Inter: Aufholjagd ohne das Kronjuwel

Von Christian Bernhard
Inter ist vor dem Derby gegen Milan wieder an der Spitzengruppe dran
© Getty

Inter schien sich in der Serie A schon sehr früh aus dem Titelrennen verabschiedet zu haben, zeitweise rangierten die Mailänder auf Rang 17. Doch die Nerazzurri gewannen sieben ihrer letzten acht Ligaspiele und können nun mit einem Sieg im Derby gegen Milan wieder ganz vorne angreifen. Die Hauptgründe für die Aufholjagd des Teams von Trainer Claudio Ranieri.

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Das Mailänder Derby ging in den Transferintrigen um Pato und Carlos Tevez der letzten Tagen beinahe unter. Dabei ist es für Inter die große Chance, wieder ganz vorne mitzumischen. Eigentlich unvorstellbar, denn nach dem 7. Spieltag lag Inter auf Rang 17 (!).

Doch mit zuletzt sieben Siegen in den letzten acht Liga-Spielen sind die Nerazzurri wieder oben dran - und das, obwohl Wesley Sneijder in der Liga seit Ende Oktober verletzungsbedingt fehlt. Pünktlich zum Derby ist der Niederländer nun fit und Inter kann mit einem Dreier den Rückstand auf Meister Milan bis auf fünf Zähler verkürzen.

Die Gründe für Inters Aufholjagd

Claudio Ranieri: Der Ex-Juve- und Roma-Coach hatte keinen leichten Start auf der Inter-Trainerbank. Nach seinem siegreichen Debüt verlor Ranieri die folgenden zwei Ligapartien - die Mannschaft schien nicht aus dem Keller zu kommen. Doch der 60-Jährige nahm die schwierige Herausforderung an und schwamm sich zusammen mit dem Team frei.

"Ich bin in einem speziellen Moment zu Inter gekommen. Ich habe zwar eine niedergeschlagene Mannschaft vorgefunden, aber auch Wille und großes Zugehörigkeitsgefühl. Ich wollte nicht mehr hören, die Spieler seien alt und satt, denn ich habe gesehen, wie sie gearbeitet haben. Deshalb blieb ich auch bei den Niederlagen ruhig", sagte er im Interview mit "Mediaset Premium".

Ranieri arbeitete vor allem im psychologischen Bereich: Der Coach baute das Team wieder auf, ohne den großen Rückstand auf die Spitze ständig zu thematisieren und so erneut Druck aufkommen zu lassen. Er traf die richtigen Worte, überzeugte sowohl die arrivierten als auch die jungen Spieler und erstickte die Diskussionen über angebliche Clans im Team im Keim: "Falls die Clans aus jenen Spielern bestehen, die als erste zum Training kommen und als letzte gehen, dann bin ich der Boss der Clans."

Den Rest erledigten die positiven Ergebnisse in den letzten Wochen. "Durch die fünf Siege in Serie und die guten spielerischen Vorstellungen in den letzten drei Partien ist unser Selbstvertrauen gestiegen", sagte Diego Forlan "Sky Italia".

Taktisch variierte Ranieri: Nachdem er mit dem Ausfall von Sneijder vom System mit einem Zehner Abstand genommen hatte und auch das 4-2-3-1 nicht die erwünschten Ergebnisse gebracht hatte, stellte er ganz klassisch auf 4-4-2 um. Diese Entscheidung erwies sich als ideal für die Mannschaft. Durch die Rückkehr von Sneijder hat der Inter-Coach nun eine hochklassige Option mehr, womöglich opfert er am Sonntag Giampaolo Pazzini und stellt auf 4-4-1-1 mit dem Niederländer hinter Diego Milito um. Denkbar ist aber auch, dass er beim 4-4-2 bleibt und Sneijder erstmal von der Bank bringt.

Außerdem ist Ranieri ein ausgewiesener Derbyexperte: Von seinen acht letzten Derbys in Rom und Turin hat Ranieri sieben gewonnen und kein einziges verloren.

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Die Entwicklung der jungen Spieler: Ranieri hat während der Aufholjagd einige junge Spieler ins kalte Wasser geworfen - und wurde dafür belohnt. In aller Munde ist momentan Marco Davide Faraoni: Der 20-Jährige hat nur zwei der letzten acht Spiele verpasst und überzeugte mit seiner Unbekümmertheit, Zuverlässigkeit und Vielseitigkeit (kann außen sowohl in der Abwehr als auch im Mittelfeld spielen).

Gegen Parma erzielte er auf spektakuläre Weise sein erstes Serie-A-Tor und verlängerte in den vergangenen Tagen seinen Vertrag bis 2016. Faraoni macht einen sehr bodenständige Eindruck: "Jetzt, wo ich auf der großen Bühne angelangt bin, werde ich das Doppelte geben", sagte er nach seinem Premieren-Tor.

Neben Faraoni hat Ricky Alvarez den größten Sprung gemacht. Der Argentinier, der im Sommer von Velez gekommen war, galt nach einem schwierigen Start bereits als Flopeinkauf - hat sich in den vergangenen Wochen aber stark verbessert und immer öfter seine technische Klasse aufblitzen lassen. Der Argentinier fühlt sich im 4-4-2 auf dem linken Flügel pudelwohl. "Er hat begonnen, die Serie A und sich fußballerisch mit den anderen zu verstehen", sagte Ranieri.

Stürmer Luc Castagnois (19) hat Inter in Siena in letzter Minute den Sieg gesichert, Coutinho (19) und Joel Obi (20) bewiesen sich ebenfalls. Der letzte Youngster, der unter Ranieri den Anschluss an die Stammspieler gefunden hat, ist Mittelfeldspieler Andrea Poli, der sich zuvor sehr lange mit Verletzungen herumplagen musste.

Die Verletzten sind zurück: Zanetti, Cambiasso, Castellazzi, Alvarez, Zarate, Coutinho und Castaignos - diese sieben Spieler waren bis zum Oktober die einzigen im Kader ohne Verletzungen in der ersten Saisonphase. In den meisten Fällen waren es muskuläre Probleme - für Ex-Juve-Sportdirektor Alessio Secco ein klares Indiz für eine alte Mannschaft: "Die Anzahl der Verletzungen korreliert mit dem Alter der Spieler, und Inter hat sicher kein junges Team."

Bitter für die Mailänder war, dass gleich mehrere Leistungsträger (Julio Cesar, Maicon, Thiago Motta, Sneijder, Forlan, Sneijder) von den Verletzungen betroffen waren und zum Teil lange ausfielen. Schritt für Schritt sind sie aber in den vergangenen Wochen und Monaten zurückgekehrt - und Inter hat wieder Siege eingefahren.

Gegen Milan kehrt nun auch Sneijder nach monatelangem Fehlen zurück, Ranieri kann erstmal wieder aus dem Vollen schöpfen. Wie wichtig der Niederländer für Inter ist, machte Ranieri Ende des Jahres eindrucksvoll klar: "Wesley ist unser Kronjuwel. Er darf kein 'normaler' Spieler sein, sondern unser Anführer. Derjenige, der uns an der Hand nimmt und uns nach oben bringt."

Die Stürmer treffen wieder: Lange Zeit schien das Tor für die Inter-Stürmer wie verhext - besonders im San-Siro-Stadion. Erst am 15. Spieltag gelang Giampaolo Pazzini das erste Liga-Stürmertor vor heimischem Publikum.

Diego Milito feierte seine Heim-Premiere dann kurz vor Weihnachten gegen Lecce. "Der Ball wollte einfach nicht ins Tor, aber im Training war er immer voll da. Deshalb habe ich gerne auf ihn gewartet", sagte Ranieri dem "Corriere della Sera" auf Militos Ladehemmung angesprochen.

In Ranieris 4-4-2 werden die Angreifer mit vielen Flanken von den Außen gefüttert, Milito und Pazzini profitieren deutlich davon. Und jetzt kehrt auch noch Sneijder, der Assistgeber in Person, zurück - gute Aussichten für Inter.

Der Kader von Inter im Überblick