalmannschaft nicht gesetzt. Beeinflusst das nicht einen Spieler?

Erdogan: Nuri Sahin ist mit Arda Turan der beste Spieler der Nationalmannschaft und ich denke, dass er künftig viel öfter spielen wird. Er hat seinen richtigen Durchbruch erst in dieser Saison geschafft und zuletzt wurde er viel öfter eingesetzt. Er wird seinen Weg machen.

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