Uli Stielike im Interview über den Clasico: "Kroos könnte Opfer der Vereinspolitik werden"

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SPOX: Überrascht Sie seine stete Entwicklung bei Real?

Stielike: Nein. Er kam ja von Beginn mit der neuen Kultur, der Sprache und der Hierarchie in der Mannschaft klar. Wenn das ein Spieler annimmt und er sich einen Stellenwert in einem solchen Team erarbeitet, dann geht die Leistungskurve fast schon automatisch nach oben.

SPOX: Kroos steht bei rund 100 Einsätzen weniger als Sie. Glauben Sie, er packt Ihre Marke?

Stielike: 100 Spiele mehr bedeuten quasi drei weitere Spielzeiten in Madrid. Das kann man bei Real allerdings aus den geschilderten Gründen nicht per se garantieren. Kroos könnte auch Opfer der Vereinspolitik werden. Das muss man erst einmal durchstehen, um auf die nächsten 100 Einsätze zu kommen.

SPOX: Die Zukunft von Cristano Ronaldo ist weiter unklar. Sein Vertrag läuft noch bis 2021, dann wäre er 36. Wie soll sich Real in dieser Causa am besten verhalten?

Stielike: Ich glaube nicht, dass ihn Real gehen lässt. Perez hat ein freundschaftliches Verhältnis und eine starke Vertrauensbasis zu ihm. Im heutigen Fußball gibt es zwar keine Garantien mehr, aber ich kann mir deshalb gut vorstellen, dass er seinen Vertrag erfüllt.

SPOX: Auf der Gegenseite steht mit Lionel Messi so etwas wie der Gegenentwurf zu Ronaldo. Wer hat es Ihnen mehr angetan?

Stielike: Das ist abhängig von der Tagesform. Messi hat die feinere Klinge, er kann auf engem Raum auch mal drei oder mehr Spieler aussteigen lassen. Ronaldo dagegen hat mehr Power und Zug zum Tor. Man kann ihn mögen oder nicht, aber der Blick auf seine Statistiken widerlegt im Prinzip alle Kritiker. Messi und Ronaldo könnten in meinen Augen auch zusammen in einer Mannschaft spielen. Messi im Rücken von Ronaldo, das wäre eine denkbare Aufgabenverteilung. Man sollte generell nicht so viel vergleichen, sondern froh sein, dass sie derzeit aktiv sind und man ihnen zuschauen kann.

SPOX: Die sozialpolitische Situation in Spanien strahlt immer auch in diese Duelle zwischen Madrid und Barcelona aus, diesmal vielleicht so stark wie in den letzten Jahren nicht. Real repräsentiert den Zentralstaat Spanien, Barca die katalonische Unabhängigkeitsbewegung. Wie beobachten Sie diese Fronten?

Stielike: Der politische Aspekt war schon immer gegeben, weil sich Katalonien ja schon lange als eigenständige Region sieht. Der Unterschied ist nun, dass die Eigenständigkeit zum ersten Mal auch auf politischer Bühne eingefordert wurde. Man darf zudem die Basken nicht vergessen. Wenn also eine dieser Parteien sozusagen abspringt, vergrößert das die Gefahr, dass es auch eine andere tun wird oder zumindest tun will. Man merkt das ja auch an der Rivalität: Obwohl der Clasico kein Stadtderby wie Real gegen Atletico ist, ist er trotzdem enorm wichtig für alle Beteiligten. Und dies kann ja nicht nur mit dem Fußball selbst zu tun haben.

SPOX: Wie sehen Sie diese Bewegung in Katalonien, die ja von Barca unterstützt wird, ist das förderlich für das gesamte Land?

Stielike: Nein, weder für das Land noch für Barca als Verein. Ich habe kürzlich erst mit jemandem gesprochen, der eigentlich Barca-Fan ist, weil sie für ihn den schöneren Fußball spielen. Doch nachdem sich der Klub auch aktiv in diese Unabhängigkeitsbewegung eingeschalten hat, wird er nun mehr Abstand nehmen. Es gibt sicherlich mehrere Leute, die so denken.

SPOX: Sie sind seit September Trainer des chinesischen Erstligisten Tianjin Teda, zuvor arbeiteten Sie drei Jahre als Nationalcoach von Südkorea und waren in Katar tätig. Wie sehen Sie Ihre Zukunft?

Stielike: Auf alle Fälle kurzfristig. Zukunftspläne ausgerichtet auf drei, vier Jahre mache ich nicht mehr. Ich habe einen Einjahresvertrag unterschrieben und bin vor einem Monat 63 geworden. Bis 65 möchte ich noch weitermachen, danach muss es auch gut sein. Ich habe über die Jahre vieles hinter mir gelassen an Freundschaften und Freizeit. Die will ich dann gerne neu für mich gestalten.

SPOX: Wäre eine Rückkehr nach Europa Ihr Wunsch?

Stielike: Nein. Man sieht ja in der Bundesliga, wie dort verstärkt nach jungen Trainern gesucht wird. Der Trend in Europa geht in diese Richtung. In Asien dagegen ist man nicht alt, sondern weise. Das ist der große Unterschied. Auf die Erfahrung der älteren Trainer wird in Asien nach wie vor gebaut. In China trainieren aktuell zum Beispiel auch Manuel Pellegrini oder Gregorio Manzano, die hoch respektiert werden. Daher gehe ich davon aus, dass ich in Asien meine Trainertätigkeit beenden werde.

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