Die Angst geht um

Die Jugend des FC Barcelona kommt aus La Masia in das B-Team und dann zu den Profis
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Die zweite Mannschaft des FC Barcelona kämpft nach dem Abstieg in die dritte Liga erneut um den Klassenerhalt. Um den schlimmsten aller Fälle zu verhindern, greift der Klub zu gewöhnungsbedürftigen Maßnahmen.

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Es läuft alles so gut beim FC Barcelona: Das Triple in der letzten Saison, vor kurzem der Sieg bei der Klubweltmeisterschaft und der fünfte Sieg von Eigengewächs Lionel Messi beim Ballon d'Or. Luis Enrique führt ein Team, das in allen drei Wettbewerben bestens auf Kurs liegt. Nur eines wird dem Asturier gerne vorgeworfen: die Jugendarbeit. Kaum ein Talent würde mehr Chancen bei den Profis erhalten.

Das mag man so sehen. Doch letztlich heißt es für Barcas Reserve derzeit vor allem eines: harter Alltag in der nicht weniger harten Segunda Division B. Nach dem Abstieg im vergangenen Jahr wurde mit Gerad Lopez, bisher Trainer der katalanischen Nationalmannschaft, ein unerfahrener Mann eingesetzt, Transfers waren aufgrund der von der FIFA ausgesprochenen Registrierungssperre nicht möglich. Das Team von Lopez landete hart, Spieltag für Spieltag ging es tiefer in den Tabellenkeller.

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Als Absteiger, vor allem aber als B-Team des FC Barcelona, droht noch immer der erneute Abstieg. Doch zuletzt trat Besserung ein - dank harter Methoden. Es weht neuerdings ein anderer Wind im Unterbau des Klubs, der sich selbst über seine Jugendarbeit definieren will. Stand jetzt haben neun Spieler im Winter ihre Koffer packen müssen. Neun Spieler sind neu dabei, das Durchschnittsalter ist angestiegen.

Top-Talente ziehen freiwillig weiter

"Ich treffe die Entscheidungen auf B-Level nicht", entzog sich Enrique der Verantwortung. "Der Klub hat entschieden, dass die oberste Priorität der Nichtabstieg ist." Der Trainer lässt durchblicken, dass nicht jeder ganz zufrieden ist mit den Entscheidungen. Denn das was mit dem B-Team des FC Barcelona derzeit passiert, lässt sich nur mit sehr viel Wohlwollen noch als Umbruch bezeichnen. Es gleicht mehr einem Frühjahresputz. "Wir bauen den Kader jetzt neu", kündigte Lopez an.

Die ersten Schritte wurden schon im Laufe der Hinrunde gemacht, ob nun von Spieler- oder von Klubseite. Linksverteidiger und B-Kapitän Grimaldo überwarf sich mit Enrique, nachdem dieser ihm keine Einsatzchancen auf einer eigentlich dünn besetzten Position im Kader der ersten Mannschaft gewährte und begann, mit Benfica zu verhandeln. Der Abgang des Leistungsträgers war allerdings nur der Anfang, in den nächsten Tagen folgten zahlreiche weitere.

Da wäre Fabrice Ondoa, 20-jähriger Nationaltorhüter Kameruns, der anschließend stichelte: "Ich habe mein Selbstbewusstsein verloren. Selbst in Zeiten, in denen es nicht gut lief, wurde der Torhüter nicht getauscht. Der Klub hat mich nicht entlassen, ich gehe für Einsatzzeiten."

"Ich muss gehen, um Platz zu machen"

Torjäger Aitor, 19 Jahre alt und mit fast einem Viertel aller erzielten Tore der Garant für die wenigen Punkte der Reserve, wurde da schon deutlicher. Lange vor dem offiziellen Statement des Klubs verabschiedete er sich bei Instagram mit emotionalen Worten, ehe er bei Villarreal unterschrieb und seinem Ärger Luft machte: "Die Richtung von Barca B ist nicht gut. Es kommt mir vor, als würden nur die Spieler für die Misserfolge verantwortlich gemacht."

Vielmehr sei es Trainer Lopez, der Verantwortung übernehmen müsse: "Ich weiß nicht, was ich über ihn sagen soll. Er ist ein ordentlicher Trainer, aber das verdankt er dem Staff rund um Garcia Pimienta." Die unangenehmen Worte Aitors dürften besonders Pimienta nahe gehen. Der Coach verabschiedete sich von jedem Spieler, den er in den vergangenen Jahren Tag für Tag begleitete, einzeln und hochemotional.

Nun kommen Spieler, die nicht aus La Masia stammen. Spieler, die nur kommen, um den Klassenerhalt zu sichern. "Ich verstehe diese Entscheidung nicht. Aber der Klub teilte mir mit, ich müsse gehen, um Platz für andere zu machen", fasste Aitor zusammen.

Rechtsstreit mit Spielervereinigung

Um die zahlreichen Neuzugänge registrieren zu können, schreckte Barcelona vor wenig zurück. Lionel Enguene und Pol Calvet, beides La-Masia-Absolventen und damit seit langen Jahren im Verein, wurden noch vor Beginn der Transferphase vor die Tür gesetzt. Auch David Babunski, seit 2005 Verteidiger in Barcelona, wurde Opfer der Aufräumaktion.

48 Einsätze hatte er für das B-Team absolviert, als er aus dem Urlaub zurückkehrte, fand er einen leeren Spind und die restlichen Gehaltszahlungen auf seinem Konto vor. Barca geht keine Umwege. "Das entspricht nicht den Werten des Klubs", meckerte Aitor.

Ähnlich ging es Macky Bagnack. Der Kameruner, 2008 aus der Fundacion Eto'o zum FC Barcelona gekommen, kehrte eine Woche zu spät aus dem Urlaub zurück und sah seinen Vertrag in Folge dessen aufgelöst. Der Klub teilte mit, ihn aus disziplinären Gründen freigestellt zu haben, Bagnack selbst will davon allerdings nichts wissen. Der 20-Jährige erklärte, nach seiner Rückkehr vom Training ausgeschlossen worden zu sein und zieht nun vors Gericht.

Gemeinsam mit der AFE, der spanischen Spielervereinigung, will er gegen seine Entlassung klagen. Sogar die FIFA hat er eingeschaltet.

Mannschaft fehlte die Ruhe

Jean-Marie Dongou ist ein weiteres Opfer der rigorosen Aufräumaktion. Unter Gerardo Martino noch mit Einsätzen in der ersten Mannschaft und bisher auch unumstrittener Stammspieler der zweiten Mannschaft, wird der junge Stürmer seinen Weg in Saragossa fortsetzen. Zu inkonstant waren seine Leistungen und damit sinnbildlich für die junge Mannschaft. Eineinhalb Jahre unter drei Trainern war Barca B immer die technisch bessere Mannschaft, die einen gepflegten Spielaufbau betrieb, die den Ball zirkulieren ließ und so rein statistisch nie schlecht unterwegs war.

Doch einfache Fehler kosteten Punkte, die Chancenerarbeitung verlief nicht druckvoll, war an vielen Stellen zu verspielt. Die Struktur nach Ballverlusten machte letztlich Eusebio arbeitslos und führte in die dritte Liga, denn besonders defensiv wurde die große Verunsicherung des gesamten Teams oft deutlich. Einfache Fehler, hektische Zweikampfführung und schlechte Absprachen machten das Team schlecht ausbalanciert und anfällig.

Einen Fehler in der Kaderplanung würde man schnell erkennen, würde es sich nicht um ein B-Team handeln. Die Reserve ging mit nur einem einzigen Spieler über 21 Jahren in die Saison. Pures Talent, allerdings ohne Anführer. In den letzten Jahren zuvor hatte Barcelona immer darauf geachtet, pro Mannschaftsteil zumindest mit ein wenig Erfahrung aufzuwarten. Doch früher oder später wollen diese Spieler weg - und waren angesichts der Transfersperre nicht zu ersetzen.

Älteste Spieler seit 1994

Somit wird nun nachgearbeitet. Salva Chamorro und Alberto Perea (beide 25) verstärken die Offensive und könnten bei ihrem Debüt zu den ältesten eingesetzten Spielern seit 1994 werden. Ein Großteil der Neuzugänge ist gutes Drittliga-Material und war Stammspieler bei einem rivalisierenden Klub in der Hinrunde.

Barca setzt also alles auf eine Karte. Die Katalanen geben einen Großteil ihrer Identität auf, um die zweite Mannschaft in der dritten Liga zu halten und demnächst wieder den Aufstieg anzustreben.

Der Gedanke dahinter ist so simpel, wie er doch auch auf die harten Bedingungen im Geschäft hinweist. Ein Klub wie Barcelona kann es sich nicht erlauben, eine Mannschaft in der vierten Liga zu stellen. Zu groß wäre der Sprung für Talente in die erste Liga, zu wenig verlockend die Anreize, um Spieler zu holen und vorerst in der zweiten Mannschaft einzusetzen.

Hektik sorgt für Reinfälle

Spieler wie Robert würden dann nicht zum FC Barcelona kommen. Der 19-jährige Brasilianer von Fluminense ist die große Ausnahme im winterlichen Transferchaos. Was allerdings auch wieder ins Bild passt: Robert wurde ohne Medizincheck unter Vertrag genommen, erst anschließend wurden Übergewicht und "weitere physische Mängel" diagnostiziert, wie der Klub mitteilte. Während der Brasilianer Joga Bonito ankündigte, steht noch die Arbeitserlaubnis aus, die in "einigen Wochen" erst eintreffen wird.

Die Hektik, mit der Barcelona die Transfers vorantreibt, bekommt nicht allen gut. Sergi Guardiola war ein ähnlicher Rückschlag: am 28. Dezember verpflichtet, am 28. Dezember freigestellt, am 28. Dezember bei Granada unterschrieben. Der Mittelfeldspieler hatte vor Jahren Tweets veröffentlicht, die den Werten des Klubs nicht entsprachen, wenige Stunden nach der Verpflichtung entließ Barca seinen neuen Mann bereits wieder.

Tatsächlich beweisen beide Transfers aber eines. Der FC Barcelona hat Angst. Richtiggehende Angst und Panik um den Klassenerhalt und agiert dabei nicht unbedingt souverän.

Die Zielsetzung ist klar, denn sportlich wäre ein Abstieg in die vierte Liga in jeder Hinsicht eine Katastrophe. Bis dahin sollte man Luis Enrique aber auch nicht unbedingt vorwerfen, keine Spieler aus der Jugend in sein Team zu beordern. Die Sinnhaftigkeit und Durchführbarkeit dessen scheint momentan mehr als diskutabel.

Der Kader von Barcelona B

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