In das königliche Gesicht

Andre Gomes steht kurz vor einem Transfer zu Real Madrid
© getty

Der FC Barcelona hat Real Madrid ausgestochen und Andre Gomes für viel Geld verpflichtet. Die Katalanen bekommen einen vielseitigen Spieler, dem vorerst wohl nur die zweite Geige bleibt. Trotzdem macht der Transfer für Barca Sinn - und das doppelt.

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Großturniere wie die EM in Frankreich bieten den Profis traditionell die Möglichkeit, sich in das Schaufenster für die großen Klubs zu stellen. N'Golo Kante etwa streift sich auch dank einer starken EM künftig das Blues-Jersey über, um Frankreichs Held Dimitri Payet ranken sich hartnäckig Gerüchte, Bayern-Neuzugang Renato Sanches hat angedeutet, dass die in ihn investierten 35 Millionen Euro des FCB gut angelegt sind.

Verfolge Andre Gomes auch in der neuen Saison in der Primera Division

Auch Europameister Andre Gomes wurde in den vergangenen Wochen beharrlich mit der Beletage des europäischen Fußballs in Verbindung gebracht. Noch vor der EM wollte sich Gomes nicht zu Gerüchten äußern: "Es wird mein erstes Turnier von dieser Größenordnung und ich will nur an die EM denken."

Doch aufdrängen konnte er sich nicht: Während beispielsweise Sanches' Stern in Frankreich regelrecht brannte, schimmerte der von Gomes eher blass. Als Stammspieler ins Turnier gestartet, wurde er nach einer Blessur und durchwachsenen Leistungen von eben jenem Sanches ersetzt und sammelte ab dem Viertelfinale nur noch 16 Minuten Einsatzzeit.

Bis zu 55 Millionen Euro Ablöse

Trotzdem haben die Katalanen zugeschlagen und lassen sich die Dienste Gomes' 35 Millionen Euro kosten, weitere 20 Millionen Euro können durch Boni hinzukommen. Damit versetzt der spanische Meister dem Erzfeind aus Madrid, der sich angeblich schon mit Gomes einig war, den nächsten Nackenschlag im Sommer 2016.

Neben Gomes ist den Königlichen bereits Kante durch die Lappen gegangen, Paul Pogba wird seine Schuhe aller Voraussicht nach für Ex-Coach Jose Mourinho schnüren. Erschwerend kommt hinzu, dass Lucas Silva unter Herzproblemen leidet und seine sportliche Zukunft daher in den Sternen steht.

Bei der Personalie Gomes ist das Versagen aber besonders bitter: Gomes' Interessen werden von Jorge Mendes vertreten. Der Spielerberater pflegt beste Verbindungen nach Madrid, hat er doch unter anderem die Real-Spieler Cristiano Ronaldo und James Rodriguez unter seinen Fittichen. Außerdem sind Valencia-Besitzer Peter Lim und Florentino Perez gute Kumpel und sollten den Transfer eigentlich einfädeln.

Doppelt gut für Barcelona

Während sich die Konkurrenz für die neue Saison wappnet, droht Real stattdessen trotz der Rückholaktion von Alvaro Morata der große Verlierer der Transferperiode zu werden. Für Barca macht der Transfer doppelt Sinn: Sie schlagen dem Dauerrivalen ein empfindliches Schnippchen und müssen nicht tatenlos zusehen, wie Gomes unerreichbar in den Tiefen des Real-Kaders versinkt.

Für Gomes selbst ist ein Wechsel zu einem der größten Vereine der Welt nach dem EM-Triumph das nächste Highlight binnen weniger Wochen - und das, obwohl er einen durchaus holprigen Karrierestart erlebte. In seiner Jugend fasste er in Portugal nirgends so richtig Fuß und wechselte alle paar Jahre den Verein, ehe er sich mit 18 Jahren der A-Jugend von Benfica anschloss.

Obwohl Benfica die Transferrechte von Andre Gomes im Januar 2014 für 15 Millionen Euro und einer Beteiligung von 25 Prozent an einem Weiterverkauf an den Spielerfond Meriton Capital Limited verkaufte, blieb er vorerst in der Hauptstadt. Doch im Sommer verabschiedete er sich mit dem nationalen Triple im Gepäck - zunächst auf Leihbasis - nach Valencia.

1,90 Meter große Dominanz

"Das Mestalla Stadion ist der ideale Platz für junge Spieler, um sich zu entwickeln", freute sich Gomes bereits bei seiner Ankunft. Und tatsächlich: Gomes beeindruckte seinen Arbeitgeber nachhaltig, sodass die Fledermäuse für seine Dienste 15 Millionen Euro nach Lissabon überwiesen. Im Rahmen der festen Verpflichtung schraubte Valencia nicht nur sein Gehalt in die Höhe, sondern verdoppelte kurzerhand die auf ursprünglich 50 Millionen Euro dotierte Ausstiegsklausel.

Schon damals schätzte Valencia die Ausnahmequalität des langjährigen Juniorennationalspielers richtig ein. Nicht nur wegen seiner Körpergröße von 1,90 Meter strahlt Gomes auf dem Rasen Dominanz aus. Der 22-Jährige, der im Zentrum oder auf dem linken Flügel beheimatet ist, hat ein bemerkenswertes Spielverständnis, fordert ständig den Ball und reguliert das Spieltempo. Wenige Spieler finden die Lücken zwischen den gegnerischen Reihen so konstant wie der beidfüßige Techniker. Auch mit Ball verliert Gomes kaum Tempo und lässt seine Gegenspieler mit raffinierten Finten regelmäßig ins Leere laufen.

Kein Wunder, dass sein bisheriger Trainer Pako Ayestaran die Hoffnung auf einen Verbleib nicht aufgab. "Der Verein kennt meine Meinung, Andre ist ein interessanter Spieler und das Ziel ist es, ihn zu halten", so der Coach gegenüber der AS.

Schwächere letzte Saison

Dabei konnte Gomes sein Potenzial zuletzt weder bei Valencia, noch bei der EM bestätigen. Zu oft agierte der hochtalentierte Spieler zu ineffizient - elf Torbeteiligungen in den vergangenen beiden Jahren lautet die überschaubare Ausbeute. Überhaupt zählt der Torabschluss nicht zu seinen Stärken.

Eine mögliche Erklärung für die mäßigen Zahlen in der jüngeren Vergangenheit ist seine gesundheitliche Situation: Nach einer Operation wurde er ohne Vorbereitung von 0 auf 100 auf den Platz gestellt und spielte die gesamte Saison 2015/16 - regelmäßig mit Schmerzen.

Trotz dieses Formtiefs greift Barca tief in die Tasche, und das obwohl die Katalanen mit neun konkurrierenden Spielern für drei Positionen ein komplettes Überangebot im Mittelfeld haben. Wo ist da also Platz für Gomes? Eigentlich nirgends.

Große Konkurrenz, oder?

Denis Suarez sieht Luis Enrique wohl eher auf dem Flügel, Javier Mascherano kann zwischen Innenverteidigung und Sechser frei pendeln und Enrique ließ bereits häufiger zwei defensive Mittelfeldspieler den Laden im Zentrum dichtmachen.

Die Eigengewächse Sergi Samper und Rafinha müssen sich wohl mit einer Rolle als Ergänzungsspieler anfreunden. Während Rafinha und Sergi Roberto auf den Flügel ausweichen können - Roberto als Verteidiger und Rafinha in der Offensive - dürfte bei Samper eine Leihe Sinn machen.

Bleiben Segio Busquets, Andres Initesta und Ivan Rakitic vom Verletzungspech verschont, dürfte kein Weg an dem eingespielten Trio vorbeiführen. Gomes wird sich also vorerst hinten anstellen müssen: Mit 22 Jahren ist der Portugiese eine Investition in die Zukunft und kann im Schatten der großen Stars behutsam auf das hohe Niveau herangeführt werden.

Das Geld wird knapp

Was auf den ersten Blick nach einem klasse Deal klingt, hat allerdings auch eine Kehrseite: Mit solchen Transfers wird die Tür für Talente aus der zweiten Mannschaft oder La Masia verriegelt. Angesichts der Ebbe an vielversprechenden Nachwuchsspielern nimmt Barca dies billigend in Kauf.

Noch am Donnerstag verlor Enrique bei einer Pressekonferenz kein Wort über einen Mittelfeldspieler. Gut gepokert. Vielmehr unterstrich der Coach, dass er sich noch auf der Suche nach einem Backup für Luis Suarez befindet.

Keine leichte Aufgabe, denn mit Gomes dürfte das Transferbudget unter fünf Millionen gefallen sein. Sportdirektor Robert Fernandez stellte zwar schon klar, er würde im Zweifelsfall auch über das Budget hinausgehen. Aber man muss kein Mathematiker sein, um zu sehen, dass noch Spieler den Verein verlassen müssen.

Andernfalls fehlen Barca die finanziellen Kapazitäten, um auf dem überhitzten Transfermarkt einen adäquaten Neuzugang in die Finger zu bekommen. Hier kommen - fast sinnbildlich - Martin Montoya und Cristian Tello ins Spiel: Die beiden langjährigen, in La Masia ausgebildeten Barca-Spieler, sollen womöglich bei Verpflichtungen verrechnet werden.

Andre Gomes im Steckbrief

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