Fluppen, Grappa, tausend Tore

Von Norbert Pangerl
Zöpfchen und Bison: Roberto Baggio (l.) und Dario Hübner gemeinsam bei Brescia
© Getty

In den 1990ern gehörte Dario Hübner zu den besten Stürmern der Serie A und sicherte sich mit stolzen 35 Jahren noch die Torjägerkanone. Doch "der Bison" ließ nicht nur die Tornetze quer durch Italien zappeln, sondern galt auch abseits des Platzes als großer Genießer.

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Premier League, immer wieder Premier League. Wer sich im 21. Jahrhundert für Fußball interessiert bekommt es immer wieder um die Ohren: "Premier League - Die beste Liga der Welt!" Die besten Spieler, die besten Trainer, die besten Mannschaften, die besten Fans, die besten Stadien.

Ohne Superlativ kommt heutzutage keine Beschreibung der höchsten englischen Spielklasse mehr aus. Die Serie A? Sorgt nur noch durch veraltete Stadien, Manipulationsskandale und randalierende Zuschauer für Schlagzeilen. "Wir waren ein Luxus-Restaurant, jetzt sind wir eine Pizzeria", brachte es Milan-Vize Adriano Galliani blumig auf den Punkt.

Wer als Fußball-Kind der 1990er im Luxus-Restaurant zu Gast war und mit Größen wie Batistuta, Bergomi oder Beppe Signori groß wurde, denkt mit Wehmut an die große Zeit des Calcio zurück. Als die Messis noch Baggio und die Piques noch Vierchowod hießen und illustre Namen wie Cremonese, Foggia oder Vicenza ihre Fans von Titeln und Triumphen Träumen ließen.

Auch in Brescia wechselte zu dieser Zeit die Gemütslage nahezu jährlich zwischen Aufstiegs-Euphorie und Abstiegsfrust. In diesen Jahren tauchte ein Spieler im Trikot der Lombarden auf, der sich zuvor in den Niederungen des italienischen Profifußballs einen Namen gemacht hatte, den aber trotzdem niemand mehr so recht auf der Rechnung hatte: Dario Hübner.

Serie-A-Debüt mit 30

Als der bereits 30-jährige Mittelstürmer am ersten Spieltag der Saison 1997/1998 gegen Inter Mailand sein Serie-A-Debüt feierte, interessierte das freilich niemanden. Die Kameras waren auf den brasilianischen Superstar Ronaldo gerichtet, der seinen Einstand im Trikot der Nerazzurri feierte. 90 Minuten später hatte Brescia zwar keine Punkte auf dem Konto, doch Spätstarter Hübner erstmals seine Spuren in der Torschützenliste der Serie A hinterlassen.

Geboren im Friaul, machte Hübner mit 20 seine ersten Schritte in Richtung höherklassigem Fußball. Für Pievigina netzte er zehnmal in 25 Spielen und empfahl sich so für einen Vertrag beim damaligen Viertligisten Pergocrema. Über Fano, wo er sich die Torjägerkanone der Serie C sicherte, landete "der Bison", wie ihn seine Fans liebevoll nannten, schließlich bei Cesena in der Serie B. Für die Seepferdchen lochte er in der zweiten Liga in 166 Einsätzen 74-mal und konnte sich 1996 die nächste Kanone ins Regal stellen.

Cesena statt Milan oder Inter

Angebote der großen italienischen Klubs blieben aber trotz der beeindruckenden Torbilanz des bulligen Brechers Mangelware. "Als ich in Cesena gekickt habe, war ich kurz davor bei Milan zu unterschreiben. Ich absolvierte ein paar Vorbereitungsspiele und der Vertrag war ausgehandelt. Doch dann boten die Rossoneri meinem Klub keine interessanten jungen Spieler im Austausch für mich. Am Ende wurde nichts aus dem Wechsel. Auch bei Inter habe ich es versucht. Aber am Ende hat sich immer alles in Rauch aufgelöst", so Hübner über seine vergeblichen Versuche ganz oben Fuß zu fassen.

Vielleicht war es für den Lebemenschen Hübner aber auch besser, sein Können weiter in die Dienste von Underdogs wie Cesena oder Brescia zu stellen. Gerüchten zufolge steckte sich der passionierte Raucher auch während seiner Zeit in der Serie A gerne in der Halbzeit eine Zigarette an und aufmerksame "Laola"-Zuschauer können sich noch heute an den, nach einer Auswechslung lässig mit Zigarette im Mundwinkel an der Wetterschutzwand der Trainerbank lehnenden Knipser erinnern.

"Ich habe immer geraucht, auch heute noch. Das macht mich frei und ich fühle mich jung dabei", macht Hübner keinen Hehl aus seiner Leidenschaft, die so manchen Trainer zur Weißglut brachte. "Das Wichtigste ist es nicht zu übertreiben."

Super-Duo mit Roberto Baggio

In Brescia liebten sie ihren Tatanka trotz oder gerade wegen seiner Laster und natürlich auch wegen seiner zahlreichen Tore, die er für den Klub in der ersten und zweiten Liga erzielte. Als im Jahr 2000 der alternde Roberto Baggio seine Zelte in Brescia aufschlug, bombten die beiden Oldies die Rondinelle mit 27 von 44 Toren zum souveränen Klassenerhalt. Trotz der fruchtbaren Kooperation der beiden, bezeichnet Hübner Baggio in der Rückschau nicht als besten Spieler, mit dem er jemals zusammenspielte.

"Es wäre einfach Baggio zu nennen. Aber ich traf Baggio am Ende seiner Karriere, als er bereits die erfolgreichsten Kapitel geschrieben hatte. Deshalb entscheide ich mich für zwei andere: Filippo Galli und Andrea Pirlo. Der Erste war außergewöhnlich: tausend Verletzungen, aber eine Entschlossenheit und Stärke die seinesgleichen suchte. Außerdem ein absoluter Musterprofi. Der Zweite ist einfach nur pure Klasse. Ich würde sagen, Andrea Pirlo ist der stärkste meiner ehemaligen Mitspieler."

Während Pirlo im Jahr 2001 von Brescia aus seine Ausnahmekarriere beim AC Milan startete, war für Hübner trotz seiner 17 Saisontore kein Platz mehr im Kader. Mit 34 Jahren schien das Karriereende nahe und wieder rechnete niemand mehr mit Hübner, als er schließlich bei Aufsteiger Piacenza anheuerte.

Capocannoniere gemeinsam mit Trezeguet

Die Kombination Hübner/Außenseiterklub erwies sich aber erneut als Volltreffer. Präzise wie ein Uhrwerk knipste Hübner Piacenza mit 24 Buden zum Klassenerhalt und sich selbst gemeinsam mit David Trezeguet zum Torschützenkönig. Mit reifen 35 Jahren schaffte er damit als erster ein Kunststück, das außer ihm nur noch Igor Protti gelingen sollte: Capocannoniere der Serie A, B und C.

Es wurden sogar Stimmen laut, Giovanni Trapattoni solle Hübner mit zur WM nach Japan und Südkorea nehmen. "Hübner ist ein großartiger Spieler, aber zu alt für einen Wettbewerb, bei dem du alle drei Tage ein Spiel hast", gab es eine klare Absage des Maestros.

"Ich rauche, laufe wenig, aber spiele immer noch"

Nach 14 weiteren Toren für Piacenza und erfolglosen Aufenthalten in Ancona und Perugia, machte sich der Grappaliebhaber schließlich zurück auf den Weg in den Amateurfußball.

"Ich rauche, laufe wenig, aber spiele noch immer", erklärte Hübner mit einem Augenzwickern. "Ich liebe es, Fußball zu spielen. Für mich ist es der pure Spaß, ein Vergnügen. Noch dazu hier in Cavenago, drei Kilometer von zuhause entfernt und mit meinen Freunden. In Form bleiben und dabei Spaß haben, was kann man mehr verlangen?" Erst 2010 beendete er endgültig seine Karriere.

Trainerlizenz, Gemüsegarten, Bar

Heute paukt der 45-Jährige für seine Trainerlizenzen. "Ich möchte mich als Trainer weiterentwickeln, aber ich muss noch eine Menge Erfahrung sammeln: Ich muss lernen, wie ein Trainer zu denken und weiß mittlerweile Sachen, von denen ich als Spieler keine Ahnung hatte."

Aber auch das leichte Leben darf nach wie vor nicht zu kurz kommen. Neben seinem Gemüsegarten kann man Hübner auch immer wieder in der Bar seiner Familie finden. Bei Zigarette und Espresso blickt der Ex-Torjäger dann zufrieden zurück. "Als junger Mann war ich Schmied und bearbeitete Aluminium, wenn mir damals jemand so eine Karriere prophezeit hätte... Ich bin super glücklich."

Dario Hübner im Steckbrief