Der Scudetto ist nicht genug

Von Tim Holzwarth
Massimiliano Allegri (M.) trainiert seit dieser Saison Juventus Turin
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Architekt vs. Bauleiter

Kein anderer verkörperte die Dominanz der Alten Dame in der letzten Saison besser als Pirlo. Gerade bei engen Spielen und Arbeitssiegen war es nicht selten "der alte Mann mit dem Bart", der mit einem seiner Geistesblitze die Entscheidung herbeiführte. Pirlo führte im zentralen Mittelfeld Regie und bekam von Conte die Freiheiten zugesprochen, die er benötigt, um mit seinen Qualitäten eine Partie zu entscheiden.

Bei den Juve-Fans geht nun die Angst um, "Bauleiter" Allegri könnte, wie schon in Mailand, die größte Waffe des Teams stumpf werden lassen, indem er die Vorstellungen und Visionen seines "Architekten" zu sehr einschränkt.

Momentan fällt Pirlo noch mit einer Hüftverletzung aus, sein erster Stellvertreter ist Claudio Marchisio. Dahinter wurden mit Luca Marrone (Sassuolo) und Roberto Pereyra (Udine) zwei Neue für das zentrale Mittelfeld verpflichtet, die sich allerdings erst beweisen müssen.

Pogba unersetzbar

Als nahezu unersetzbar gilt dagegen schon Paul Pogba. Trotz seiner erst 21 Jahre bestritt der Franzose vergangene Saison 36 von 38 Ligaspielen und trug einen großen Teil dazu bei, dass das Mittelfeld-Dreieck mit Vidal und Pirlo das Nonplusultra der Serie A darstellte.

Gemeinsam mit dem Chilenen hält Pogba Pirlo, der als feinstes und wichtigstes Zahnrad im Juve-Spiel agiert, den Rücken frei und entwickelt zudem Torgefahr. Als wandelbarer Spieler mit Defensiv- wie Offensivstärken gilt der Franzose als das zukünftige Gesicht der Bianconeri.

Das Bild im Angriff prägte vergangene Saison das Sturmduo Carlos Tevez und Fernando Llorente. 19 Tore und sieben Assists gepaart mit 16 Treffern und fünf Assists bedeutete zusammen mit Immobile/Cerci das erfolgreichste Duo der letzten Saison.

Morata als Lösung?

Den Ansprüchen konnte Llorente, vor allem international, dennoch nicht genügen. Umso verwunderlicher, dass die Transferrechte an Ciro Immobile, dem erfolgreichsten Stürmer der Serie A, für acht Millionen Euro abgetreten wurden, um Budget für den Wunschstürmer zu schaffen. Ob es sich dabei bereits um Morata handelte, ist nicht überliefert. Nach Aussagen der Verantwortlichen war eine Verpflichtung des Spaniers aber von langer Hand geplant.

Morata soll nun besser ins System passen als der oft unbewegliche Llorente. Allegri, der schon bei Milan auf eine variable Angriffsreihe mit viel Bewegung in und um den Strafraum setzte, dürfte einen solchen Spielertyp mit offenen Armen empfangen.

Die Alternativen für die vorderste Front sind aber dennoch recht rar gesät. Vor dem ersten Saisonspiel und in Abwesenheit von Morata stand eigentlich nur Sebastian Giovinco als ernsthafte Möglichkeit zur Verfügung. Eigentlich.

Coman als Joker

Denn bei Bedarf kann Allegri nun einen weiteren Joker ziehen. Kingsley Coman ist zarte 18 Jahre alt, kam vor der Saison ablösefrei von PSG nach Turin und stand gegen Chievo in der Startelf. Doch nicht nur das. Der Franzose präsentierte sich spielfreudig und torgefährlich und war auffälligster Offensivakteur in Reihen der Bianconeri.

Coman entschied sich bewusst für Juve, obwohl er von zahlreichen europäischen Topklubs umworben wurde. "Es gab da den FC Bayern, Leverkusen, Liverpool, Arsenal sowie Girondins Bordeaux, besonders bei Bordeaux habe ich lange gezögert. Aber bei Juve haben französische Spieler eine gewisse Tradition", erklärte der 18-Jährige gegenüber "L'Equipe".

"Einige von ihnen haben dort Großes erreicht. Also sagte ich mir: Warum nicht auch ich?" Die Rede ist von Fußballgrößen wie Platini, Deschamps, Viera, Thuram, Zidane und als aktueller aufgehender Stern auch Paul Pogba.

Erster Anflug von Dominanz

Der Auftritt des U-21-Nationalspielers war über weite Strecken die einzige Neuerung im Turiner Spiel. Zwar fiel der Sieg gegen Chievo mit 1:0 recht spärlich aus, doch die Dominanz der vergangenen Saison kündigte sich, unter anderem durch 21 von OPTA gezählte Torschüsse, schon wieder an.

Nach Meinung des neuen Trainers verhielt sich sein Team aber besonders nach dem Seitenwechsel zu passiv und musste sich am Ende bei Gianluigi Buffon bedankten, dass Chievo nicht mehr zum Ausgleich kam. "Manchmal neigen wir dazu uns zurückzuziehen. Wir müssen versuchen, ein wenig offensiver zu bleiben", so Allegri.

Im ersten Heimspiel konnte der Neu-Coach damit schon zufriedener sein, denn beim 2:0 gegen Udinese ließ Juve über die gesamte Spielzeit keinen Zweifel daran, wer als Sieger vom Platz gehen würde.

In der Defensive machte sich auch das Fehlen der beiden Stützpfeiler Giorgio Chiellini und Andrea Barzagli bemerkbar. Letzterer steht nach mehr als zwei Monaten Verletzungspause allerdings kurz vor seinem Comeback und sammelte beim 5:3-Testspielsieg über den Siebtligisten Pro Settimo Eureka bereits wieder Spielpraxis.

Mit von der Partie war dabei auch Alvaro Morata, der in einem 4-3-3 in einer offensiven Dreierreihe neben Tevez und Llorente agierte.

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