Die Angst vor dem Ende

Diego Simeone gab erst kürzlich bekannt, seinen Vertrag verkürzt zu haben
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Vor dem Duell mit dem FC Barcelona (Mi., 22 Uhr live auf DAZN und im LIVETICKER) ist bei Atletico Madrid eigentlich alles beim Alten. Hätte da nur nicht Trainer Diego Simeone seinen Vertrag verkürzt.

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Noch ist alles gut. Und doch fühlt sich mancher Anhänger der Rojiblancos in den letzten Wochen nicht sonderlich gut. Ein leichtes Gefühl der Machtlosigkeit, ein schwer beschreibbares Unruhegefühl macht den Fans zu schaffen. Es ist nicht genau zu definieren, mehr wie das Flattern, das man vor einer schweren Aufgabe verspürt.

Leider, so wird sich der Atletico-Fan an sich am Donnerstagmorgen eingestehen müssen, liegt es nicht am Spiel gegen den FC Barcelona (Mi., 22 Uhr live auf DAZN und im LIVETICKER). Es ist Angst. Nicht vor einem Gegner, nicht vor einer Saison, sondern vor der Zukunft.

"Das ist eine Falschmeldung", hatte Fernando Torres kürzlich gesagt und damit die Medienberichte rund um eine Vertragskürzung bei Diego Simeone gemeint. Von 2020 auf 2018. "Eine Falschmeldung", die der Trainer wenig später bestätigte. Diego Simeone hat seinen Vertrag bei Atletico Madrid verkürzen lassen.

Trainer oder Institution?

Nun gut, mag man hier in Deutschland leicht sagen, dann ist er eben nur noch zwei Jahre unter Vertrag. Um das laue Gefühl im Bauch der Rojiblancos nachvollziehen zu können, muss man verstehen, wer Diego Simeone ist. Das ist nicht einfach ein Trainer, einer, der lediglich die Geschicke der ersten Mannschaft lenkt.

Das ist kein Übungsleiter, der vielleicht drei, vier Jahre bleibt und dann doch entlassen wird. Diego Simeone ist so viel mehr als nur das. Er ist das Gesicht und das Rückgrat eines ganzen Vereins. Jemand, der in dunklen Zeiten herabstieg in den Tabellenkeller und ein verunsichertes Team noch in der gleichen Saison zum Titel in der Europa League führte.

Seit 2012 ist Simeone Trainer, Pressesprecher, Repräsentant und Schutzpatron Atleticos. Sein Leitspruch steht auf den Trainerbänken, seine Philosophie und Leidenschaft steht auf dem Platz. Die Spieler, die Fans, die Funktionäre. Sie alle tragen das Feuer des Argentiniers weiter.

CL-Finale löst Panik aus

Immer hatte es Gerüchte um einen Abschied gegeben. Er ist ein Trainer, wie es nur wenige gibt, natürlich hat manch anderer Klub Interesse. PSG soll ein großes Angebot hinterlegt haben, Inter wird seit Jahren Interesse nachgesagt. Doch immer war da die Hoffnung: Simeone, das ist einer von uns. Warum sollte er schon gehen?

Erstmals liegen Fakten auf dem Tisch. Der Trainer hat seinen Vertrag kürzen lassen. Erstmals scheint ein Ende der Ära Simeone wirklich greifbar. Als er nach dem verlorenen Finale in der Champions League kurz nach dem Elfmeterschießen von einem "Scheitern" sprach, löste er Panik aus, ohne jenes Ende wirklich in den Mund zu nehmen.

Mehrere Spieler, so erzählte Präsident Gil Marin später, hätten ihren eigenen Verbleib an den von Simeone geknüpft. Er blieb und mancher unterzeichnete gar ein neues Arbeitspapier. "Er ist ein sehr wichtiger Baustein für unseren Klub", hatte Torres an seine Falschmeldung-Aussage angeknüpft. Unser Verein, nicht der Verein. Das ist es, was Atletico ausmacht.

El Cholo ist da, alles wird gut

Kurz erlebte Atletico in dieser Saison einen Einblick in das, was man sich ohne Simeone ausmalt. Zwei Unentschieden zum Saisonstart bedeuteten ein Davonziehen von Barca und Real Madrid. Und doch war da noch immer das Gefühl: El Cholo ist da. Alles wird gut.

Das wurde es. 4:0 gegen Celta, 5:0 gegen Sporting, Atletico ist wieder in der Spitzengruppe. Doch was ist, wenn das Gefühl der Sicherheit wegfällt? "Wenn wir so weiterspielen, steigen wir ab", mahnte Stürmer Antoine Griezmann nach dem zweiten Remis. Das ist die ganz große Angst. Ein Absturz in alte Zeiten. Ein Identitätsverlust.

2018 wird es also sein. Der 30. Juni 2018 wird über so vieles entscheiden in der Geschichte von Atletico Madrid. Wird Simeone, das ist natürlich nicht ausgeschlossen, verlängern? Und wenn nein? Welche Spieler werden bleiben, welche gehen? 2018 könnte auch der Umzug ins neue Stadion folgen, das Vicente Calderon hätte dann ausgedient.

Angst vor dem Verschleiß

Wohin dann? Man mag nun vielleicht verstehen, weshalb nur die Vermeldung einer im bereits im Sommer stattgefundenen Vertragskürzung derartige Auswirkungen auf den Verein haben kann. Doch was treibt Simeone zu dieser Entscheidung? Ursprünglich bis 2020 gebunden, hat er nur vor einem wirklich Angst: Verschleiß.

Die hohe Emotionalisierung, das stete Antreiben eines jeden Profis geht an die Substanz des 46-Jährigen. Wer das Training der Rojiblancos verfolgt, weiß: Den Simeone, den man Spiel für Spiel an der Seitenlinie erlebt, der fuchtelt, gestikuliert und schreit, den kann man Tag für Tag auch im Training beobachten.

Diesen Anspruch stellt er an sich selbst. Kein Platz ist für Nachlässigkeiten, keiner für Pausen. Wer von seinen Spielern alles fordert, muss es auch von sich selbst verlangen. "Bei Atletico ist jeder bereit, für den anderen zu sterben. Deshalb gewinnen sie", blickte Thibaut Courtois auf seine Zeit in Madrid zurück.

Hat sich wirklich nichts verändert?

Die Kürzung auf 2018, das ist eine Vorsichtsmaßnahme, keine Drohung. Und doch wurde sie so verstanden, hat man doch Angst in Madrid. Angst vor dem, was wartet, wenn der Schutzpatron seinen Hut nimmt. "Es hat sich nichts verändert", sagte Simeone als er die Gerüchte bestätigte.

Geändert hat sich tatsächlich wenig vor dem Duell mit Barcelona. Seit 2010 hat Atletico in der Liga nicht mehr zwei Tore gegen die Katalanen erzielt, gewonnen hat Simeone dort ohnehin noch nie gegen Barca. "Das beste Team der Welt", erwartet seine Mannschaft, verkündete er im Vorfeld.

Also alles beim Altem, könnte man meinen. Atletico ist wiedermal der Underdog, der die Großen jagt. Dass dort inzwischen ebenfalls riesige Summen und Erwartungen vorherrschen, vertuscht Simeone vor Öffentlichkeit wie den eigenen Spielern geschickt.

Und doch hat sich die Stimmung etwas geändert. "Wir können den Vertrag jederzeit wieder verlängern", sagte Simeone und scherzte: "Vielleicht will mich der Klub ja auch einfach früher loswerden." Zum Lachen fand das niemand.

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