Lyon und das verflixte achte Jahr

Von Tobias Hock
Olypmique Lyon 2009: verzweifelte Blicke und hilflose Gesten
© Getty
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Nationale Spitze und europäischer Frust

Um den Kern der sportlichen Talfahrt zu erfassen, lohnt ein Blick hinter die Kulissen. Alle wichtigen Entscheidungen trifft der starke Mann des Vereins, Michael Aulas. Der übernahm den Klub 1987 in der zweiten Liga mit dem Anspruch, ihn an die französische und europäische Spitze zu führen.

Während dieses Ziel mit der Rekordserie von sieben Meisterschaften in Folge auf nationaler Ebene eindrucksvoll erreicht wurde, ist in der Champions League spätestens im Viertelfinale Schluss.

Der "Casting-Fehler" von Michael Aulas

Dieses Manko will Aulas mit aller Macht beheben und kündigte vor der laufenden Saison an: "Wir wollen in der Champions League diesmal sehr weit kommen." Sein Ziel verfolgt der Klub-Boss unbeirrbar und scheinbar mit wachsender Ungeduld.

Trotz der Erfolge beschäftigte Lyon in den vergangen acht Spielzeiten fünf verschiedene Trainer. Vor der aktuellen Runde musste Coach Alain Perrin nach nur einem Jahr wieder gehen, obwohl er zum ersten Mal in der Vereinshistorie das französische Double gewann.

Aulas bezeichnete Perrin lapidar als "Casting-Fehler".

Lyon ist keine Einheit

Der neue Trainer Claude Puel gilt als Fußball-Lehrer englischer Prägung, der nun mit einem Kader arbeiten muss, den er nicht zusammengestellt hat und der seine Forderung nach dynamischem Power-Fußball nicht umsetzen kann oder will. Wieso sollte man auch seinen Stil ändern, nach sieben Meisterschaften?

Der Meistertitel wurde in Lyon zur Normalität und die Fokussierung auf die Champions League hat sich diese Saison auf die Spieler übertragen.

Bereits im Januar warnte der brasilianische Abwehrchef Chris: "Bordeaux scheint motivierter als wir. Es wird höchste Zeit, dass wir aggressiver werden."

Einen tieferen Einblick in das Innenleben der Mannschaft gab Gouvou gegenüber "France Football": "Entweder es gibt eine Einheit, oder es gibt sie nicht. Bei uns jedenfalls existiert sie nicht." Damals stand Olympique noch auf Platz eins.

Barca ist eine Nummer zu groß

Der Vorsprung auf die Verfolger war nach der Winterpause derart schnell aufgebraucht, dass sich die Prioritäten in der Chefetage noch einmal verschoben. Im Champions-League-Duell mit Bayern München wurden einige Stammspieler für die anstehenden Meisterschaftsspiele geschont, Juninho war gesperrt, Benzema fiel im Hinspiel verletzt aus.

Die fatalen Folgen: Lyon traf als Gruppenzweiter bereits im Achtelfinale auf den FC Barcelona und bekam bei der 2:5-Niederlage im Camp Nou deutlich die Grenzen aufgezeigt.

Für ein Weiterkommen gegen europäische Topvereine fehlt, mit Ausnahme von Benzema, einfach die Qualität im Kader.

Kleiner Funke Hoffnung

Dem deprimierenden Aus in der Champions League folgten in sechs Ligaspielen nur noch zwei Siege. Der große Traum der Spieler ist zerplatzt, die Motivation scheint verflogen, die Titelchance verspielt.

Durch das direkte Duell bei Spitzenreiter Marseille keimt in Lyon zwar noch etwas Hoffnung, doch in erster Linie soll nun die Qualifikation für die Champions League gesichert werden.

Die entscheidende Frage: Bleibt Benzema?

Vom Erreichen der Königsklasse wird wohl auch der Verbleib von Karim Benzema abhängen. Die Spitzenklubs FC Barcelona, Manchester United und Inter Mailand haben bereits ein Auge auf den Nationalspieler geworfen und beobachten gespannt die Entwicklung in der französichen Liga.

Der Verlust des Angreifers würde die grundlegende Misere von OL verdeutlichen. Ähnlich wie der FC Bayern in Deutschland hadert Michael Aulas immer wieder mit dem Standortnachteil gegenüber Vereinen aus England und Spanien.

Die neue Generation

Im Gegensatz zu anderen Startern in der Champions League ist Olympique Lyon ein finanziell gesunder Klub, der regelmäßig Leistungsträger verkaufen muss. Aus den Abgängen der letzten Jahre ließe sich ein Team mit europäischen Ambitionen formen. Mit Florent Malouda, Eric Abidal und Michael Essien stehen drei ehemalige Lyonnais im Halbfinale.

Dabei kann Olympique durchaus optimistisch in die Zukunft schauen. Mit Pjanjic und Mounier machen in der aktuell schwierigen Phase zwei junge Nachwuchstalente auf sich aufmerksam und haben den Sprung unter die ersten Elf geschafft.

Weitere Teenager werden an den Kader herangeführt. Während Gouvou kürzlich erklärte, seinen 2010 auslaufenden Vertrag nicht zu verlängern, steht die nächste Generation hungrig in den Startlöchern.

Die Vision vom "Grand Stade"

Mit einem ehrgeizigen Plan soll der Standortnachteil soll zeitnah behoben.

Seit Jahren träumt Michael Aulas von einem neuen Stadion, das ein Trainingszentrum, Hotel, Einkaufszentrum sowie einen Freizeitpark beherbergen soll. Mit dem "Grand Stade" will er neue Einnahmen generieren für den Traum von Europa.

Nach Informationen der "Süddeutschen Zeitung" soll der Verein etwa 450 Millionen Euro für den Komplex aufbringen, die Stadt Lyon etwa 180 Millionen.

Die Ungeduld des Herrn Aulas

Da sich lokale Politiker noch gegen die Investition sträuben, kündigte der ehrgeizige Klub-Boss kurzerhand an, sein Amt niederzulegen, falls das Projekt scheitern sollte.

"Ich werde das durchziehen", polterte Aulas, notfalls auch mit einem Verein in einer anderen Stadt.

In der Stadion-Diskussion sowie beim Umgang mit Trainern und den zahlreichen Talenten offenbart sich der wahre Kern der Geschichte von Olympique Lyon: Die Ungeduld des Herrn Aulas. Aber schließlich will er schon seit 20 Jahren an die Spitze Europas.

Der aktuelle Kader von Olympique Lyon