"In Rom ist es am schlimmsten"

Von Interview: Haruka Gruber
berthold, thomas
© Getty

München - Von 1987 bis 1989 Hellas Verona, von 1989 bis 1991 AS Rom: Thomas Berthold (43) spielte als Italien-Legionär bei zwei Klubs, die heute noch als Hochburgen der Ultra-Szene gelten.

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Nach dem Todesfall eines Lazio-Fans und den Ausschreitungen in der Serie A erklärt der ehemalige Nationalspieler im Interview mit SPOX.com, warum er trotzdem jedem zu einem Stadionbesuch in Italien rät und weshalb er Silvio Berlusconi für den richtigen Mann für eine Reform hält.

SPOX: Würden Sie einem Bekannten raten, ein Serie-A-Spiel zu besuchen?

Thomas Berthold: Auf jeden Fall.

SPOX: Trotz der offensichtlichen Probleme in und um die Stadien?

Berthold: Ja. Ein Spiel in Italien zu sehen hat eine andere Qualität. Es ist eine Erfahrung, die man machen sollte.

SPOX: Es klingt fast, als ob ein Stadionbesuch eine Art Erlebnistrip sei.

Berthold: So habe ich das nicht gemeint. Ich wollte nur ausdrücken, dass man selbst die Erfahrung sammeln muss, wie es in Italien bei Fußballspielen zugeht, um einen richtigen Eindruck von der Materie zu haben.

SPOX: Wie war es zu Ihrer aktiven Zeit in Italien?

Berthold: Schon damals war es schlimm - auch wenn mir kein Zusammenstoß mit einem Todesfall bekannt ist. Es gab ein großes Gewaltpotenzial, vor allem in Rom. Dort war und ist es am schlimmsten.

SPOX: Sie spielten auch in Verona, das ebenfalls zu den Hochburgen der Ultras gezählt wird.

Berthold: Das stimmt. Aber die Ultra-Szene dort war zu meiner Zeit nicht so aufgeregt, wobei man natürlich die Jahre über mitbekommen hat, dass farbige Spieler mit der rechten Fanszene große Probleme hatten.

SPOX: Welche Erfahrungen haben Sie mit der Ultra-Szene gemacht?

Berthold: Als Aktiver bin ich Gott sei Dank nicht in brenzlige Situationen gekommen. Aber ich kann versichern: Wenn jemand etwas in der Richtung erleben will, muss man einmal zum Derby AS Rom gegen Lazio fahren. Danach braucht man keine Anekdoten mehr.

SPOX: Wo sehen Sie die Gründe für die Randale?

Berthold: Seit über 15 Jahren ist nichts mehr in die Infrastruktur investiert worden. Die Regierung muss endlich begreifen, dass etwas getan werden muss und die Stadien auf Vordermann bringen.

SPOX: Aber ist es nicht auch ein kulturelles Problem?

Berthold: Natürlich kann man Deutschland und Italien nicht vergleichen. Schon zu meiner Zeit gab es die Struktur mit den mächtigen Ultra-Vereinigungen. AS Rom hatte damals bereits 30.000 Ultras. Die Gewaltbereitschaft war früher schon sehr groß. Dennoch ist es nicht richtig, die ganze Nation in eine Ecke zu stellen.

SPOX: Was halten Sie von Forderungen, die UEFA oder die FIFA sollte sich einschalten?

Berthold: Überhaupt nichts.

SPOX: Warum?

Berthold: Ganz einfach: Sie sollen sich aus der ganzen Angelegenheit raushalten, weil es ein nationales Problem ist. Man sollte die Ausschreitungen nicht zu einem internationalen Problem hochstilisieren.

SPOX: Wie soll die Problematik aus Ihrer Sicht angegangen werden?

Berthold: Lösungsansätze pauschal zu formulieren ist natürlich schwierig. Sozialwissenschaftler diskutieren Stunden darüber und können sich nicht einigen. Generell glaube ich - auch wenn es abstrakt klingt -, dass sich die Verbandsvertreter, die Vereine und die Politik an einen Tisch setzen müssen und langfristige Prozesse in Gang setzen. Fußball hat einen zu großen Stellenwert in der Gesellschaft, da wird die Politik nicht tatenlos zuschauen, wie er zugrunde geht.

SPOX: Es gibt aber Zweifel, ob Politiker wie Silvio Berlusconi geeignet sind, um eine Reform einzuleiten. 

Berthold: Wer soll es denn sonst machen? Berlusconi ist ein großer Fußball-Fan und eine exponierte Persönlichkeit in der Politik und Wirtschaft. Da sehe ich keinen zweiten Politiker, der das schaffen könnte.

SPOX: Glauben Sie daran, dass der italienische Fußball zu retten ist?

Berthold: Ja. Ich glaube, dass die Leute etwas kapiert haben und die Probleme aufarbeiten werden.

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