"Wir steuern den Reifeprozess unserer Spieler"

Von Interview: Christian Bernhard
MilanLab-Projektleiter Daniele Tognaccini (2. v. l.) bei der Pressekonferenz in Milanello
© spox

Es ist eines das bestgehüteten Geheimnisse im internationalen Spitzenfußball: das MilanLab des AC Mailand. SPOX war einen Tag im Trainingszentrum der Rossoneri in Milanello zu Gast und durfte einen Blick hinter die Kulissen werfen. Daniele Tognaccini, Konditionstrainer und Projektleiter des MilanLab, stand Rede und Antwort. Er erklärte, was es mit dem MilanLab auf sich hat und sprach über die Zukunft der Trainingssteuerung.

Cookie-Einstellungen

SPOX: Herr Tognaccini, lässt sich das Prinzip des MilanLab in einem Satz beschreiben?

Daniele Tognaccini: Das Prinzip hinter dem MilanLab ist sehr einfach. Die Vergangenheit der Spieler wird numerisch erfasst und ausgewertet. Anhand dieser Daten wird das Training jedes einzelnen Spielers geplant, neue Daten erfasst und diese fortwährend mit den alten verglichen.

SPOX: Wie sieht der typische Tag eines Spielers im MilanLab aus?

Tognaccini: Es gibt zwei Arten von Tests: Die kompletten, die alle 15 Tage stattfinden, in denen alle Daten des Spielers neu erfasst werden. Diese dauern ca. 25 Minuten. Und die Kontrolltests, sprich kurze Test von zwei bis drei Minuten, mit denen gecheckt wird, ob das Training in die richtige Richtung läuft, oder ob was verändert werden muss. In beiden Fällen kommen die Spieler vor dem Training zu uns und absolvieren die Tests. Danach setzt jeder einzelne sein Programm fort, der einzige Teil, der für alle gleich ist, ist das Mannschaftstraining mit dem Ball.

SPOX: Im Zusammenhang mit Milan wird oft von einer alten Mannschaft gesprochen...

Tognaccini: Unser Alterschnitt liegt bei 30 Jahren. Wir sind das älteste Team, das je die Champions League gewonnen hat und hatten dabei mit Paolo Maldini auch den ältesten Kapitän auf dem Feld. So sind die Fakten.

SPOX: Wird die Bedeutung des MilanLab für ältere Spieler noch größer?

Tognaccini: Das wichtigste ist es, komplett individualisierte Trainingsprogramme zu erstellen. Egal, ob es um Übungen, Speisepläne oder Ruhephasen geht. Jeder Mensch ist anders und es ist klar, dass ein junger Spieler viel mehr aushält. Wird ein Spieler älter und hat viele Spiele auf dem Buckel, ändert sich das. Man muss einen Weg finden, die Leistungsfähigkeit des Spielers hochzuhalten und dabei den Risiken, die auftreten, wenn man alles macht, aus den Weg  zu gehen.

SPOX: Wie groß sind die Unterschiede zwischen jungen und älteren Spielern für Ihre Arbeit?

Tognaccini: Sehr groß, die komplette Ausgangslage verändert sich. Nehmen Sie Massimo Ambrosini und Ignazio Abate: Sie sind in verschiedenen Lebenssituationen, haben unterschiedliche Ziele und sind physiologisch komplett verschieden. Im Unterschied zu vielen anderen passen wir den Schuh dem Fuß an, nicht umgekehrt. Wir arbeiten bereits seit mehr als zehn Jahren mit einigen Spielern und haben so ihren Altersprozess hautnah mitverfolgt. Im Prinzip haben wir ihren Reifeprozess durch unsere Arbeit gesteuert.

SPOX: Können Sie anhand der Daten Verletzungen voraussagen?

Tognaccini: Anhand der Daten lassen sich Warnsignale erkennen. Manchmal sind diese negativ, manchmal positiv und in gewissen Fällen kann man sie nicht einmal berücksichtigen. Gewisse Spiele erfordern die Präsenz der Topspieler - auch wenn der Fußballer in diesem Moment einem erhöhten Risiko ausgesetzt ist. Man nimmt das Risiko, das etwas passieren könnte, dann in Kauf. Das MilanLab ist nicht zur Prävention da, es unterstützt diejenigen, die entscheiden müssen, sprich die Trainer.

SPOX: Inwiefern helfen Ihnen da die Daten?

Toganccini: Bereits beim Pilotprojekt vor zwölf Jahren haben wir erkannt, dass zwischen den gesammelten Daten und Verletzungen oft eine hohe Korrelation besteht. Die Entscheidung wird aber nicht nur anhand des Verletzungsrisikos getroffen. Unser Ziel ist es nicht, Spieler vor Verletzungen zu schützen, sondern ihr gesamtes Wohlbefinden zu optimieren. Das ist etwas anderes, als Verletzungen vorzubeugen.

SPOX: Wie sieht die Zusammenarbeit mit Coach Leonardo aus?

Tognaccini: Es herrscht ein kontinuierlicher Austausch. Wir geben die Daten so einfach und verständlich wie möglich an ihn weiter und raten ihm, wie sehr ein Spieler im Training belastet werden kann. Die Verantwortung liegt aber immer bei ihm.

SPOX: Wer ist der fitteste Milan-Spieler?

Tognaccini: Massimo Ambrosini hat bereits die gesamte Saison sehr gute physische Werte. Trotz seiner 33 Jahre ist sein Leistungsniveau wirklich sehr hoch.

SPOX: Ronaldinho überzeugte in dieser Saison ebenfalls mit ungewohnter Lauftstärke.

Tognaccini: Zu Beginn dieser Saison haben wir verstanden, was er braucht und uns darauf eingestellt. Für Ronaldinho ist eine gesunde Ernährung extrem wichtig und in diesem Bereich haben wir gehandelt.

SPOX: Abgesehen von Ihren Spielern: Gibt es Profis, die sie körperlich beeindrucken?

Tognaccini: Einige. Gerade eben haben wir Wayne Rooney aus der Nähe beobachten können und der Engländer ist eine Naturgewalt, beeindruckend.

SPOX: Wie sieht die Zukunft der Trainingssteuerung aus?

Tognaccini: Meiner Meinung nach muss in Zukunft versucht werden, alle bisherigen Theorien anhand der personifizierten Untersuchung jedes Einzelnen zu widerlegen. Die Wissenschaft entwickelt sich generell durch das Widerlegen der geltenden Prinzipien weiter, das muss auch im Sport passieren. Leider wurde bisher viel zu viel mit Allgemeinheiten gearbeitet: diese Übung ist gut für das, jene für etwas anderes. Das entspricht nicht der Realität.

SPOX: Warum nicht?

Tognaccini: Eine Übung erzielt bei mir im Vergleich zu ihnen komplett unterschiedliche Effekte. Man muss jeden einzelnen genauestens unter die Lupe nehmen, jeder Körper ist anders. Und der Körper verändert sich zudem mit fortschreitendem Alter. Wir müssen Methoden finden, die es uns ermöglichen, auf den Körper zu hören. Nicht apriori sagen: Heute läufst du fünf Kilometer, morgen zehn. Nein: Heute läufst du fünf, dann schauen wir uns an, wie dein Körper reagiert und programmieren dann das Pensum für morgen.

SPOX: Der Kampf um den Scudetto ist spannend wie lange nicht mehr. Inter, die Roma und Milan kämpfen um den Titel. Welche Chancen geben Sie ihrem Team?

Tognaccini: Das Team ist in Form, leider haben uns die Verletzungen von Alessandro Nesta, David Beckham und Pato etwas zurückgeworfen. Generell sind die Voraussetzungen aber gegeben, dass die Mannschaft in einem guten Zustand am Saisonende nochmal angreifen kann.

SPOX zu Gast in Milanello: Im Herzen der Milan-Familie