"Schwersten Monate meiner Karriere"

SID
Feierte nach langer Pause sein Saison-Debüt: Kevin Kuranyi
© getty

Kevin Kuranyi spielt seit im Sommer 2010 für Dynamo Moskau. In seiner SPOX-Kolumne berichtet der 31-Jährige regelmäßig von seinen Erlebnissen im fernen Russland. Diesmal spricht er über seine schwere Verletzung, die kuriosen Transfers seines Klubs und über Freunde in der Bezirksliga.

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Priwet is Moskwi,

erst einmal: Sorry. Ich habe mir diesmal ne ganze Menge Zeit gelassen, um mich mal wieder zu melden. In Russland ist schließlich schon fast ein Drittel der Saison rum. Für mich allerdings beginnt sie erst jetzt. Ich hatte am vergangenen Samstag im Derby gegen Lokomotive meinen ersten Saisoneinsatz. Ganze zwei Minuten. Aber immerhin. Seit ich mir Ende Mai die Adduktoren gerissen hatte, war ich zum Zusehen verdammt. Jetzt bin ich zurück. Hier bei SPOX und auch auf dem Platz. Gott sei Dank.

Denn die letzten Monate waren die schwersten meiner Karriere. Ich musste noch nie so lange am Stück aussetzen. Und Geduld ist nicht gerade meine größte Stärke. Aber ich wurde dazu gezwungen. Auch, weil der Riss einige kleinere Folgeverletzungen nach sich gezogen hat, die das Ganze immer länger und unerträglicher machten. Was meinen Ausfall noch schwerer machte: Dynamo befindet sich gerade in einem großen Umbruch.

Das hat eine Menge mit unserem neuen Präsidenten zu tun. Er heißt Boris Rotenberg und ich schätze ihn sehr. Menschlich, aber auch für seine sportlichen Visionen. Er will immer das Maximum. Wie ich. Und er sagt das nicht nur, er handelt auch. Kurz vor Ende der Transferperiode haben wir noch sechs (!) Spieler von Anschi Machatschkala geholt und damit unser Team qualitativ und quantitativ auf ein neues Level gehoben. Wir haben jetzt eine Mannschaft, mit der wir ganz oben mitspielen können.

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Dass wir es noch nicht tun, hat mehrere Gründe. Zum einen Verletzungspech, zum anderen sind die Neuen ja erst nach ein paar Spieltagen zu uns gestoßen. Sprich: Sie haben keine Vorbereitung mit uns absolviert, da funktionieren die Automatismen natürlich noch nicht perfekt. Die Mannschaft muss sich jetzt erst einmal neu finden.

Das Problem daran: Es muss sehr schnell gehen. Wir sind zwar noch nicht weit weg von der Spitze, müssen langsam aber sicher anfangen, den Abstand zu verkürzen. Nach neun Spielen haben wir 13 Punkte und damit zwei Zähler Rückstand auf Platz fünf (FK Krasnodar) und sieben auf Tabellenführer Zenit St. Petersburg. Aber noch ist nichts verloren. Und ich hoffe, ab sofort dazu beitragen zu können, dass wir angreifen.

Um nach oben zu kommen, müssen wir noch an einigen starken Teams vorbei. Allen voran an ZSKA Moskau: Der Meister und Pokalsieger der vergangenen Saison ist für mich Topfavorit und mischt auch schon wieder an der Tabellenspitze mit. Einige von euch haben ZSKA vielleicht letzte Woche als Gegner der Bayern gesehen und fragen sich jetzt: Was erzählt der Kuranyi jetzt hier für Blödsinn? Aber ich kann euch nur sagen: In der Allianz-Arena hat die Mannschaft zum einen gegen das beste Teams Europas gespielt und zum anderen nicht sein wahres Gesicht gezeigt. Wahrscheinlich hängt das eine auch mit dem anderen zusammen.

Größter Konkurrent für ZSKA wird wohl - wie in der abgelaufenen Saison - Zenit St. Petersburg werden. Auch unsere Lokalrivalen Spartak und Lokomotive mischen vorne mächtig mit. Und wir wollen da auch hin.

Für Anschi Machatschkala wird es dagegen wohl nicht mehr ganz nach oben reichen. Es kam für alle überraschend, dass ausgerechnet der Klub, der bisher mit riesigen Ambitionen ganz nach oben strebte, direkt nach dem Saisonstart zuerst Trainer Guus Hiddink verlor und dann auch noch seine komplette Mannschaft verkauft hat. Der Verein wollte die teuren Gehälter nicht mehr bezahlen und auf die eigene Jugend setzen - dabei wurden gerade erst knapp 50 Millionen Euro für Neuverpflichtungen ausgegeben. Warum Klubbesitzer Suleiman Kerimow auf die Bremse getreten ist, weiß keiner so genau. Und ich will mich auch gar nicht an irgendwelchen Spekulationen beteiligen. Aber dass der Ausverkauf von Anschi hier in der Liga ein mittleres Erdbeben ausgelöst hat, könnt ihr euch sicher vorstellen.

Beispiele gefällig? Willian und Samuel Eto'o, sind zum FC Chelsea gewechselt, Mbark Boussoufa, Lassana Diarra und Arseni Logaschow wurden an Lokomotive abgegeben und sechs Spieler kamen zu uns. Der verrückteste "Neuzugang" war sicherlich Alexander Kokorin. Denn Sascha hatte uns nur wenige Wochen zuvor in Richtung Machatschkala verlassen. Wir allen haben dies bedauert und auf eine Rückkehr gehofft. Aber dass es so schnell geht, damit hatte wohl keiner gerechnet. Eine irre Geschichte - aber gut, dass er wieder da ist. Und eine große Eingewöhnungszeit braucht er sicher auch nicht.

Zusammen mit Sascha kamen zwei weitere russische Nationalspieler: Igor Denisow und Juri Schirkow. Auch bei Denisow war es kurios. Er war erst vor der Saison von Zenit nach Machatschkala gewechselt. Nur wenige Tage nach diesem "Dreierpack" folgte ein weiteres Trio: Christopher Samba, Wladimir Gabulow und Alexej Ionow. Aber ganz egal wie außergewöhnlich diese Geschichte auch ist: Ich bin froh, dass wir uns verstärkt haben. Und nach all dem Wechseltrubel kehrt nun Ruhe ein und wir können uns darauf konzentrieren, die Aufholjagd zu starten.

Ich habe mir jedenfalls vorgenommen, meine nächste Kolumne unserer sagenhaften Siegesserie zu widmen, die am kommenden Donnerstag gegen Rubin beginnt. :-)

Bis dahin!

Es grüßt euch

der Kevin ;)

PS: Der deutsche Fußball kam heute etwas zu kurz. Aber ich muss euch trotzdem schnell ein Geständnis machen. Ich drücke nicht nur dem VfB und Schalke die Daumen - sondern auch der TSVgg Münster und Calcio Leinfelden-Echterdingen. Das Dilemma: die beiden sind in der Bezirksliga Stuttgart direkte Konkurrenten um Platz eins und bei beiden spielen gute Freunde von mir. Torsten Smolcic in Münster und Sandro Villani bei Calcio. Ich sehe es positiv: So habe ich immerhin die doppelte Chance, eine Einladung zur Meisterfeier zu bekommen. Allerdings nur, wenn es ihre Teamkollegen auch weiterhin schaffen, die beiden mitzuziehen :-). Einfach wird das sicher nicht - aber ich werde es weiterhin intensiv beobachten, wie auch das Beweisfoto hier zeigt.

Kevin Kuranyi, geboren am 2. März 1982 in Rio de Janeiro, gehört zu den besten Stürmern Deutschlands. Von 2001 bis 2005 spielte er als Profi für den VfB Stuttgart, danach wechselte er zum FC Schalke 04. Seit Sommer 2010 trägt Kuranyi nun das Trikot von Dynamo Moskau. Für die Nationalmannschaft war er bislang 52 Mal im Einsatz. Mehr Informationen über Kevin Kuranyi gibt es unter www.kevin-kuranyi.de

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