Der Abstieg vom Olymp

Sami Khedira wechselte 2010 vom VfB Stuttgart zu Real Madrid
© getty

Nach fünf Jahren trennen sich die Wege von Sami Khedira und Real Madrid. Der deutsche Nationalspieler ist bei den Königlichen erwachsen, aber nach der Ära von Jose Mourinho verzichtbar geworden. Seine Karriere ist an einem kritischen Punkt angekommen. Es gibt Parallelen zu Kevin-Prince Boateng.

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Bundestrainer Joachim Löw hatte schon einige Fragen zum Spiel gegen Australien beantwortet, als ihm auf dem Podium der Pressekonferenz plötzlich Sami Khedira an die Seite gesetzt wurde. Der Ersatz-Kapitän formulierte ebenfalls routiniert seine Sichtweise der Partie, ehe er auch noch zu seiner persönlichen Zukunft Auskunft geben sollte.

Aber Khedira war nicht gekommen, um seine Aussagen über seinen Abschied von Real Madrid zu wiederholen und tiefer wollte er sich in seine konkreten Pläne nicht hineinschauen lassen. "Alles, was es zu diesem Thema zu sagen gibt, habe ich bereits einem Sportmagazin gesagt." Spach's und verschwand wenig später wieder.

Khedira hat im Kicker das bestätigt, was er zuvor in Marca schon angedeutet und sich auch in den letzten Wochen und Monaten abgezeichnet hatte. Nach fünf Jahren im Trikot von Real Madrid ist Schluss.

Ein hochdekorierter Kriegsveteran

Khedira verlässt Madrid als Champions-League-Sieger, Klub-Weltmeister, spanischer Meister, zweifacher spanischer Pokalsieger sowie europäischer und spanischer Supercupsieger. Er hat mit Real alle Titel gewonnen, die es zu gewinnen gab und er war dabei, als die Königlichen die Dominanz des FC Barcelona durchbrechen konnten.

Khedira geht in der aktuellen Situation als eine Art hochdekorierter Kriegsveteran. Allerdings nicht als General, sondern aus Fußsoldat, dem man nicht mehr zutraut, bei den kommenden Aufgaben eine wichtige Rolle zu spielen.

Das Madrider Publikum und auch die spanische Presse haben den Mittelfeldspieler vom ersten Tag an kritisch gesehen. Er kam zwar nach der WM 2010 als interessantes deutsches Talent ins Team von Trainer Jose Mourinho, aber als Arbeiter im defensiven Mittelfeld konnte Khedira nie die Gunst erreichen, die dem zeitgleich verpflichteten Mesut Özil zuteilwurde.

Im Unterhaltungsapparat Real Madrid war Khedira eher ein Spektakelverhinderer als ein Zauberer wie Özil, der mit einigen ansehnlichen Offensivaktionen für Begeisterung sorgte, aber für das Mannschaftsgefüge nie die Wichtigkeit Khediras erreichte.

In Madrid erwachsen geworden

Der mittlerweile bald 28-jährige Khedira ist in Madrid erwachsen geworden. Er hat sich trotz vieler Zweifler und unvorteilhafter spanischer Presse durchgesetzt. Unter Mourinho war er unantastbar, wobei ihm seine gute Beziehung zum umstrittenen Trainer nach dem Abschied des Portugiesen auch wieder negativ ausgelegt wurde.

Dass Khedira ein Mourinho-Protege war, hat mit dem Abrutschen ins zweite Glied unter Carlo Ancelotti aber nichts zu tun. Entscheidend für Khediras schleichenden Abschied aus der Stammformation war die jüngere Verletzungsgeschichte.

Im November 2013 riss im Testländerspiel in Italien das Kreuzband im rechten Knie. Khedira arbeitete besessen für ein Comeback im Eiltempo, um bei der Weltmeisterschaft dabei zu sein. Erfolgreich. Anceliotti berief ihn im Champions-League-Finale gegen Atletico Madrid in die Startelf, wobei Khedira nach so langer Pause allerdings keine gute Figur machte.

Er reiste nach Brasilien, kam in fünf von sieben WM-Spielen zum Einsatz, musste vor dem Finale jedoch aufgrund einer Wadenverletzung passen.

Sein Ruf ist angekrazt

Auch wenn Khedira sagt, er habe sich von den Folgen seines Kreuzbandrisses vollständig erholt, haben die letzten Monate seinem Ruf als physisch stabiler und robuster Mittelfeldspieler geschadet. Er hat wegen Muskelproblemen, Rückenschmerzen und einer Gehirnerschütterung nur 628 Pflichtspielminuten seit dem WM-Titel absolviert.

Es scheint, als würde sich sein Körper die Pause, die ihm nach dem Kreuzbandriss vorenthalten wurde, jetzt einfach zurückholen. "Ich muss ruhig bleiben, um aus dem Teufelskreis rauszukommen", sagt Khedira.

Als er sich vor dem Clasico mit einer Magenverstimmung krank abmeldete, vermuteten die spanischen Medien ein Täuschungsmanöver, weil er mit Real schon abgeschlossen habe. "Absoluter Blödsinn", sagt Khedira dazu. Die Geschichte steht dennoch beispielhaft für die Anfeindungen, denen er sich in Madrid über fünf Jahre hinweg ausgesetzt sah.

Selbstvertrauen als Schutzpanzer

Khedira hat sich deshalb ein dickes Fell angeeignet, er pflegt eine sehr selbstbewusste Eigenwahrnehmung, die in Madrid sicher als Schutzpanzer funktionieren musste. Es gibt aber nicht wenige, die dieses Selbstbewusstsein in einem anderen Umfeld als überheblich und arrogant einstufen.

Von diesem Selbstverständnis zeugt auch die Art und Weise, wie Khedira sein anstehendes Ende aktuell in der Öffentlichkeit kommuniziert. Nicht als "Entscheidung gegen Madrid", sondern als Suche nach einem "neuen Reiz in meiner Karriere" will er diesen Schritt verstanden wissen.

Dem Vernehmen nach konnte er sich aktuell aber auch nicht gegen Madrid entscheiden, weil ihm kein Angebot über die Verlängerung seines auslaufenden Vertrags vorlag. Ein entsprechendes Angebot hatte er im Sommer nach dem WM-Sieg noch abgelehnt.

Sami Khediras Opta-Statistiken der Saisons 2014/15 und 2013/14

Khediras Anforderungsprofil passt auf Schalke

Das Anforderungsprofil für seinen neuen Arbeitgeber hat Khedira schon klar umrissen. "Für mich ist nicht der Name des Vereins relevant und auch nicht der Kontostand, sondern der Plan für die nächsten Jahre", sagt Khedira. "Ich möchte einen Weg gehen, in dem ich mitgestalten und junge Spieler führen kann."

Es überrascht nicht, dass dieses Stellengesuch maßgeschneidert für Schalke 04 wirkt. Die Königsblauen mit Sportvorstand Horst Heldt, den Khedira noch aus gemeinsamen Tagen aus Stuttgart kennt, haben die besten Karten.

Sicher ist, dass der mehrmals kolportierte Transfer zum FC Bayern nichts war als ein hartnäckiges Gerücht ohne Substanz. Trainer Pep Guardiola schätzt andere Spielertypen und ist auf dieser Position bestens aufgestellt.

Parallelen zu Kevin-Prince Boateng

Klar ist aber auch, dass beinahe jeder Verein nach Real Madrid einem Abstieg vom Olymp gleichkommt. Die Königlichen sind nach wie vor das Nonplusultra im Vereinsfußball und als Champions-League-Sieger sogar mit aktueller Berechtigung.

Favorit Schalke ist mindestens zwei Stufen unter Madrid anzusiedeln. Sollte sich Khedira für einen Wechsel ins Ruhrgebiet entscheiden, wäre er unumstritten, könnte mit dauerhafter Spielpraxis auch wieder Rhythmus aufnehmen und seinem Anspruch als Führungspersönlichkeit gerecht werden.

Aber er wäre auch der Spieler im Fokus, an dem sich alle öffentliche Kritik festmachen würde. Ein Schicksal, das gerade dem ebenfalls mit seiner Gesundheit kämpfende Kevin-Prince-Boateng widerfährt, der unter ähnlichen Voraussetzungen vom AC Milan kam.

Sami Khedira im Steckbrief

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