"Helfen und kein blinder Aktionismus!"

SID
Roberto Hilbert engagiert sich bei der Aktion "Show Racism the Red Card"
© getty

Roberto Hilbert ist bei Bayer Leverkusen nicht nur Flüchtlingsbeauftragter - der Profi von Bayer Leverkusen engagiert sich auch persönlich gegen Fremdenfeindlichkeit. In seiner SPOX-Kolumne schreibt Hilbert über seine Eindrücke in Deutschland, lobt die Liga und startet einen Appell zur Hilfe.

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Hallo zusammen,

leider melde ich mich diesmal aus dem Krankenstand. Ich wurde am Knie operiert, bin aber schon wieder in der Reha. Das Knie fühlt sich gut an, alles läuft bisher nach Plan. In so einer Phase, in der man nicht alle drei Tage spielt und sich nicht sofort wieder auf das nächste Spiel fokussieren muss, findet man natürlich etwas mehr Zeit für andere Dinge des Lebens. Man findet Zeit, sich Gedanken zu machen - vor allem darüber, was derzeit in der Welt und in unserem Land passiert.

Die Flüchtlingsthematik beschäftigt natürlich auch mich und das nicht nur, weil ich bei Bayer Leverkusen zum inoffiziellen Flüchtlingsbeauftragten des Klubs ernannt wurde. Dies ist eine große Ehre für mich, das zeigt, dass der Klub meine Aktivitäten und Bemühungen rund um das Thema Fremdenfeindlichkeit wahrnimmt.

Roberto Hilbert bei Facebook

Als die ersten Flüchtlinge kamen, zeigte sich die Mehrheit der Bevölkerung offen, sie demonstrierte ihre Hilfsbereitschaft für unsere Gäste. Aber inzwischen ist zu erkennen, dass viele Menschen in Deutschland Angst haben, Flüchtlinge aufzunehmen. Das mag daran liegen, dass viele wirtschaftliche oder logistische Probleme sehen. Leider gibt es aber auch immer noch Menschen, die einfach keine Fremden in ihrer unmittelbaren Nähe akzeptieren wollen. Viele Flüchtlinge werden mittlerweile ja in Wohngebieten oder in Sporthallen untergebracht. Es heißt dann: "Wir wissen nicht, wer da kommt?", "Wir wissen nicht, wie diese Menschen ticken?" Es heißt aber auch: "Vielleicht waren sie in ihrem Land kriminell und sind deswegen hier!" Eine Einstellung, die ich nicht nachvollziehen kann!

Man sollte bei der Thematik den Anfang damit machen, zu verstehen, warum diese Menschen nach Deutschland und nach Europa kommen. Sie kommen nicht hier her, um Urlaub zu machen und sich die Zeit zu vertreiben. Nein, sie flüchten vor Krieg und/oder Terror. Sie haben oft Angst um ihr Leben.

Wir versuchen, auch mit unserer Familie diese Aufklärung zu leisten, zumal meine Frau als Kind selbst aus ihrem Land, in dem damals Bürgerkrieg herrschte, flüchten musste. Da ist die Sensibilität natürlich eine andere. In der Schule meines älteren Sohnes sind Flüchtlinge in der Sporthalle untergebracht. Meine Kinder haben nicht verstanden, warum plötzlich Menschen dort leben, wo sie sonst Sport machen. Gerade meinen älteren Sohn hat das Thema sehr beschäftigt und ich habe es ihm erklärt. Er versteht das jetzt und das ist mir sehr wichtig.

Auch bei Bayer Leverkusen haben wir es für uns zur Aufgabe erklärt, diese Menschen willkommen zu heißen und zu integrieren. Zum Beispiel, sie ins Stadion einzuladen. Klingt vielleicht wie eine Kleinigkeit. Aber für viele der Flüchtlinge ist es das erste Mal und es ist ein großes Erlebnis. Gegen den FC Augsburg waren unsere Einlaufkinder allesamt Flüchtlingskinder. Es war für alle ein großes Erlebnis, aber es ist nur ein Schritt von vielen, die man unternehmen muss, um sie einzubinden.

Ich muss an dieser Stelle auch mal die gesamte Bundesliga für ihren Einsatz loben. Es wurde viel unternommen in der Flüchtlingsthematik. Es wurden viele Bemühungen angestellt, um wichtige Signale zu senden. Schließlich haben gerade wir im Fußball eine Vorbildfunktion. Und die Bundesliga gehört zu den besten Ligen der Welt, jeder Verein ist so groß, dass er individuell, aber auch als Gruppe einen Beitrag leisten kann. Wichtig ist aber immer, dass man einen Plan hat und keinen blinden Aktionismus betreibt.

In meiner früheren Wahlheimat, in der Türkei, ist das Flüchtlingsthema auch allgegenwärtig. Ich habe durchaus Überlegungen, eine Brücke zu bilden, denn man kann sich gegenseitig sicher helfen, aber ich als einzelne Person kann da nicht viel ausrichten. Da brauche ich die Unterstützung von Menschen und Institutionen, die auch ehrlich helfen wollen. Aber vielleicht ergibt sich da ja noch was. Ich würde mich jedenfalls sehr darüber freuen.

Viele Grüße

Euer Roberto

Roberto Hilbert im Steckbrief

Roberto Hilbert, geboren am 16. Oktober 1984 in Forchheim, spielte acht Mal für die deutsche Nationalmannschaft. Nach seiner erfolgreichen Zeit beim Zweitligisten SpVgg Greuther Fürth wechselte Hilbert 2006 zum VfB Stuttgart und wurde in seiner ersten Saison auf Anhieb Stammspieler und deutscher Meister. Nach drei Jahren in der Türkei, wo er für den Spitzenklub Besiktas spielte, kehrte er in die Bundesliga zurück. Weitere Informationen zu Roberto Hilbert gibt es auf seiner Facebook-Seite.