Kampf der Neureichen

SID
Raphael Honigstein mit aktuellen Infos zur Premier League
© Getty

Manchester United mit Cristiano Ronaldo, Michael Ballacks FC Chelsea, die Arsenal-Young-Guns und der FC Liverpool: Die Premier League ist in Europa das Maß der Dinge. Zudem fühlen sich seit diesem Sommer dank zahlungskräftiger Investoren auch Teams wie Manchester City zu Höherem berufen. Ab diesem Donnerstag berichtet Raphael Honigstein aus London für SPOX von den Entwicklungen vor Ort.

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Länderspielwochen auf der Insel sind eigentlich Saure-Gurken-Zeit. Viele Premier-League-Manager nützen die Spielpause, um für ein paar Tage in den Golfurlaub zu verschwinden.

Die im Vergleich mit der Bundesliga sowieso nur rudimentär betriebene Medienarbeit wird gänzlich eingestellt, was die Nachrichtenlage so dünn macht, dass plötzlich Zitate aus uralten Spieler-Interviews in ivorischen, französischen oder russischen Blättern als World Exclusives, nein: WORLD EXCLUSIVES in den englischen Medien auftauchen.

Mieses Essen und hässliche Frauen

Wahlweise geht es dabei um das miese Wetter im Norden, mieses Essen im Norden, die hässlichen Frauen im Norden, die überharte Gangart auf dem Platz oder um den Wunsch nach einem Vereinswechsel - aus rein sportlichen Gründen, versteht sich.

Die peinlich berührten Spieler beschweren sich dann natürlich, die Stellen seien "völlig aus dem Zusammenhang gerissen" worden. Mit anderen Worten: alles akkurat wiedergegeben. Ihr habt mich erwischt, ihr Schweine.

Aus Strafe spricht der Spieler die nächsten Wochen nicht mit der englischen Presse, und  die Kollegen müssen deswegen bald wieder ausländische Interviews von 2003 recyclen. Spätestens zur nächsten Länderspielwoche geht alles von vorne los.

Wie in einer höllisch-langweiligen Endlosschleife sind sich in den vergangenen Jahren auch jene bemitleidenswerten Journalisten vorgekommen, die Englands Nationalteam begleiten. Vor dem WM-Qualifikationsspiel gegen Andorra gab es  - wie immer - das gewohnte Spielchen:

  1. Trainer sagt, das Team hat Fortschritte gemacht.
  2. Spieler A sagt, das Team hat Fortschritte gemacht
  3. Spieler B sagt, man werde den Gegner nicht unterschätzen
  4. Kapitän C appelliert an die patriotische Leidenschaft
  5. England spielt miserabel
  6. Trainer sagt, das Team hat Fortschritte gemacht

"Größter Abend seit dem 5:1 gegen Deutschland"

Doch dann kam der Mittwochabend und der mit typischem Understatement gleich als "größter Abend seit dem 5:1 gegen Deutschland im September 2001" (Times) gefeierte 4:1-Auswärtssieg gegen Angstgegner Kroatien.

Ein auch aus deutscher Sicht erfreuliches Resultat gegen Slaven Bilic' überschätzte, nur mit dumpfer Klopperei auffallende Truppe -  allein schon, weil es die nostalgisch verklärte Obsession der Engländer mit dem letztlich ja völlig bedeutungslosen Match im Münchner Olympiastadion endlich ein wenig schmälern dürfte.

Der Kantersieg aus der Zeit der deutschen Rumpelfüßler wird hier nämlich allen Ernstes zu den großen WM-Erfolgen Englands gezählt, genau wie ein - man mag es kaum glauben - zäh ermauertes 0:0 in Italien in der Qualifikation zur WM 1998. Vier Jahrzehnte enttäuschte Erwartungen und Misserfolge machen eben genügsam.

Capellos taktischer Geniestreich

Nun ist man wieder wer. Und Fabio Capello darf sich als taktisches Genie feiern lassen, obwohl er seine Jungs im Old-School-, um nicht zu sagen: Retro-4-4-2 inklusive target man Emile Heskey (bitte nicht lachen) aufgestellt hat. Alles andere, das wusste schon Vorgänger Sven, ist für die englischen Granden letztlich zu kompliziert. Vor dem Heimspiel gegen Kasachstan im Oktober dürfte bereits ein Hauch von Euphorie übers Land wehen, bis zur "England expect"-Schlagzeile  (England erwartet den WM-Sieg) wird es nicht mehr lange dauern.

Noch bevor Englands Leidenszeit zu Ende geht, muss man sich wohl oder über auf akute Saure-Gurken-Engpässe einrichten, denn die vom immer schnelleren Kreislauf der Milliarden zunehmend überhitzte Liga gönnt sich anscheinend gar keine Pausen mehr, nicht mal während den Länderspielen.

Neue Eigentümer mit neuen Sitten

In den vergangenen Tagen verloren mit Alan Curbishley (West Ham) und Kevin Keegan (Newcastle) gleich zwei Trainer ihre Ämter, nach gerade mal drei Liga-Spieltagen. Beide Klubs sind, um es vorsichtig auszudrücken, zwar Sonderfälle, die ähnlich seriös und kompetent wie die mobilen Hamburger-Bratstände in Londons Innenstadt geführt werden.

Aber die neue Ungeduld in der Liga ist wohl auch bezeichnend für die Internationalisierung des englischen Fußballs: Mit den ausländischen Spielern, Trainern und Eigentümern ist auch die Unsitte der frühen Entlassung auf die Insel geschwappt. Dem Unterhaltungswert der Liga wird das keinen Abbruch tun.

ManAbuDhabCityUnited gegen FC Chelski

Allein am Samstag (ab 13.45 Uhr im LIVE-TICKER) , wenn Liverpool und Manchester United im nordwestenglisch-amerikanischen Derby aufeinanderprallen und danach zwischen ManAbuDhabCityUnited gegen FC Chelski der inoffizielle, mit 40.000 Brillanten besetzte "Nouveau Riche"-Pokal  ausgespielt wird, werden weltweit ein paar hundert Millionen zuschauen.

Und das völlig zu Recht: Neben dem Wahnsinn erreicht dieses Jahr wohl auch die Spielqualität ein ganz neues Niveau.

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Raphael Honigstein lebt und arbeitet seit 15 Jahren in London. Für die "Süddeutsche Zeitung" berichtet er über den englischen Fußball und ist Kolumnist für die britische Tageszeitung "The Guardian". Beim Premier-League-Rechteinhaber "Setanta Sports" fungiert Honigstein als Experte für den deutschen Fußball. In Deutschland wurde der 34-Jährige auch bekannt durch sein Buch "Harder, Better, Faster, Stronger - Die geheime Geschichte des englischen Fußballs". Zudem ist er als Blogger bei footbo.com tätig.

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