Die Ära Leonardo

Von Christian Bernhard
Vizepräsident Adriano Galliani (r.) präsentiert Leonardo als neuen Trainer des AC Mailand
© Getty

Der AC Milan startet nach dem Abschied von Trainer Carlo Ancelotti und dem Karriereende von Paolo Maldini einen Neuanfang. Leonardo soll als neuer Coach mit den Italienern an die erfolgreichen Zeiten unter Patron Silvio Berlusconi anknüpfen - der Brasilianer muss dabei aber aller Voraussicht nach auf seinen Landsmann Kaka verzichten.

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Für den AC Milan ging vor knapp einer Woche mehr als nur eine Serie-A-Saison zu Ende - beim 2:0-Sieg in Florenz endete eine Ära. Coach Carlo Ancelotti saß zum letzten Mal auf der Bank der Rossoneri, die lebende Milan-Legende Paolo Maldini  bestritt das letzte Spiel seiner Karriere.

Und als ob das nicht schon genug wäre, wird aller Voraussicht nach auch Superstar Kaka in den kommenden Tag das Milan-Boot verlassen und bei Real Madrid anheuern. Doch dazu später mehr.

"Wir wollen die Fans unterhalten"

In Milanello ist ein Neuanfang von Nöten. Nach acht Ancelotti-Jahren - der Italiener greift jetzt mit Chelsea nach dem Champions-League-Titel - mit zwei CL-Triumphen und einem Meistertitel soll nun Leonardo an die erfolgreichen Zeiten anknüpfen. Der Brasilianer ist seit zwölf Jahren im Verein, zuerst als Spieler, dann als technischer Direktor, und passt perfekt in Berlusconis Trainer-Anforderungsprofil: jung, Mitglied der Milan-Familie und ein Freund des offensiven Fußballs. Nur Trainer-Erfahrung hat er noch keine. Eine Pep-Guardiola-Lösung im Milan-Gewand.

"Unsere Basis wird ein offensiv ausgerichtetes 4-3-1-2-System sein. Wir wollen die Fans unterhalten, unsere Qualitätsspieler sollen ihre Talente voll ausschöpfen können", verkündete Leonardo bei seiner Vorstellung und fügte an: "Ich habe Tele Santanas Brasilien bei der WM 1982 bewundert, ein federleichtes Spiel mit zwei Außenverteidigern, die viel Druck nach vorne entwickelten."

Capello als Vorbild

Solche Worte hört Berlusconi gern. Er war es, der den 39-Jährigen als Ancelotti-Nachfolger wollte - auch wegen seiner totalen Hingabe dem Verein gegenüber. "Mein Herz hängt an Milan. Ich sehe mich als Leiter einer Struktur, die bereits sehr gut funktioniert, die aber noch besser werden kann", so Leonardo, der weiterhin auf Mauro Tassotti als Co-Trainer baut.

Die Fußstapfen, in die er tritt, sind nicht nur wegen Ancelotti sehr groß. "Wir wollen mit Leo Fabio Capellos Weg durchlaufen", verriet Galliani. Der heutige englische Nationalcoach begann bei den Rossoneri ebenfalls als Funktionär, übernahm dann die sportlichen Geschicke und startete so seine beeindruckende Trainerkarriere.

Kaka Wechsel steht bevor

Momentan dreht sich beim 17-maligen italienischen Meister aber noch alles um Kaka. Der brasilianische Superstar steht kurz vor dem Wechsel zu Florentino Perez' Real Madrid, sein Abgang würde einen enormen Einschnitt in der Milan-Geschichte bedeuten: Zum ersten Mal müssten sich die Rossoneri unter Berlusconi aus finanziellen Motiven von einem ihrer Stars trennen.

Laut Galliani ist das mehreren Gründen geschuldet. "Reals Umsatz ist doppelt so hoch wie unserer. Das Bernabeu-Stadion ist in Klubbesitz, sie müssen sich TV-Einnahmen nicht mit anderen Klubs teilen und sind steuerlich begünstigt: Zwei Millionen Euro in Italien bedeuten eine Million netto für einen Spieler, in Spanien bleiben dem Spieler hingegen 1,5 Millionen", erklärte der 64-Jährige der "Gazzetta dello Sport".

Berlusconi und Galliani verkündeten unisono, sich "jährliche Verluste im Bereich von 50 bis 70 Millionen Euro in der heutigen Zeit nicht mehr leisten" zu können. Also bleibt wohl nur der Verkauf Kakas. Oder aber Milan bittet die Scheichs um den Magnaten Rachid Al Maktoun aus Dubai ins Haus und würde sich so aller Geldsorgen - für's erste - entledigen.

Demo der Milan-Ultras

Für die Tifosi aber ist das alles Schmutz. Die Ultras aus der Kurve wollen von buchhalterischen Winkelzügen nichts wissen. Sie wollen Erfolge. Und sie wollen, dass Kaka bleibt.

Am Sitz der Rossoneri in der Mailänder Innenstadt sprühten sie ein bissiges "Milan gehört uns" auf die Fassade, am Donnerstagabend fand eine Demo der Milan-Ultras statt. "Vereinsführung, ihr verliert eure Würde" war u.a. auf einem großen Spruchband zu lesen.

Giancarlo Capelli, Kopf der "Curva sud", berichtete, dass ihm Kaka soeben am Telefon erzählt habe, dass er bei Milan bleiben wolle, der Verein ihn aber zum Verkauf freigegeben habe. Auch die VIP-Fans machten mobil: Komiker und Edel-Fan Teo Teocoli kündigte im Falle eines Verkaufs von Kaka an, nicht mehr ins Stadion zu kommen.

Wichtige Spieler kehren zurück

Personell wird so oder so kein großer Umbruch kommen. Galliani hat bereits angekündigt "einen Top-Angreifer, der auch Kakas Position ausfüllen kann" zu verpflichten, falls der Brasilianer verkauft wird. Hinter vorgehaltener Hand tuschelt Mailand schon von Juventus' Stürmer Amauri.

Dazu gibt es einige "Neue", die bei den Mailändern bereits im Kader stehen. Alessandro Nesta, Gennaro Gattuso und Marco Borriello haben mehr oder weniger die komplette Saison verpasst und sollen in der kommenden Spielzeit wieder eine tragende Rolle spielen. Auch Abwehrspieler Khakaber Kaldze war monatelang außer Gefecht. Außerdem könnte die an Parma ausgeliehene Stürmerhoffnung Alberto Paloschi an die Basis zurückkehren.

Große Erwartungen setzen die Rossoneri in Thiago Silva. Der brasilianische Verteidiger wechselte bereits im Winter nach Mailand, musste sich aber so wie ein Jahr zuvor auch Pato ein halbes Jahr gedulden, da alle Nicht-EU-Bürger-Plätze bei den Rossoneri besetzt waren. Nach monatelangem Training darf er zur kommenden Saison eingesetzt werden. Bei Milan halten alle große Stücke auf den 24-Jährigen - selbst Maldini adelte ihn bereits als "Top-Verteidiger".

Ronnie soll zurück zu alter Stärke

Und dann steht immer noch ein gewisser Ronaldinho im Kader. Der Ex-Weltfußballer kam unter Ancelotti trotz eines tollen Saisonbeginns nur selten zum Zug, unter seinem Landsmann Leonardo soll der 29-Jährige wieder aufblühen. "Ronnie möchte allen beweisen, dass er wieder zu alter Stärke zurückfinden kann und ich werde ihm dabei behilflich sein", so Leonardo, der in seiner aktiven Zeit selbst als Spielmacher auf dem Rasen agierte und einen Wunsch an die Vereinsführung hat: "Ich möchte Spieler, die mir Druck auf den Flügeln garantieren. Das ist mir sehr wichtig."

Nach zwei trophäenlosen Jahren lechzen die Rossoneri nach einem Titelgewinn. Galliani hat bereits Großes vor: "Der AC Milan wurde schon oft totgesagt, wir sind aber immer wieder zurückgekommen. Nach der Sacchi- und Capello-Ära, sowie der Tabarez-Zaccheroni-Terim-Phase und der Ära Ancelotti, sind wir nun bereit, eine fünfte Ära zu starten." In die Ära Leonardo.

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