Disziplin und ein weißer Ferrari

Von Thomas Gaber
Real-Kapitän Raul knackte den vereinseigenen Torrekord von Alfredo Di Stefano,
© Imago

Zehn Ligaspiele in Folge hat Real Madrid gewonnen und der Angriff auf den FC Barcelona ist noch nicht vorbei. "Wir werden sie weiter jagen", versprach Trainer Juande Ramos. Der Schuster-Nachfolger hat Real in kurzer Zeit einen neuen Stil vermittelt: Weg vom Zirkus, hin zu Ordnung und Disziplin. Bei SPOX erklärt Spanien-Experte Ricardo Moar die Gründe für Reals Aufschwung.

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Als er ein Teenager war, zog Raul eifrig um die Häuser. Im Schlepptau der Schwerenöter Davor Suker und Predrag Mijatovic, seinerzeit Rauls Sturmkollegen bei Real Madrid, ging "El Siete" wochenlang so richtig steil. Wein, Weib und Gesang standen auf der Agenda.

Nach Meutereien der Real-Fans, die ihren Liebling lieber im Stadion jubeln sahen als auf Zeitungsfotos betrunken in Dekollettes hängend, entschuldigte sich Raul unter Tränen via TV für seine "Eskapaden". Elf Jahre ist das her.

Raul hat Spaß in Mailand

In den letzten Jahren hat man Raul kaum noch auf Partys angetroffen, öffentliche Auftritte sind nicht mehr sein Ding. Der Real-Kapitän lebt weitgehend zurückgezogen mit seiner Familie am Stadtrand von Madrid.

Letzten Sonntag ging er ausnahmsweise mal privat auf Reisen. Real-Coach Juande Ramos hatte seinen Spielern am Tag nach dem 2:0-Sieg bei Espanyol Barcelona freigegeben. Raul flog nach Mailand, um sich das Spitzenspiel der Serie A zwischen Inter und dem AS Rom anzuschauen.

Raul erlebte einen faszinierenden Abend - in zweierlei Hinsicht. Inter und Rom sorgten beim 3:3 für das Highlight der Saison, nahezu zeitgleich ging der FC Barcelona trotz 2:0- und 3:2-Führung bei Atletico Madrid punktemäßig leer aus.

"Die Roma hatte gerade ein Tor geschossen, als ich eine SMS bekam. Da stand: Atletico 4, Barca 3. Da musste ich schon ein wenig schmunzeln", schilderte Raul.

Ramos krempelt Real um

"Ein wenig schmunzeln" dürfte ein wenig untertrieben sein. Vielmehr lacht sich Real Madrid seit drei Spieltagen ordentlich ins Fäustchen. Von zwölf Punkten Vorsprung sind dem FC Barcelona vier übrig geblieben. Der Tabellenführer schwächelt - und Real Madrid wird immer besser.

Ein Diplom für den schönsten Offensivfußball wird Real in dieser Saison nicht verliehen werden. Aber die Mannschaft erledigt das, was ihr neuer Trainer von ihnen verlangt: ihren Job.

Juande Ramos hat dem Team binnen weniger Wochen einen Stil vermittelt, den es in Madrid lange nicht gegeben hat.

"Dass Real Madrid eine hohe Qualität hat, weiß jeder. Aber sie haben fürchterlich gespielt. Von Taktik oder Struktur war nichts zu sehen. Unter Ramos ist endlich ein Plan erkennbar. Real spielt taktisch viel besser und hat eine Ordnung auf dem Platz", sagt Ricardo Moar, ehemaliger Macher in Hannover und nun Sportdirektor von Deportivo La Coruna, im Gespräch mit SPOX.

Glücksfall Diarra

Zehn Ligaspiele in Folge hat Real Madrid gewonnen und dabei nur zwei Gegentore kassiert. "Ramos hatte bei Tottenham keinen Erfolg. Aber er hat viel gelernt und sich vor allem taktisch weitergebildet. Von Trainerkollegen wie Rafael Benitez (FC Liverpool, d.Red.) kannst du auch viel lernen", so Moar.

Ramos brachte Lassana Diarra aus London mit. Kein Virtuose am Ball, kein Zidane oder Figo. Aber eben einer, der auch mal dazwischen haut. Diarra kommt bei den Fans gut an, weil er ehrliche Arbeit abliefert.  

Ramos ist ein Disziplinfanatiker, im Gegensatz zu Vorgänger Bernd Schuster. "Bernd ist ein guter Trainer, aber er hat den Spielern viel zu viele Freiheiten gegeben. Sie sind ihm am Ende auf der Nase herumgetanzt", vermutet Moar.

Raul stark wie lange nicht

Einer der maßgeblich an Schusters Demission beteiligt gewesen sein soll, erlebt unter Ramos seinen x-ten Frühling. Raul erzielte in den letzten drei Spielen fünf Tore und hat nun bereits deren 14 auf seinem Saisonkonto - die beste Quote seit 2001. "Er ist der weiße Ferrari bei Real", schrieb die Zeitung "AS".

"Raul ist ein feiner Kerl und ein unermüdlicher Arbeiter. Wenn er 50 Jahre jünger wäre, hätte er seinen Platz in unserer Elf gehabt", sagte der "Napolen des Fußballs" Raymond "Kopa" Kopaszewski in einem Interview mit "realmadrid.com". Kopa war Mitglied der legendären Real-Mannschaft um Alfredo Di Stefano und Ferenc Puskas, die zwischen 1956 und 1960 fünf Mal in Folge den Landesmeistercup gewann.

An die Glanzzeiten des weißen Balletts will Real so bald wie möglich wieder anknüpfen. Der letzte Champions-League-Sieg liegt sieben Jahre zurück und Real droht nach der 0:1-Pleite im Achtelfinalhinspiel gegen Liverpool abermals das vorzeitige Aus.

"Sollte Real ausscheiden, werden sie wieder Ramos' Kopf fordern. Aber man sollte ihn in Ruhe arbeiten lassen. Er kann viel erreichen", sagt Moar.

Perez kommt zurück

Doch ob Ramos bleiben darf, hängt maßgeblich von Florentino Perez ab. Der ehemalige Real-Präsident (2000 bis 2006) wird sich im Sommer erneut um den Chefposten bewerben - gegen seinen Willen.

"Ich kenne Florentino sehr gut. Er ist ein guter Junge. Aber er hat eigentlich überhaupt keine Lust, noch mal Real-Präsident zu werden. Er würde lieber sein Leben genießen. Aber die Leute, die bei Real etwas zu sagen haben, haben ihn mit Anrufen und Briefen bombardiert", weiß Moar.

"Einmal", erzählt der Depor-Sportchef, "ist ein Real-Angestellter zu einer Zeitung gelaufen und hat sich beschwert, weil Perez zu ihm nur 'Morgen' und nicht 'Guten Morgen' gesagt hat. Auf solch ein Theater hat Perez eigentlich keine Lust."

Doch der erfolgreiche Bauunternehmer und Immobilienmogul wird zurückkehren. Seine Gegenkandidaten, sofern es überhaupt welche geben wird, werden keine Chancen bei der Präsidentschaftswahl im Sommer eingeräumt. 

"Er wird wieder Stars kaufen"

Perez gründete bei Real einst die Ära "Zidanes und Pavones". Er setzte auf eine Mischung aus "Cracks" wie Zidane oder Figo und Spielern aus der Talentschmiede, der "Cantera". Er gab viel Geld für Offensivspieler aus und verweigerte den Kauf von Defensivkräften. "Verteidiger sind Verteidiger, weil sie zu schlecht als Angreifer waren", sagte Perez einmal.

Kritiker unken bereits: Perez wird sich weiter einem Paradigmen-Wechsel verwehren, wenn er wieder an der Spitze des Vereins steht.

"Er wird wieder Superstars kaufen", glaubt Moar. Der geschasste Ramon Calderon hielt sein Versprechen nicht, Kaka oder Cristiano Ronaldo zu holen. Perez wird es probieren - und die Chancen stehen schon mal nicht schlecht.

Perez' schwarze Liste

"Ich kann mir gut vorstellen, dass ich mit meinem Freund Florentino wegen Kaka ins Geschäft kommen könnte", ließ Milan-Vizepräsident Adriano Galliani verlauten.

Angeblich existiert auch eine schwarze Liste mit Spielern, die Perez loswerden will. Christoph Metzelder, Javier Saviola oder Royston Drenthe müssten demnach gehen. Der Name Juande Ramos steht nicht auf der "black list", aber ob Spektakel-Liebhaber Perez schnöden, ergebnisorientierten Fußball duldet, muss bezweifelt werden.

Dabei tut Ramos alles, um die Spielkultur zu verbessern. Weil ihm der Rasen im Londoner Emirates-Stadion so gut gefallen hat, lotste er Arsenals Gärtner Paul Burgess ins Bernabeu. Burgess ist amtierender "Platzwart des Jahres" der englischen Premier League. Eben nur das Beste für Real.

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