David De Gea: Atleticos neuer Goldjunge

Von Thomas Jahn
Atletico gewann den Supercup gegen CL-Sieger Inter. David De Gea hielt den Elfer von Diego Milito
© Getty

Als Torhüter Nummer drei stand David De Gea bei Atletico Madrid kurz vor der Abschiebung. Per Zufall erhielt der schlacksige Spanier dennoch eine Chance - und nutzte diese grandios. Mit einem Europa-League-Titel im Gepäck wird der 19-Jährige nun als Nachfolger von Edwin van der Sar bei Manchester United gehandelt.

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Sechs Millionen Euro überwies Atletico Madrid im Sommer 2009 an Real Valladolid. Sechs Millionen Euro für Sergio Asenjo, der damals als größtes Torwart-Talent im spanischen Fußball galt und von zahlreichen Klubs umworben wurde.

Atletico fand mit ihm nach langer Suche den Nachfolger des legendären Leo Franco, der zuvor fünf Jahre lang die Nummer eins war. Etwas mehr als ein Jahr später hat sich wieder einmal erwiesen, dass im Fußball oft vieles anders kommt, als man denkt: Zwischen den Pfosten des Atletico-Gehäuses steht längst nicht mehr Asenjo, sondern der 19-jährige David De Gea, ein blasser 1,92-Schlacks aus dem eigenen Nachwuchs.

Der so rasche wie überraschende Aufstieg des Keepers ist nicht zuletzt ein Produkt des Zufalls. De Gea, der sämtliche spanischen Jugendnationalmannschaften durchlaufen hat, stand als Nummer drei zunächst ganz weit hinten in der Torhüter-Schlange der Rojiblancos.

Unerwartet schlitterte Asenjo Ende letzten Jahres plötzlich in eine Formkrise, dazu fiel dessen Vertreter Roberto verletzt aus. De Gea, der eigentlich längst bei einem unterklassigen Verein zwischengeparkt sein sollte, verhalf das in einer sportlich chaotischen Phase bei Atletico zu seiner großen Chance. Und er nutzte sie. Seinen ersten Auftritt hatte De Gea am 30. September 2009 beim Champions-League-Spiel gegen den FC Porto.

Flores: "Er wird niemals nervös"

Nach Atleticos Aus in der Champions League und einer miserablen Liga-Performance musste sein Coach und Förderer Abel Resino gehen. Doch auch dessen Nachfolger Quique Sanchez Flores hielt an De Gea als Nummer eins fest. Seit Februar dieses Jahres ist er aus der Startelf nicht mehr wegzudenken.

Nahezu ohne jede Anlaufzeit stabilisierte der blutjunge Schlussmann die löchrige Atletico-Abwehr. Mit außergewöhnlicher mentaler Stärke und herausragenden Leistungen behauptete er seinen Platz und hatte großen Anteil am Gewinn des zweiten europäischen Titels der Klubgeschichte, nach dem Gewinn des Europacups der Pokalsieger 1962.

"Er hat mich von Anfang an mit seiner Ruhe beeindruckt. Er ist sehr jung, aber wenn man mit ihm arbeitet, merkt man das keineswegs. Er wird niemals nervös und wirkt nicht wie ein Lehrling, sondern mehr wie ein Veteran", sagt Quique Flores über seinen Schützling.

Papa als persönlicher Chauffeur

Wenn man De Gea außerhalb des Platzes beobachtet, fällt es schwer, den Worten des Trainers Glauben zu schenken. Nach Spielen schlendert er wie ein Schuljunge mit seinem Rucksack auf dem Rücken aus der Arena. Der zarte Bartflaum im Gesicht lässt ihn beinahe noch jünger als seine 19 Jahre wirken.

De Gea lebt nach wie vor bei seiner Familie in Illescas, einem Dorf 50 Kilometer außerhalb von Madrid. Jeden Morgen fährt ihn sein Vater nach dem Frühstück zum Training. De Gea gilt als Familienmensch, wird ständig von Eltern und Geschwistern begleitet.

Seine spindeldürre Statur wirkt zerbrechlich, die Beine stehen leicht schief und die riesigen Hände passen nicht zum Rest des Körpers. Wachstumsschübe bereiteten De Gea starke Probleme im Rücken und den Knien. Beschwerdefrei ist er bis heute nicht.

De Gea: "Ich zittere nicht"

Während ihm sein physischer Aufstieg Komplikationen bereitet, scheint er den sportlichen mental bestens wegzustecken. Ex-Atletico-Verteidiger Miguel Angel Ruiz sagte in einem Fernsehinterview, dass er nie zuvor einen jungen Keeper mit solcher Ruhe und einem so großen Selbstvertrauen gesehen habe.

"Die Abwehrspieler wissen, dass hinter ihnen einer ist, der entspannt und aufmerksam ist. Ich zittere nicht", behauptet De Gea im Brustton der Überzeugung von sich. Schnell wurde er zum Publikumsliebling. Man nennt ihn bei Atletico "il nino de oro", den Goldjungen. So wie einst Fernando Torres. Eine Liebeserklärung der Fans des Arbeitervereins. "Um auf seine Stufe zu kommen, muss ich hart arbeiten", gibt sich De Gea aber bescheiden.

Ein Italiener als Vorbild

Sensationelle Reflexe, enorme Schnelligkeit trotz seiner Körpergröße, ein exzellentes Stellungsspiel und der Status des Elfmeterkillers zeichnen De Gea aus. Diese zweifellos vorhandenen Qualitäten heben ihn jedoch nicht zwingend von ähnlich talentierten Mitbewerbern ab. Was De Gea auszeichnet, ist vor allem seine mentale Stärke.

Selten fällt er eine falsche Entscheidung, selten merkt man ihm Druck oder Nervosität an. Oft hingegen gibt er seinen weitaus älteren Mitspielern entschlossen Anweisungen. Stets liegt sein Konzentrationspegel bei nahezu 100 Prozent - und dennoch lächelt er dabei. De Geas Torwartspiel ist für sein zartes Alter enorm reif. Lediglich sein etwas ungestümes Herauslaufen könnte man als Schwäche anführen.

Als Vorbild nennt er Italiens Torhüterlegende Gianluigi Buffon. De Gea favorisiert Keeper, "die sich nicht mit jeder Parade schmücken". Beobachtet man De Gea und dessen Auftreten, so wird man jedoch unweigerlich an Edwin van der Sar erinnert. "Van der Gea" rufen ihn seine Teamkollegen. Inzwischen hat der Blondschopf durch internationale Auftritte wie das Europa-League-Finale gegen Fulham auch in anderen Top-Ligen Bekanntheit erlangt.

Van der Gea für van der Sar?

So soll ausgerechnet Manchester United in Person von Sir Alex Ferguson zuletzt großes Interesse an De Gea angemeldet haben. Die Red Devils wollen den Spanier offenbar als Nachfolger des besagten van der Sar verpflichten.

Das könnte den Premier-League-Klub jedoch teuer zu stehen kommen: De Geas Arbeitspapier bei Atletico wurde im Januar bis 2013 verlängert. Die festgeschriebene Ablöse von 20 Millionen Euro könnte das klamme Atletico, das mit Sergio Agüero und Diego Forlan sein Tafelsilber an Bord hielt, zweifellos gut gebrauchen. Den Markwert des einst hochgelobten Asenjo hat De Gea längst überschritten.

Villa: "De Gea war sensationell"

Ob bei Atletico oder ManUtd - der rasante Aufstieg des David De Gea scheint derzeit unaufhaltsam. Zuletzt trieb er den FC Barcelona, insbesondere David Villa bei Atleticos 1:2-Niederlage mit einigen Wahnsinnsparaden zur Verzweiflung. "De Gea war sensationell. Er hat sein Team in vielen Situationen vor einer höheren Niederlage bewahrt", sagte der Barca-Star.

Auch Spaniens Nationaltrainer Vicente Del Bosque zollte dem in Madrid geborenen Goalie bereits Anerkennung: Im Mai 2010 nominierte er ihn für den erweiterten WM-Kader der Furia Roja, nahm ihn schließlich aber nicht mit nach Südafrika. Er war einer der letzten Streichkandidaten. Dennoch scheint sein Weg vom U-21- in das A-Tor der Spanier vorgezeichnet. Wenn da bloß nicht ein gewisser Iker Casillas wäre.

David De Gea im Steckbrief