Englands goldene Generation?

Von Uli Hebel
Die englische U17-Nationalelf holte sich den WM-Titel
© getty

Schaut man in Englands Presse vor einem großen Turnier, liest man vom kommenden Weltmeister. 50 Jahre in Folge, aber nur knapp 14 Tage später von Versagern. Die Yellow Press musste sich in diesem Sommer umstellen. Gleich drei Titel durften mit Superlativen bejubelt werden. Vorerst aber nur auf Junioren-Ebene. Jetzt gilt es, den starken Job zu den Herren zu bringen.

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Es ist der 8. Juni 2017, zirka 22 Uhr koreanischer Ortszeit. Nach über 50 Jahren des Wartens steht eine englische Fußball-Nationalmannschaft wieder in einem WM-Finale. Kein hämischer Troll-Tweet. Die U20 der FA hat es ins Endspiel der Junioren-Weltmeisterschaft geschafft.

Drei Tage später: Young-Lion-King Lewis Cook hebt die Trophäe in die Luft. Nur knapp fünf Monate später schließt die U17 mit dem zweiten WM-Titel im Jahr 2017 die antizipierte Renaissance des englischen Fußballs ab.

Hinzu kommen eine Europameisterschaft der U19-Junioren, eine weitere EM-Finalteilnahme, das Halbfinale der U21-EM und der Sieg des hochdekorierten Toulon-Turniers.

Keine goldene Mannschaft also, kein goldener Jahrgang. Eine Generation der Dominanz. Goldene Möglichkeiten. Wenn auch die Pokalfarbe im Junioren-Bereich silber ist.

Gerrard, Beckham und Lampard scheitern am großen Ziel

15 Jahre zurück. Die letzte goldene Generation um Gerrard, Beckham, Lampard und Co. ist mal wieder vorläufig und enttäuschend aus einem großen Turnier ausgeschieden. Der englische Verband identifizierte die Nachwuchsarbeit als eine der Ursachen und nahm sich Frankreichs Leistungszentrum "Clairefontaine" zum Vorbild.

Mitten im geografischen Herz Englands in Burton upon Trent sollte endlich das nationale Fußball-Center entstehen. Eine Trainingsbasis für alle 28 Nationalteams - von den ganz kleinen Löwen bis hin zu denen, die ganz laut brüllen. 130 Hektar Leistungszentrum, die wie Wembley riechen und das Geläuf Wembleys bieten.

Die Idee des Projekts: gleiche Voraussetzungen für alle Jung-Nationalspieler in Infrastruktur, Materialien, Trainingsmethoden und der Austausch von Wissen. Vor allem aber die Installation eines einheitlichen Spielsystems. Ein Beispiel, dass die moderne Theorie aber der grauen Praxis dann und wann immer noch weichen muss, lieferte bei der EM 2016 Roy Hodgson.

England muss Schule machen

Die Spieler sind aber nur die letzten in der Nahrungskette der FA. Über Jahre hinweg verpasste es die Insel, (eigene) Fußballlehrer auszubilden. Auch wenn die Problematik bei weitem nicht gelöst ist, so ist die FA wenigstens auf dem richtigen Weg. Es gibt Reformen im Verband, die dazu befähigen, Fördergelder vom Staat zu bekommen, und für ein Umdenken in den Mindestanforderungen sorgen.

Ein Vergleich: In Island - England bestens bekannt von der Euro 2016 - hat jedes Fußballkind ab dem vierten Lebensjahr einen Trainer auf UEFA-Level, ab dem zehnten verpflichtend Übungsleiter mit Minimum dem nächsten Grad, UEFA-B - demselben Grad, der in England befähigt, ein Premier-League-Team zu trainieren.

Trotzdem bewegt sich England. Es gibt einen Zuwachs an qualifizierten Fußballlehrern. Laut dem Guardian fast 20.000 neue Abschlüsse im UEFA-A-Level. Dieser Qualifikationsgrad ist in England mehr als fünfmal so teuer wie beispielsweise in Deutschland.

FA schaut auf Deutschland

In Sachen Symbiose aus Verband und Vereinen spickt die FA beim Weltmeister Deutschland. Abstellungen, Trainingssteuerungen, und vieles mehr gilt es dringend zu verbessern. Und dann ist da noch die Sache mit der Premier League. Die Internationalisierung ist der FA Fluch und Segen zugleich.

Einerseits profitieren die Engländer vom Know-How der spanischen, italienischen und französischen Trainer und deren Stäbe. Und nicht selten mit ihnen die internationalen Investoren, die mehr und mehr verstehen, dass Steine günstiger sind als siegbringende Beine. Die Akademie, die beispielsweise Manchester City betreibt, ist elitär.

Andererseits werden in den Jugendleistungszentren nicht nur englische Spieler herangeführt. Und der Anteil an Ausländern in der Premier League ist ungebrochen hoch.

Junge einbinden: das A und U

An talentierten Fußballern hat es England in der Vergangenheit nie gemangelt. Nur haben diese zu selten den Durchbruch in den Top-Mannschaften geschafft. Jüngstes Beispiel ist der FC Chelsea. Abraham, Solanke, Brown, Palmer und Loftus Cheek haben seit Zusammensein den Jahrgang national wie international dominiert - bis hin zur U20-EM.

Die Blues verpflichteten Batshuayi und Morata, Abraham ging nach Wales. Solanke wurde nach Liverpool verschenkt, wo Ausländer vor ihm stehen. Brown und Palmer? Ausgeliehen. Inzwischen innerhalb der ersten englischen Liga. Loftus Cheek ist Nationalspieler geworden - im Trikot Crystal Palaces. Vermeintliche Wunderkinder wie McEachran spielen (oder sitzen) bei Kooperationspartnern weltweit.

Strahlen oder zerbrechen?

Die letzten beiden Weltmeister im Seniorenbereich hatten jeweils einen Mannschaftskern aus nationalen Top-Vereinsteams, der jahrelang aneinander und miteinander gewachsen ist.

Daran wird die Zukunft des englischen Fußballs strahlen oder zerbrechen: Binden die Top-Teams der Premier League ihre U-Weltmeister in die A-Mannschaft ein, damit sie vom Nationaltrainer nominiert werden können? Oder verleihen sie diese an Kooperationspartnern in die Niederlande? Eine Premier League 2, de facto ohne Wettkampfcharakter, wird nicht reichen.

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