Der Prototyp des Außenverteidigers

Von Alexander Hagl
Lucas Digne unterzog sich vor seinem Barca-Wechsel einer Schönheitsoperation
© getty

Nach Samuel Umtiti hat der FC Barcelona einen weiteren französischen Verteidiger verpflichtet. Lucas Digne soll den Konkurrenzkampf mit Jordi Alba anheizen. Dabei passt der Linksverteidiger bestens in System Barcas.

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Camp Nou. Flutlicht. Knapp 100.000 Fans im Stadion. Die Champions League-Hymne ertönt.

Was gibt es schöneres für einen Fußballer? Vielleicht, dass man in der Folge nicht 90 Minuten vom heimischen FC Barcelona an die Wand gespielt wird. So geschehen mit der Roma am 24. November 2015, dem vorletzten Gruppenspieltag der Königsklasse.

Es war ein denkwürdiger Abend in Katalonien, an dem die Rückkehr von Messi nach seiner Knieverletzung gefeiert wurde und Barca den vermeintlich größten Konkurrenten in der Gruppe mit 6:1 aus dem Stadion schoss. Das wieder vereinte Sturm-Triumvirat zauberte, sehr zum Leidwesen eines jungen französischen Linksverteidigers.

Lucas Digne ließ sich schon beim 1:0 der Katalanen aus der Viererkette herauslocken. Neymar sezierte die Abwehrreihe mit einem perfekt getimten Steilpass auf den gestarteten Rechtsverteidiger Dani Alves, der das 1:0 von Luis Suarez mustergültig vorbereitete. Dignes klarer Stellungsfehler wurde prompt bestraft. Eigentlich ein erster schlechter Eindruck beim künftigen neuen Arbeitgeber.

Digne-Transfer logisch

Doch nur acht Monate später gab Barca die Verpflichtung eben jenes Lucas Digne bekannt, der mit der Roma im Camp Nou noch mächtig unter die Räder kam. Das jedoch ist keineswegs verwunderlich, der Auftritt Dignes in Barcelona konterkarierte schlicht die sehr gute Saison des Franzosen.

Aus der Sicht der Katalanen ist diese Verpflichtung nur logisch. Denn Digne passt wie die Faust aufs Auge in das System der Katalanen. Dort wird er jedoch mit starker Konkurrenz zu kämpfen haben.

Die Profikarriere des Linksverteidigers war ab seinem 16. Lebensjahr programmiert. Digne durchlief alle Jugendmannschaften des französischen Verbands, er war permanent gesetzt. Und das obwohl er gar nicht ins Konzept französischer Jugendteams passt. Kleine und gedrungene Spieler haben es oft schwer in der sehr physisch geprägten Equipe Tricolore.

Schnelligkeit und Beschleunigung enorm

Digne kann aber mit ganz anderen Attributen punkten. Schon sein Jugendtrainer Jean-Michel Cholet schwärmte 2002 von seiner Schnelligkeit: "Schon im Alter von neun Jahren war er schon schneller als jeder andere und hatte eine enorme Geschwindigkeit verglichen mit den Gleichaltrigen."

In die gleiche Kerbe schlug auch sein U19-Trainer Rachid Shihad: "Er hat eine unheimliche Beschleunigung auf den ersten Metern. Aber er hat auch unkonventionelle Fähigkeiten, wie das permanente Wiederholen einer Übung bis diese gelingt." Unter Shihad schaffte Digne dann auch den Sprung von den A-Junioren zu den Lille-Profis.

Triumph in der Türkei

Dort etablierte sich Digne recht schnell und verdrängte den zehn Jahre älteren Frank Beria. Wohlgemerkt in einer funktionierenden Mannschaft um die Offensiv-Stars Eden Hazard und Dimitri Payet, die sich in dieser Saison für die Champions League qualifizierte. Gerade mit dem Belgier bildete Digne ein explosives Gespann auf der linken Seite.

Doch der Höhepunkt sollte erst nach der Saison folgen. Frankreichs U20-Coach Pierre Mankowski berief den damals 19-Jährigen für die Weltmeisterschaft in der Türkei in den Kader. Les Bleus sicherten sich dank eines überragenden Paul Pogba den Titel. Mit dabei waren unter anderem auch Geoffrey Kondogbia, Kourt Zouma und Samuel Umtiti. Im Gegensatz zu letzterem war Lucas Digne in der Startelf gesetzt.

"Er ist ein Anführer, ein Arbeiter, der nichts dem Zufall überlässt. Besonders menschlich ist er sehr gut und zuverlässig", schwärmte Mankowski von dem in Meaux geborenen U20-Weltmeister: "Er ist einer, der so viel Offensivgeist mitbringt. Das ist der Prototyp des modernen Außenverteidigers." Seitdem galt Digne als designierter Nachfolger von Patrice Evra in Frankreich.

Ausverkauf bei Lille

Der Linksverteidiger spielte sich in der darauffolgenden Saison in den Fokus der internationalen Top-Klubs. Mit Lille schnupperte er zum ersten Mal Champions-League-Luft. In der Begegnung gegen den FC Bayern in der Gruppenphase fiel Digne gleich auf, wenn auch im negativen Sinne. Nach einer plumpen Aktion gegen Philipp Lahm im Strafraum verwandelte Müller den fälligen Elfmeter für den deutschen Rekordmeister.

Das Spiel war bezeichnend für die verkorkste Champions League-Saison von Lille, das die Abgänge von Eden Hazard und Mathieu Debuchy nie kompensieren konnte. Durch Platz sechs in der Ligue 1 und das Verpassen des internationalen Geschäfts konnten weitere Leistungsträger nicht gehalten werden: Dimitri Payet, Florian Thauvin und Aurelien Chedjou verließen den Klub. Die größte Ablöse in diesem Sommer spülte aber Lucas Digne in die Kassen.

Erfahrungen sammeln in Paris und Rom

Paris Saint-Germain sicherte sich die Dienste des damals 19-Jährigen für 15 Millionen. Der Schritt zu einem absoluten europäischen Top-Klub war vollzogen.

In Paris duellierte sich Digne in den nächsten beiden Spielzeiten mit dem Brasilianer Maxwell um den Platz in der Startelf. Während Laurent Blanc in der Liga rotierte, war Digne international außen vor. Insgesamt verbuchte der junge Franzose nur drei Einsätze in der Königsklasse unter Blanc.

Wohl ein Grund, warum er im Sommer 2015 zum AS Rom ausgeliehen wurde. Mit der Verpflichtung von Layvin Kurzawa wurde die Luft zu dünn für Digne, der fortan in der ewigen Stadt die so wichtige Spielpraxis und Erfahrung suchte.

Über die Serie A TIM zur EM 2016

Im Hintergedanken war wohl auch der Ausblick auf die EM im eigenen Land, für die er sich bei Les Bleus-Coach Didier Deschamps empfehlen wollte. "Ich habe mit der Roma die beste Saison meiner Karriere gespielt, die Arbeit in Rom hat sich ausgezahlt", gab sich Digne vor der Kaderbekanntgabe Frankreichs selbstbewusst. Zu Recht: Digne sprang auf den EM-Zug auf, Kurzawa wurde nicht nominiert.

Nicht ohne Grund, schließlich blühte Digne bei der Roma als Nachfolger von Ashley Cole auf. Unter beiden Trainern, Rudi Garcia und Luciano Spaletti, war der Franzose gesetzt. Endlich auch in der Königsklasse, in der die Roma unter anderem mit packenden Spielen gegen Bayer Leverkusen (Hinspiel: 4:4, Rückspiel: 3:2) begeisterte.

Seinen Offensivdrang bewies der französische Nationalspieler vorwiegend in der Serie A TIM. Gerade im Spielaufbau der Roma positionierte sich Digne sehr hoch und schob praktisch ins Mittelfeld vor. Mit schnellen Spielverlagerungen versuchten die Hauptstädter immer wieder Platz auf einen Flügel für die Außenverteidiger zu generieren. Dadurch gelangen Digne in 35 Einsätzen drei Tore und drei Vorlagen. Zudem leitete er viele Treffer über seine Seite ein.

Paella statt Pasta

Die Roma hoffte auf eine Verlängerung des Leihvertrags: "Wir wollen Digne behalten, aber das muss PSG entscheiden", sagte Trainer Luciano Spaletti. Selbst der Franzose machte sich für einen Verbleib stark: "Ich will unbedingt in Rom bleiben. Ich liebe die Stadt, den Klub und die Fans. Denn ich bin noch jung und habe noch viel zu lernen."

Es kam anders. Mit seinen Auftritten hatte Digne das Interesse des großen FC Barcelonas geweckt. Für 16,5 Millionen verpflichteten sie Digne von PSG. Eine Hoffnung, die seit Jahren vakante Position hinter Jordi Alba qualitativ zu stopfen.

Bisher war dort Adriano zugange, der allerdings mit ständigen Verletzungen zu kämpfen hat. Während dessen Ausfällen wäre Jordi Alba damit der einzige gelernte Linksverteidiger im Kader. Die Experimente mit Jeremy Mathieu auf der Außenposition dürften nach mäßigem Erfolg ad acta gelegt werden. Schließlich ist der eher schwerfällige Franzose unpassend für das Barca-Spiel.

Jordi Alba 2.0?

Der FC Barcelona kontrolliert permanent das Spiel und den Ball. Folglich nehmen die hoch aufrückenden Außenverteidiger eine wichtige Rolle ein. Zum einen schaffen sie Platz für Ausnahmekönner wie Lionel Messi und Andres Iniesta im Zentrum. Andererseits sind die Cuts, also Sprints in die Tiefe, elementar für Barcas Vorstoßen hinter die gegnerische Viererkette.

Jordi Alba und sein Pendant auf rechts, Dani Alves, haben dies brillant vorgemacht und so etliche Tore eingeleitet oder sogar vorbereitet. Genau deswegen ist eine Verpflichtung von Lucas Digne für Barca auch logisch. Die Spielweise des 22-Jährigen ist der von Alba enorm ähnlich.

Dies könnte jedoch dem jungen Franzosen zum Verhängnis werden. Digne wird wie bei PSG vorerst nur Back-Up sein. In den wichtigen Spielen dürfte Trainer Luis Enrique auf den erfahrenen Europa- und Weltmeister setzen. Ein mutiger Schritt also, den der Neuzugang mit seinem Wechsel nach Barcelona wagt.

Denn Digne will weiterhin auf höchsten europäischen Niveau, also der Champions League, spielen. Im Flutlicht. Vor tausenden von Zuschauern. Und sich dann mit guten Situationen auszeichnen, wie im Camp Nou im vergangenen November, als Digne den Ehrentreffer für die Roma von Dzeko durch eine schöne Flanke vorbereitete.

Lucas Digne im Steckbrief

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