Bert Trautmann, der Feind in unserem Tor: Wie ein verhasster Deutscher bei Manchester City zur Legende wurde

Von Dennis Melzer
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© imago

Zwischen 1949 und 1964 hütete Bert Trautmann das Tor von Manchester City. Über einen Mann, der als Feind kam und zum größten Helden der Klubgeschichte avancierte.

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Etihad Stadium zu Manchester, am 19. August 2013: Die Fans des hiesigen Spitzenklubs City freuen sich darauf, dass die neue Saison endlich startet, jubeln ihren Idolen zu, als diese den saftig grünen Rasen betreten. An diesem Tag ist die Vorfreude allerdings gedämpft. Die Spieler der Citizens laufen kollektiv in Torwarttrikots ein. Die Farbe des Shirts unterscheidet sich nur marginal von der des perfekt gemähten Geläufs. Giftgrün statt des traditionellen Himmelblaus, zumindest im Rahmen des Aufwärmprogramms vor der Begegnung mit Newcastle United.

Auf dem Rücken aller Protagonisten prangt die Nummer 1, darüber ein Name, der in der englischen Industriestadt jahrzehntelang allgegenwärtig war - und es bis heute ist: Trautmann. Genau einen Monat zuvor war der ehemalige City-Keeper in Spanien verstorben. Die Schweigeminute ist emotional, auf der riesigen Videotafel leuchtet ein Schwarz-Weiß-Bild auf, viele Fans haben alte Fotografien aus den 1950er Jahren mitgebracht, die Trautmann bei spektakulären Paraden zeigen. Bilder, die an einen Menschen erinnern, der als verhasster deutscher Soldat kam und in Manchester - allerspätestens, nachdem er das FA-Cup-Finale gegen Birmingham mit gebrochenem Genick zu Ende spielte -, zu einer der größten Torwartikonen aller Zeiten reifte.

Das bewegte Leben eines Fußballers, das es dank des Regisseurs Marcus Rosenmüller nun auf die Kinoleinwand geschafft hat. SPOX und Goal haben sich mit ihm getroffen, um mehr zu erfahren, um detaillierte Einblicke in Trautmanns Vergangenheit als Wehrmachtsoldat, seine Zeit im englischen Kriegsgefangenenlager und den Weg zur Legende zu bekommen. "Ich habe vor zehn Jahren zum ersten Mal von der Geschichte gehört", sagt Rosenmüller, der am Tag der Filmpremiere auf einer karobemusterten Hotelzimmer-Couch im Münchner Glockenbachviertel Platz genommen hat. "Mein Freund Robert Marciniak hat mir die Biografie in die Hand gedrückt. Dann habe ich darin sofort etwas gesehen. Wir haben Kontakt zu Bert Trautmann aufgenommen. Er war beeindruckt, dass wir nicht nur seinen Genickbruch thematisieren, sondern mehr daraus machen wollten. 2009 besuchten wir ihn dann in Valencia (Trautmanns Wahlheimat, Anm. d. Red.)."

Eine Woche lang begleitete Rosenmüller den gebürtigen Bremer in Spanien, führte unzählige Gespräche. "Aufgrund seiner sportlichen Begabung kam er schon früh mit der Hitlerjugend in Kontakt und wurde dort einer Gehirnwäsche unterzogen", erzählt der Filmemacher. "Man muss sagen, dass die Nazis das damals gleichermaßen clever und perfide gemacht haben. Sie haben den Kindern etwas geboten, das Spaß macht: Natur, draußen sein, Sport. Dass sie nebenbei ein Feindbild vermittelt bekamen, haben die Kinder nicht verstanden. Plötzlich haben sie sich an der Front wiedergefunden." Mit dem Fußballspielen begann Trautmann im Alter von acht Jahren bei TuRa Bremen, ehe er dem Jungvolk, der Jugendorganisation der Hitlerjugend, beitrat.

Der Junge erwies sich als äußerst sportlich und damit extrem "wertvoll" für die Nationalsozialisten, gewann diverse Reichsjugendwettkämpfe im Leichtathletikbereich, zu seinen Paradedisziplinen zählten Weitsprung und Sprint. Bei den Reichsjugendspielen im Berliner Olympiastadion belegte er den zweiten Platz. Während seiner Zeit bei der Hitlerjugend absolvierte Trautmann ein so genanntes Landjahr, in dem er gemeinsam mit anderen von der NSDAP für talentiert und privilegiert befundenen Jugendlichen auf einem Bauernhof nahe der tschechoslowakischen Grenze half und sich sportlich betätigen sollte. Als 17-Jähriger meldete sich der Hanseate freiwillig für die deutsche Luftwaffe und machte eine Ausbildung zum Funker, die ihn allerdings nicht ausfüllen sollte. 1941 wurde er in der Sowjetunion, genauer gesagt in der Ukraine, unweit der Großstadt Schitomir, eingesetzt.

Die Zeit in Osteuropa spielt auch im Film eine wichtige Rolle: Der Boden ist vom Regen aufgeweicht, einzelne kleine Wasserpfützen verwandeln den Untergrund in eine dunkelbraune Matschlandschaft. Drei Soldaten der Wehrmacht spielen Fußball, kicken das schwere, runde Leder hin und her. Das Spielgerät gehört offensichtlich einem kleinen Jungen, der das Treiben gemeinsam mit seinen Eltern beobachtet, er unterhält sich auf Ukrainisch mit ihnen. Einer der Soldaten zitiert ihn zu sich, händigt ihm sein Eigentum aus und lässt ihn ziehen.

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Als der Kleine dem Wehrmachts-Trio den Rücken zudreht und zu seinen Eltern zurückkehren will, zückt einer der Armeeangehörigen seine Pistole, zielt und erschießt das unschuldige Kind, während Hauptdarsteller David Kross, der Trautmann verkörpert, erschüttert dabei zusieht, sichtbar schockiert kein einziges Wort hervorbringt. Hämisch grinsend steckt der Schütze seine Mordwaffe zurück in den Halfter. Eine im Film immer wiederkehrende Szene, die große Betroffenheit beim Zuschauer auslöst, aufwühlt, Wut ob der Kaltblütigkeit hinterlässt - und die Frage aufwirft: Warum schreitet Trautmann nicht ein, sondern lässt eine derartige Gräueltat widerstandslos geschehen?

Tatsächlich steht die Szene sinnbildlich für den inneren Kampf, den Trautmann während seiner Zeit als Soldat mit sich selbst austrug. "Er hat immer wieder gesagt, dass er keine Wahl hatte", erinnert sich Regisseur Rosenmüller. "Trautmann hat erzählt, dass er mit einem Kameraden in der Ukraine untergebracht war. Die beiden haben schon fast geschlafen, als sie plötzlich Schüsse hörten. Dann sind sie durch den Wald gegangen und kamen an einer Lichtung an. Dort wurden Juden erschossen. Sie wollten etwas sagen, hatten aber Angst. Sie wussten, wenn sie einschreiten, werden sie ebenfalls erschossen. Dieses Dilemma wollte ich zum Ausdruck bringen. Es soll zeigen, dass der Großteil der Deutschen nicht mehr in der Lage war, einzugreifen. Sie haben zugelassen, dass sich die Gesellschaft derartig verändert."

Im Anschluss an seine Zeit in der Ukraine ließ Trautmann sich zum Fallschirmjäger in Berlin ausbilden, war in den folgenden Jahren unter anderem in Frankreich stationiert. Im Februar 1945, also kurz vor Kriegsende und Zerschlagung des Terror-Regimes, überlebte er ein großflächig angelegtes Bombardement der Alliierten auf die Stadt Kleve am Niederrhein, um anderthalb Monate darauf in einer Scheune von gegnerischen Streitkräften gefangen genommen zu werden. Den Überlieferungen zufolge soll der britische Soldat, der den damals 21-Jährigen in Gewahrsam nahm, ihn mit den Worten "Hello Fritz, fancy a cup of tea?" - "Hallo Fritz, wie wäre es mit einer Tasse Tee", begrüßt haben.

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Die Engländer überführten Trautmann und weitere deutsche Kriegsgefangene ins Lager POW Camp 50, das zwischen St. Helens und Wigan lag. 2010, drei Jahre vor seinem Tod, sprach Trautmann mit dem Fußballmagazin 11Freunde über die ersten Tage auf der Insel: "Wir sind von den Engländern sehr gut behandelt worden. Wir haben das gleiche Essen bekommen wie die Dorfbewohner, denen es auch nicht gutging. Am Feind wurde nicht gespart. Das hat mich beeindruckt." Im Camp 50 begab sich der begeisterte Fußballer, der in seiner Jugend als Flügelspieler eingesetzt wurde, erstmals zwischen die Pfosten - und stellte sich schnell als überdurchschnittliches Talent heraus. "Wir hatten eine respektable Truppe. Karl Kraus hat später für Schalke gespielt, Günther Lühr in Bremerhaven. Der Fußball war eine wichtige Ablenkung. Ich freute mich den ganzen Tag aufs Spielen", ließ Trautmann sein Dasein als Gefangener weiter Revue passieren. goal.com

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