Aston Villa: Das bessere Chelsea?

SID
Auf Erfolgskurs: Aston Villa sägt in der Premier League am Thron der der großen Vier
© Getty

Die einen sind ein Traditionsverein, der nach Jahrzehnten der Misswirtschaft von einem schwerreichen Investoren gerettet werden musste und sich mit den neuen Millionen als Spitzenklub etablieren konnte. Die anderen auch.
 

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Es gibt auf den zweiten Blick sehr viele Parallelen zwischen Aston Villa und dem FC Chelsea. So viele, dass es eigentlich nicht verwundern sollte, dass man sich am Samstagmittag im Villa Park auf Augenhöhe begegnen wird. Im Gegensatz zu den anderen englischen Spitzenklubs (Arsenal, Liverpool, Manchester United), die aus eigener Kraft nach oben gekommen sind, vertrauen die Villans und Blues voll und ganz auf das Sugar-Daddy-Prinzip. Die großzügige Unterstützung durch einen Milliardär.

Zuvor saßen beide in der typisch englischen Strukturfalle fest: Sie wollten um Titel mitmischen, hatten aber als Vertreter der Mittelklasse (auf Dauer) einfach nicht die Mittel dazu. Chelsea war trotz höherer Einnahmen und ein paar Erfolgen in den Pokalwettbewerben 2003 ebenso pleite, wie das unter dem Präsidenten Doug Ellis sehr viel vorsichtiger wirtschaftende Villa vor dem Einstieg des US-Milliardärs Randy Lerner im Sommer 2006.

Ellis, den sie wegen seinem knallharten Geschäftsgebaren Deadly Doug riefen, war während seiner 25-jährigen Amtszeit ein Großmeister der Knauserigkeit. Der frühere Trainer John Gregory erzählte einst, Ellis würde grundsätzlich nur die billigsten Hotelzimmer für Mannschaftsreisen buchen. "Seine Begründung war, dass jedes Zimmer gleich aussieht, wenn man schläft", sagte Gregory.

Als "Premier League Inside" vor ein paar Jahren den bei Villa beschäftigten Thomas Hitzlsperger in einem Londoner Hotel traf, schlenderte auch Ellis, 85, mit einem Schlapphut durch die Lobby. "Sie sind aus München?" fragte der Präsident interessiert. "Richten Sie bitte Uli Hoeneß aus, dass er mir noch Geld für Alan McInally schuldet." Der schottische Stürmer war 1989 von Villa zu Bayern gewechselt. "Tja, so ist er, der Doug", lächelte Hitzlsperger damals.

Zu Tode gespart

Weil sich Ellis standhaft weigerte, sein eigenes Geld zu investieren, mussten die Villa-Fans mitansehen, wie der Europapokal-Gewinner von 1982 mit jedem Jahr in der Premier League weiter ins Mittelmaß absackte. Die demoralisierten Spieler veröffentlichten sogar einen anonymen Brief, in dem sie sich über Ellis' beinahe pathologische Sparsamkeit beschwerten: "Wir sollten ein großer Klub sein, aber wenn der Eigentümer über Ehrgeiz verfügt, muss er dies auch zeigen. Es muss von oben kommen". Es kam aber nicht.

Die Fans forderten immer wieder Ellis' Abdankung, doch der alte Mann blieb auf seinem Stuhl sitzen, bis es nicht mehr ging. 37 Millionen Pfund Schulden und sein angeschlagener Gesundheitszustand zwangen ihn vor drei Jahren dazu, Villa für 63 Millionen Pfund an den New Yorker Lerner zu verkaufen.

Der Erbe eines Kreditkartenimperiums folgte damals dem Pfad von Abramowitsch: Lerner, der Besitzer der Cleveland Browns (NFL), übernahm Villa ohne Bankendarlehen, mit seinem eigenen Geld. Die Fans waren glücklich. 2005/06 hatte man auf dem 16. Tabellenplatz beendet. Es konnte nur noch besser werden.

Wachablösung bei den Millionen-Klubs

Anders als Chelsea, die schon vor Roman Abramowitsch als Champions-League-Klub etabliert waren und über Nacht noch eine LKW-Ladung von internationalen Stars (Crespo, Veron, Mutu, Makelele) dazu bekamen, gingen Trainer Martin O'Neill und Lerner sehr vorsichtig vor.

2007 belegte man in der Abschlusstabelle Platz 11, 2008 schon Platz sechs. Die Tendenz geht klar nach oben, das ist vielleicht heute neben der Kontinuität auf der sportlichen Ebene - Chelsea hat seit 2006 drei Trainer zerschlissen - der größte Unterschied zwischen den Klubs: Die Londoner sind im sechsten Jahr unter dem Russen als Fußballmacht am Schrumpfen, Villa stark im Kommen.

Natürlich gelten die neutralen Sympathien auf der Insel vor dem Duell am Samstag nun ganz dem potenziellen Champions-League-Newcomer aus Birmingham. Nach der jahrelangen Dominanz der großen Vier wünscht man sich erstens sehnlichst ein wenig Abwechslung an der Spitze und zweitens würde der Erfolg von Villa auch das nationale Selbstwertgefühl stärken.

Erfolg made in England

Die Männer aus den Midlands spielen mit einer überwiegend jungen, englischen Mannschaft und sie werden vom Nordiren O'Neill trainiert, der ebenfalls als Einheimischer durchgeht. Schafft es Villa, die Ausländertruppen von Arsenal oder Chelsea aus der Königsklasse zu verdrängen, würden die Gazetten patriotisch jubeln: Seht her, WIR können es auch noch.

"Ja", könnte man dem entgegnen, "aber auch nur mit ausländischem Geld". Denn Villa ist, wie die meisten Bio-Produkte im Supermarkt, eine kleine Mogelpackung: So organisch und natürlich wie alles aussieht, ist das Produkt in Wahrheit nicht. O'Neill hat im Sommer 38,4 Millionen Pfund  (44 Millionen Euro) netto für Neuverpflichtungen ausgegeben - mehr als jeder andere Premier-League-Verein.

Eine gewaltige Summe für Villa-Verhältnisse, denn der Gesamtumsatz des Vereins betrug zuletzt nur 59 Millionen Pfund. Man wird unabhängig vom Tabellenplatz einen Verlust einfahren; ohne einen geduldigen, langfristig planenden Milliardär an der Spitze wäre dieser Aufschwung wohl unmöglich gewesen. Dank Lerners Generosität braucht Villa nicht einmal einen Trikotsponsor. Man wirbt stattdessen für ein Kinderheim.

Villa das bessere Chelsea?

Kein Wunder, dass nicht nur für den "Sun"-Kolumnisten und ehemaligen Arsenal-Stürmer Ian Wright Villa mittlerweile das bessere Chelsea ist. "Abramowitsch sollte von Lerner lernen", schrieb Wright, "der Amerikaner hat sich so benommen, wie man es von einem vernünftigen Eigentümer erwartet. Er hat O'Neill einfach machen lassen."

Wenn der wegen seiner Zappeligkeit und leicht hemdsärmeligen Art manchmal als "tracksuit manager" (Ballonseidetrainer) belächelte Europapokal-Gewinner mit Nottingham Forest so weiter macht, wird aus den Big Four bald ein Quintett werden. Am Samstag gibt es ein erstes Schlüsselspiel.

Einige Experten, nicht zuletzt O'Neill selbst, zweifeln zwar, ob der vergleichsweise dünne Kader der Doppelbelastung durch Europapokal und Liga stand halten kann. Aber dieses Problem haben Chelsea (wegen Kreditkrise) und Arsenal (wegen Verletzungen) dieses Jahr ja auch.

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Raphael Honigstein lebt und arbeitet seit 15 Jahren in London. Für die "Süddeutsche Zeitung" berichtet er über den englischen Fußball und ist Kolumnist für die britische Tageszeitung "The Guardian". Beim Premier-League-Rechteinhaber "Setanta Sports" fungiert Honigstein als Experte für den deutschen Fußball. In Deutschland wurde der 34-Jährige auch bekannt durch sein Buch "Harder, Better, Faster, Stronger - Die geheime Geschichte des englischen Fußballs". Zudem ist er als Blogger bei footbo.com tätig.

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