"Plötzlich war es wie eine Offenbarung"

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SPOX: Welche Rolle spielen die Medien beim Clasico?

Reng: Die befeuern die Rivalität sicherlich zusätzlich noch. Sie leben von dieser Feindschaft. Der Clasico ist das jährlich größte Spektakel und da versucht eigentlich niemand, das runter zu dimmen.

SPOX: Sie haben den Medienzirkus in Spanien miterlebt. Wie bizarr wirkt das auf einen deutschen Journalisten?

Reng: Aus nordeuropäischer Sicht ist das erst einmal ein unbekanntes Phänomen. Wir sehen die Medien als unabhängige Berichterstatter. In Spanien, Italien und Portugal haben sie keine Boulevard-Zeitung. Die Sportzeitungen übernehmen deshalb diese Rolle. Sie berichten schon relativ reißerisch und schrill in ihrer Tonwahl. Hinzu kommt, dass Sportzeitungen erkannt haben, dass sie sich an die Fans richten müssen. Die Unabhängigkeit streben sie eigentlich erst gar nicht an. Die Barca-Sektion von Marca und AS braucht man gar nicht zu lesen, denn da wird eigentlich nur zugespitzt berichtet. Andersrum ebenfalls: In der Mundo Deportivo ist täglich eine negative Überschrift über Real Madrid zu lesen. Da gibt es schon Journalisten, die das bewusst und manipulativ einsetzen. Meine Lieblingsüberschrift ist zu Iker Casillas. Der sagte in einem Interview, dass er zu 60 Prozent bei Real Madrid bleibe. Die Mundo Deportivo machte daraus die Schlagzeile: ‚Zu 40 Prozent verlasse ich Real'.

SPOX: Haben Sie heute auch noch Kontakt zu Barca-Spielern?

Reng: Es gibt schon noch ein paar, aber es verläuft sich immer mehr. Ich war ja in den letzten Jahren nur noch als Zuschauer in Barcelona. Es gibt aber eine lustige Geschichte zu Gerard Pique. Ihn habe ich mal an der Wurstbude getroffen. Er wollte seinen Freunden sein neues Auto zeigen. Und da hat er sich lässig vor die Bude gestellt. Mit Victor Valdes habe ich jetzt zwar schon einige Zeit nicht gesprochen, aber er war nach seinem Kreuzbandriss in Augsburg in der Reha. Er hat ja dieses Faible für Deutschland und für deutsche Torhüter. Er hat sich deshalb in Augsburg operieren lassen und ging dort anschließend in die Reha.

SPOX: War das in den Medien überhaupt publik?

Reng: Nein, das hat in Deutschland eigentlich niemand mitbekommen. Augsburg ist ja auch nicht die Medienhauptstadt. Er ist dort immer mit der Straßenbahn zwischen den Rentnern ins Reha-Zentrum und wieder zurück ins Hotel gefahren.

SPOX: Seit einigen Jahren haben Sie sich aus dem tagesaktuellen Business zurückgezogen und konzentrieren sich auf Bücher. Sie haben jedoch die komplette Schaffenszeit von Pep Guardiola als Barca-Trainer hautnah miterlebt. Wie bewerten Sie seine Zeit beim FC Bayern?

Reng: Sportlich fabelhaft. Diese Ära ist auch unabhängig vom Ende. Mich hat beeindruckt, wie schnell die Spieler seinen doch sehr eigenen Spielstil angenommen haben und umsetzen konnten. Die ständigen Positionswechsel beispielsweise. Er hat eine Mannschaft geschaffen, die nahezu problemlos auf jede taktische Idee von ihm reagieren kann. Das ist schon sehr beeindruckend. Ich bin mir sicher, dass der Fußball des FC Bayern unter Guardiola der anspruchsvollste war, der in Deutschland je gespielt wurde. Aber auch Guardiola selbst hat sich weiterentwickelt. In München ließ er beispielsweise viel mehr Übungen ohne Ball machen. Das hat man bei ihm bei Barca eigentlich gar nicht gesehen.

SPOX: Mit Carlo Ancelotti kommt nun ein anderer Trainertyp. Birgt das Probleme?

Reng: Es müsste eigentlich schwierig werden. Es spricht alles dafür. Wenn man beide Trainer vergleicht, ist es schwer vorstellbar, dass Ancelotti die Mannschaft durch seine taktische Herangehensweise und seine Fachexpertise beeindrucken kann. Es ist für mich schwer vorstellbar, dass man die Bayern-Spieler mit der gleichen Neugierde und Begeisterung coachen kann. Man kann auch nicht erwarten, dass man jede Woche etwas sieht, was bislang noch nie jemand gesehen hat. Ob der Leistungsabfall bei dem Vorsprung dann wirklich ins Gewicht fällt, ist die andere Frage.

SPOX: Guardiola wird bei Manchester City wieder bei null anfangen. Wie lange wird es dauern, bis die Spieler seinen Stil verinnerlichen?

Reng: Bei Bayern hat es ungefähr drei Monate lang gedauert. Das wird bei City ähnlich sein. Ich erinnere mich an eines der ersten Spiele gegen Frankfurt. Da hat man deutlich gemerkt, dass die Spieler noch nicht kapiert haben, was sie eigentlich machen sollten. Sie wusste nur, dass man den Ball irgendwie halten muss und haben deshalb die Kugel immer langsam hin und her gespielt. Sie haben damals noch die Momente verpasst, um den Ball in die freien Räume zu spielen und die Positionen nicht richtig besetzt. Beim Spiel gegen Moskau im September dachte ich erstmals: 'Boah, das ist schon Fußball in Vollendung'.

SPOX: Wird Guardiola denn eigentlich zu Recht so in den Himmel gelobt? Es gibt auch in Deutschland Trainer, die taktisch brillant sind.

Reng: Die gibt es. Aber wenn er aus der 2. Liga kommt und den FC Barcelona übernimmt, dann wird er erst mal skeptisch beäugt werden. Diese vorauseilende Skepsis hat Guardiola nicht mehr. Es ist genau andersrum. Die Spieler denken schon: 'Wow, ich darf jetzt unter Guardiola trainieren'. Das ist sicherlich ein riesiger Startvorteil. Deshalb gibt es sicher Trainer, die ähnlich beeindruckend sind, es aber im ersten Moment schwerer haben. Kosta Runjaic ist so ein Beispiel. Es war auch ein Kunstwerk, wie er der den 1. FC Kaiserslautern entwickelt hat und welchen Fußball er spielen ließ. Wenn ich Pep Guardiola wäre und jetzt auch noch mit Bayern die Champions League gewinnen würde, würde ich einfach mal 1860 München übernehmen, um mich selbst zu testen. Das würde ich gerne mal sehen. Er hat aber wohl eine andere Meinung dazu. (lacht)

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