Die Jungs vom Maschinenraum

SID
Treffen im Champions-League-Finale aufeinander: Michael Carrick (r.) und Lionel Messi
© Getty

Die Stars sind Ronaldo, Rooney oder Giggs. Doch das Herzstück von ManUtd liegt woanders. England-Experte Honigstein über Michael Carrick und einen Mann, der Fröschen viel zu verdanken hat.

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Als Michael Carrick die riesige Halle betritt, kommt Bewegung in die Käfige, in denen die Journalisten eingepfercht sind. Der 27-Jährige ist der gefragteste Mann am Medientag in Carrington, und das liegt nicht nur an der Tatsache, dass Manchester United den Reportern heute all die anderen großen Namen vorenthält.

Ryan Giggs saß schon neben Alex Ferguson bei der Pressekonferenz. Rio Ferdinand und Dimitar Berbatow sind für die englischen Tageszeitungen reserviert. Cristiano Ronaldo spricht exklusiv mit SKY, Wayne Rooney gar nicht.

Carrick aber, der Mann, der seit drei Jahren das alte 16er-Trikot von Roy Keane tragen darf, gibt bereitwillig Auskunft. Er ist wie seine Kollegen im "Engine Room", dem Maschinenraum, wie man auf der Insel sagt, ein ernsthafter, bescheidener junger Mann, der sich auf sein zweites Champions-League-Finale in Folge freut. "Iniesta und Xavi sind absolute Weltklasse, was das Passspiel angeht", sagt Carrick. "Es ist schön, wenn man sich mit solchen Spielern messen darf."

Tiefer gelegter Geordie

United zahlte 2006 gut 27 Millionen Euro an Tottenham Hotspur, um den gebürtigen Geordie (Mann aus dem Nordosten) ins Old Trafford zu holen. Der damals etwas belächelte Transfer hat sich voll ausgezahlt. Mit Carrick als Fixpunkt im zentralen Mittelfeld gewann man drei Meisterschaften in Folge, sein Spiel entzieht sich dabei weitestgehend jeder Kategorisierung. Nominell lief er gerade in der ersten Saison oft als Sechser vor der Abwehr auf, doch er ist kein Zerstörer, sondern eher ein tiefer gelegter Spielmacher a la Andrea Pirlo.

Während Vorgänger Keane die Gegner gerne umsenste, nimmt sie Carrick mit seiner unglaublichen Passgenauigkeit eleganter aus der Partie. Er ist Beschleuniger und Bremser zugleich. Geht es nach Ferguson, soll Carrick in Rom mit seinem feinen Stellungsspiel die Ballzirkulation der Katalanen unterbinden. "Barcelona spielt so schnell, dass du dir wie im Karussell vorkommst, da kann einem ganz schwindlig werden", sagt der Schotte.

Weltklasse in der Grauzone

Carrick sieht sich der Aufgabe gewachsen. "Es ist eine Sache der Konzentration", sagt er. "Du musst gut stehen und abwarten, mental musst du 90 Minuten lang auf der Höhe sein. Dann musst du zur richtigen Zeit attackieren. Wir werden unser Spiel spielen". Uniteds Spiel wird dabei mittlerweile erstaunlich stark von ihm geprägt.

Carrick sagt, dass seine Elf nach dem 0:3 gegen den AC Milan im Halbfinale von 2007 schlichtweg an Erfahrung gewonnen hat, doch da ist er zu bescheiden: Es sind seine Weltklasseleistungen in den vom Fernsehen gerne übersehenen Grauzonen des Feldes, die aus dem kraftvoll aber leicht unkontrolliert angreifenden ManUnited von 2006/07 die variabelste, ausgeglichenste Elf Europas gemacht haben. United kann dank Carrick als Schrittmacher Tempo und Taktik nach Belieben variieren, während die Konkurrenz meist an einer einzigen Spielidee festhalten muss.

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Kraftbolzen an Carricks Seite

Auf seinen treuen Zuarbeiter Darren Fletcher (Rotsperre) wird Carrick am Mittwochabend im Olympiastadion verzichten müssen. Veteran Ryan Giggs, 35, wird dafür vermutlich im Zentrum aushelfen, zusammen mit Anderson. Der 21-jährige Brasilianer war zuletzt ein kaum zu bändigender Kraftbolzen, der mit seinen Läufen mit dem Ball die gegnerischen Reihen durcheinander wirbelte.

Seiner Physis hatten die Passkünstler vom FC Arsenal im Halbfinale nichts entgegenzusetzen.

Barca könnte ein ähnliches Schicksal erleiden. "Sicher, wir haben sehr viel Power", sagt Anderson etwas schüchtern. "Aber Barcelona hat auch ein sehr starkes Mittelfeld. Es wird ein heißer Kampf werden." Genau wie seine Kollegen in der Kommandozentrale spricht er ungern über sich selbst. "Manchester United lebt von seinem Mannschaftsgeist, der Einzelne ist nicht so wichtig", zuckt er die Schultern.

Roter Maschinist in Sneakers

Gerade diese hochprofessionelle, demütige Arbeitsauffassung macht die Nicht-Stars zu den wahren Stars dieser Elf.

Obwohl Ji-Sung Park eine Station weiter vorne schuftet, muss man den Südkoreaner wohl ebenfalls zu den roten Maschinisten zählen. Als nimmermüder Läufer auf der rechten Seite hat ihm Ferguson am Mittwoch einen Startplatz garantiert. Sir Alex hat es bereut, ihn im Finale von Moskau nicht zum Einsatz kommen lassen, will ihn aber als doppelten Abfangjäger für Thierry Henry oder Lionel Messi auf eine der Außenpositionen stellen.

"Ich spiele da, wo der Trainer mich haben will, Hauptsache ich spiele", sagt der unheimlich sympathische 28-Jährige, als er in T-Shirt und Sneakers vor die Presse schlurft. Park fühlt sich als einer der anonymsten Mitglieder der Weltauswahl sehr wohl.

In England kann er sich weitgehend unbelästigt bewegen, während sie ihn in Seoul kreischend durch die Gassen jagen. Er wird in weiten Teilen Asiens wie ein Gott verehrt, weil er sich als klein gewachsener Kicker mit seiner Kampfkraft und Laufstärke beim großen United durchgesetzt hat.

Frösche für den Muskelaufbau

"Ich will aber keine Berühmtheit oder sehr beliebt sein, nur ein guter Spieler", sagt er mit einem Lächeln. Carrick, Fletcher und Anderson würden das sofort unterschreiben, aber würden sie für den Fußball auch so weit gehen, wie es Park einst in seinem Heimatland tat?

"Als ich ein Kind war, hörte mein Vater, dass der Verzehr von Fröschen gut für den Muskelaufbau sein sollte", erzählt er. "Er kaufte die Tiere auf einer Farm ein, aber meine Mutter wusste nicht, wie man sie zubereiten sollte. Sie steckte sie in einen Kochtopf und machte einen grünen Saft daraus."

Der kleine Ji-Sung zwang sich, den ekligen Schleim jeden Abend runter zu schlucken: "Manchmal musste ich spucken, weil es so komisch schmeckte, aber der Wunsch in meinem Herzen, ein  besserer Fußballspieler zu werden, war größer als der nach einer leckeren Mahlzeit".

Dienst bis zur Selbstaufgabe ist charakteristisch für eine Elf, deren Heißhunger nach Erfolgen sich einfach nicht stillen lässt. Wenn United in Rom gewinnt, wird die Welt von Cristiano Ronaldo, Rooney oder Berbatow reden, vielleicht auch von der famosen Abwehr.

Die stillen, heimlichen Helden im Mittelfeld werden für viele unbemerkt den Ausschlag geben, aber das ist eben das typische Schicksal der Handwerker: Sie bauen die Bühne, auf der die anderen glänzen können.

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Raphael Honigstein lebt und arbeitet seit 15 Jahren in London. Für die "Süddeutsche Zeitung" berichtet er über den englischen Fußball und ist Kolumnist für die britische Tageszeitung "The Guardian". Beim Premier-League-Rechteinhaber "Setanta Sports" fungiert Honigstein als Experte für den deutschen Fußball. In Deutschland wurde der 34-Jährige auch bekannt durch sein Buch "Harder, Better, Faster, Stronger - Die geheime Geschichte des englischen Fußballs". Zudem ist er als Blogger bei footbo.com tätig.

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