Fergie an allen Fronten

SID
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© Getty

Manchester United mit Cristiano Ronaldo, Michael Ballacks FC Chelsea, die Arsenal-Young-Guns und der FC Liverpool: Die Premier League ist in Europa das Maß der Dinge. Zudem fühlen sich seit diesem Sommer dank zahlungskräftiger Investoren auch Teams wie Manchester City zu Höherem berufen. Jeden Donnerstag berichtet Raphael Honigstein aus London für SPOX von den Entwicklungen vor Ort.

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Wie alle Autokraten leidet Alex Ferguson mit zunehmendem Alter unter Verfolgungswahn. Der knorrige Schotte, 66, ist schon lange überzeugt, dass sich FA, UEFA, FIFA, BBC, SKY, CIA, KGB und der Rest der Welt gegen ihn verschworen haben.

Überall wittert Sir Alex mit seiner für gewöhnlich tief weinroten Spürnase feindliche Machenschaften der ABU-Fraktion (Anything but United, alles außer United).

Manchmal merkt man zwar, dass die Aufregung nur inszeniert ist, um die Wagenburg-Mentalität in der Truppe zu bestärken, aber meistens meint er es tatsächlich so.

Merkwürdige Spielansetzung

Dieser Tage fühlt sich Ferguson mal wieder ziemlich benachteiligt; vielleicht gar nicht mal zu unrecht. Gegen Villarreal spielte  zum Beispiel Wolfgang Stark am Mittwoch im Old Trafford plötzlich Lutz Wagner und gab eineinhalb glasklare Elfmeter nicht. "Ein astreiner Strafstoß", grantelte er nach dem enttäuschenden 0:0 in der Champions League.

Am Sonntag muss man zum Spitzenspiel beim FC Chelsea (15 Uhr im SPOX-TICKER und Internet TV) antreten, aus sechs Punkten Rückstand (bei einem Spiel weniger) könnten dann neun werden -  ein für die Verteidigung der Meisterschaft fast schon fatales Defizit. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass der Titel in England ohne einen guten Start nicht zu gewinnen ist. 

Ginge es nach Ferguson, würde das Match an der Stamford Bridge aber gar nicht stattfinden. Er sieht sich durch die Spielansetzung der Premier League "behindert".

Super Sundays in Serie

Eine Ausrede für den kommenden Misserfolg? Nicht unbedingt. Es ist in der Tat ein bisschen merkwürdig, dass United binnen einer Woche auswärts in Liverpool und Chelsea spielen muss, noch dazu in einer Europapokalwoche.

Auch in den kommenden Wochen müssen die Red Devils nach Champions League-Partien jedes Mal zu  sehr schweren Auswärtsspielen reisen: zu Blackburn, Everton, Arsenal, ManCity und Tottenham.  "Man will offensichtlich nicht, dass wir die Liga ein drittes Mal gewinnen", ärgerte sich ein United-Fan im Internetforum von Sky.

Die Liga behauptet, ein unbestechlicher Computer würde die Paarungen nach dem Zufallsprinzip ansetzen. Aber das glaubt auf der Insel niemand. Viel zu häufig hat es in den vergangenen Jahren sogenannte Super Sundays gegeben, an denen zur Freude des Fernsehens alle vier Spitzenteams gegeneinander zum Einsatz kamen.

Pakt mit dem Teufel

Matches werden im Frühjahr munter verschoben, ohne dass es sportliche Gründe gibt; anders als in Deutschland sind die Paarungen in Vor- und Rückrunde nicht spiegelverkehrt.

Dafür muss United kurz vor Saisonende im Mai, wenn der Titelkampf traditionell am spannendsten wird, immer noch gegen Arsenal oder Chelsea spielen. Man nennt das: Produktoptimierung. "Wer dem Teufel die Hand schüttelt, muss wohl wissen was er tut", hat Ferguson in der vergangenen Saison gesagt, als ihm der Spielplan ebenfalls nicht gefiel.

Das Thema wird uns in den kommenden Wochen noch begleiten. Der Ritter Ihrer Majestät regt sich nur deswegen nicht stärker auf, weil ihn gleichzeitig eine andere Sache noch viel mehr erzürnt: die Aufhebung der Sperre für John Terry.

Fergie droht Ungemach

Chelseas Kapitän darf trotz seiner Roten Karte gegen ManCity vor einer Woche am Sonntag wieder auflaufen.  Nach einem Einspruch des Vereins hat der Fußballverband entschieden, dass der Verteidiger von Schiedsrichter Mark Halsey "fälschlicherweise des Feldes verwiesen" worden war.

Ferguson vermutet eine gezielte Intervention des Schiedsrichter-Obmanns Keith Hackett, mit dem er nicht so gut kann. "Ich habe gehört, Hackett hätte den Schiedsrichter angewiesen, die Rote Karte zurück zu nehmen", tobte Sir Alex, "für einen Manchester-United-Spieler hätte er das sicher nicht gemacht".

Es kann gut sein, dass der Schotte für diese Aussage vom Verband belangt wird. Die englischen Zeitungen haben Ferguson dafür nur belächelt. Für sie war Terrys Platzverweis nach dem Foul gegen Jo einfach ungerecht und somit der Fall klar: der Verteidiger hatte den Brasilianer zwar zu Boden gerungen, war aber dabei nicht eindeutig letzter Mann gewesen.

Rätsel im Spielbericht

Doch die Details der Affäre machen stutzig. Halsey, so war zu erfahren, hat Terry offiziell gar nicht wegen "Vereitelung einer offensichtlichen Torchance" (Notbremse) vom Platz gestellt, sondern wegen "grobem Foulspiel".

Dieser rätselhafte Eintrag im Spielberichtsbogen machte es der Disziplinarkommission einfach, Terrys Sperre zu kassieren: ein grobes Foulspiel lag ja objektiv nicht vor.

Die entscheidende Frage ist, warum Halsey den Tatverlauf so dargestellt hat. Wollte er seinen Irrtum bezüglich der Notbremse kaschieren, indem er auf das vermeintlich grobe Foul verwies?

Cobain bleibt aktuell

Das macht im Grunde keinen Sinn - der Versuch, den Fehler mit einem noch größeren Fehler wieder gut zu machen, musste scheitern. Halsey wurde zur Strafe prompt zum Pfeifendienst in der dritten Liga versetzt.

War er wirklich so naiv? Oder hat vielleicht doch jemand "von oben" auf ihn eingewirkt und ihn zu dieser für den Verband sehr bequemen Lösung des Problems gedrängt? John Terry ist Nationalmannschaftskapitän und wird gerade zur Führungspersönlichkeit des neuen, besseren Capello-Englands aufgebaut. Man sollte das nicht unterschätzen.

Im Falle einer Niederlage gegen Michael Ballacks Chelsea wird Ferguson seine dunklen Vermutungen bestimmt nicht für sich behalten. Man kann es ihm  - ausnahmsweise - nicht verdenken.

Denn diesen Herbst scheint für den passionierten Verschwörungstheoretiker wirklich der alte Spruch von Kurt Cobain zu gelten: "Nur weil du paranoid bist, heißt das nicht, dass sie nicht hinter dir her sind."

Alle Informationen zur Premier League

Raphael Honigstein lebt und arbeitet seit 15 Jahren in London. Für die "Süddeutsche Zeitung" berichtet er über den englischen Fußball und ist Kolumnist für die britische Tageszeitung "The Guardian". Beim Premier-League-Rechteinhaber "Setanta Sports“ fungiert Honigstein als Experte für den deutschen Fußball. In Deutschland wurde der 34-Jährige auch bekannt durch sein Buch "Harder, Better, Faster, Stronger - Die geheime Geschichte des englischen Fußballs". Zudem ist er als Blogger bei footbo.com tätig.

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