Schwere Krawalle: Italien versinkt im Chaos

SID
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© Getty

Arezzo - Ein offenbar "tragischer Fehler" hat am Sonntagvormittag zum Tod eines Fußball-Fans in Italien geführt und für schwere Ausschreitungen bis in die späte Nacht gesorgt.

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Der 26 Jahre alte Lazio-Fan Gabriele Sandri wurde am Sonntag auf einer Autobahnraststätte in der Nähe von Arezzo erschossen. Ein Verkehrspolizist hatte den Schuss mit seiner Dienstwaffe abgegeben und Sandri in dessen Auto getroffen. Dies berichtete der Rechtsanwalt der Familie des Opfers, Luigi Conti.

"Ich habe erst einen Warnschuss in die Luft abgegeben, der zweite Schuss hat sich beim Laufen gelöst", sagte der mutmaßliche Todesschütze der Zeitung "Corriere della Sera".

Er habe auf "niemanden gezielt", betonte der Beamte. "Ich bin ruiniert, ich habe zwei Familien zerstört, die des Jungen und meine eigene", sagte der 31-jährige.

Spielabbruch in Bergamo 

Das am Sonntag angesetzte Punktspiel zwischen Meister Inter Mailand und Lazio Rom wurde daraufhin kurzfristig abgesagt.

Überschattet wurde der Spieltag zudem von schweren Krawallen in Bergamo. Das Duell zwischen Atalanta und Champions-League-Sieger AC Mailand wurde am Sonntagnachmittag nach nur sieben Minuten abgebrochen, nachdem Hooligans versucht hatten, eine Glasbarriere zu durchbrechen. 

Schon vor Spielbeginn war es zu Ausschreitungen gekommen. Eine Gruppe von Atalanta-Ultras bewarf vor dem Stadion einen Polizei-Jeep mit Steinen, Milan-Hooligans griffen außerdem die Polizisten mit Stöcken und Steinen an. "Das hier ist wie Bürgerkrieg - und wir sidn mittendrin. Dabei haben wir mit all dem gar nichts zu tun. Der Verlierer ist immer der Fußball", sagte ein geschockter Clarence Seedorf.

Ausnahmezustand in Rom

Alle Spiele der Serie A am Sonntagnachmittag - mit Ausnahme von Inter gegen Lazio - begannen wegen des Vorkommnisses in Arezzo mit 15 Minuten Verspätung. Dies hatte die Fußball-Liga in Abstimmung mit dem italienischen Innenministerium, das am Montag ein Reiseverbot für alles Tifosi verhängen will, beschlossen.

Am Abend musste dann noch die für 20.30 Uhr vorgesehene Partie zwischen dem AS Rom und Cagliari Calcio aus Sicherheitsgründen abgesagt werden. Mehrere Hundert bewaffenete Randalierer griffen in Rom eine Polizeistation und den Sitz des Nationalen Olympischen Kommitees (CONI) an. Auch vor dem Olympiastadion kam es zu Ausschreitungen.

Auch in Mailand kam es zu gewalttätigen Zusammenstößen. Fans warfen Steine auf eine Polizeistation, zwei Journalisten wurden zusammengeschlagen. In Siena wurden Polizisten als "Mörder" beschimpft. Zu Ausschreitungen kam es auch am Rande von Partien unterer Spielklassen in Süditalien.

Ministerpräsident Romano Prodi äußerte sich "höchst besorgt" über die tragischen Ereignisse, Oppositionsführer Silvio Berlusconi sprach von einem "schrecklichen Tag".

"Ein tragischer Fehler" 

In Arezzo wurde der genaue Ablauf des Unglücksfalles sehr schnell aufgeklärt. Die vom Polizisten abgefeuerte Kugel war offenbar durch die Heckscheibe in Sandris Auto eingedrungen und hatte den Fan getroffen, so Conti. Das Fahrzeug, ein Renault Megane, wurde wegen weiterer Ermittlungen beschlagnahmt.

"Es war ein tragischer Fehler. Unser Polizist hat eingegriffen, um Gewalttätigkeiten zwischen kleinen Gruppen von Ultras auf der Autobahnraststätte zu verhindern", sagte der Präfekt von Arezzo, Vincenzo Giacobbe.

Am Sonntagnachmittag fand in Rom ein Fackelzug zum Gedenken an Sandri statt.

Demonstrationen gegen Innenminister

Vor dem Giuseppe-Meazza-Stadion in Mailand kam es zu Demonstrationen von Ultras gegen die Polizei. Die Demonstranten verlangten die Demission von Innenminister Giuliano Amato. Der italienische Justizminister Clemente Mastella verlangte indes strengere Maßnahmen zur Verhinderung von Gewalttätigkeiten im Zusammenhang mit Fußballspielen.

"Der Vorfall in Arezzo ist gravierend. Sport ist Wettbewerb, nicht Gewalt", sagte der Justizminister. Anfang Februar dieses Jahres war beim sizilianischen Derby zwischen Catania Calcio und US Palermo der Polizist Filippo Raciti getötet worden. Ein 17 Jahre alter Hooligan wurde damals unter dringendem Tatverdacht festgenommen.

Damals war der gesamte Fußball-Spielbetrieb aufgrund des Vorkommnisses auf dem Apennin ausgesetzt worden. Am Sonntag entzündete sich der Hass der Fans an der Entscheidung, nicht den ganzen Spieltag abzusagen. Ob das Leben eines Polizisten mehr wert sei als das eines Fans, fragten Fußball-Anhänger sinngemäß auf Plakaten. "Im Tod sind alle gleich", stand auf einem Transparent zu lesen.

Erst vor kurzem war in Italien eine Studie veröffentlicht worden, wonach die Anzahl von Verletzten durch Krawalle in der Nähe von Fußball-Stadien im Vergleich zur vergangenen Saison um 80 Prozent zurückgegangen seien. Allerdings sei das Gewaltpotenzial ungebrochen und die wirklichen Ursachen nur schwer zu bekämpfen, hieß es in der Studie. 

Der 12. Spieltag im Überblick:

Inter Mailand - Lazio Rom verlegt

Atalanta Bergamo - AC Milan abgebrochen

AS Rom - Cagliari Calcio verlegt

AC Florenz - Udinese Calcio 1:2

FC Parma - Juventus Turin 2:2

Reggina Calcio - FC Genua 2:0

AC Siena - AS Livorno 2:3

FC Turin - Catania Calcio 1:1

Sampdoria Genua - FC Empoli 3:0

US Palermo - SSC Neapel 2:1

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