Der menschelnde Mou und die Prise Carrick

Manchester United ist wettbewerbsübergreifend seit 15 Spielen ungeschlagen
© getty

Seit 15 Spielen ist Manchester United ungeschlagen, die vergangenen neun gewann das Team von Trainer Jose Mourinho wettbewerbsübergreifend sogar. Ein anglofrancobaskisches Trio, das letztlich auch Stürmer Zlatan Ibrahimovic belebte, steht genauso für den Aufschwung wie der einfache Spielplan und - tatsächlich - auch Mourinhos Menschenführung. Beim Spiel gegen den FC Liverpool (So., 17 Uhr live auf DAZN und im LIVETICKER) bekommt es United erstmals seit Mitte Dezember wieder mit einem Gegner auf Augenhöhe zu tun.

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Jose Mourinho spricht bekanntlich nicht nur fließend Portugiesisch, Englisch, Katalan, Italienisch, Spanisch und Französisch, er spricht auch fließend Pathos. Nun war es offenbar wieder einmal an der Zeit, diese Fähigkeit unter Beweis zu stellen. "Wir sind noch nicht im Himmel", sagte Mourinho jüngst nach einem 4:0-Sieg im FA Cup gegen den FC Reading, dem 14. ungeschlagenen Spiel in Folge (mittlerweile sind es 15) und stellte somit die Berufsbezeichnung von Zlatan Ibrahimovic, "Gott" (Ibrahimovic über Ibrahimovic) offiziell in Frage. "Wir sind noch nicht im Himmel, aber wir arbeiten daran."

Sechster ist United aktuell in der Premier League und das auch schon seit dem 6. November. Wo auch immer der Himmel (nach Mourinho) beginnt, er ist konstant weit entfernt. Tabellarisch gesehen hat sich bei Mourinhos roten Teufeln in den vergangenen zwei Monaten rein gar nichts geändert, ansonsten aber eher viel bis alles. Krisenstimmung ist Euphorie gewichen und für das Ego des Trainers besonders wichtig: Ein Mourinho in der Krise ist einem Guardiola in der Krise gewichen.

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Besonders befriedigend für Mourinho ist sicherlich, dass er selbst durchaus seinen Anteil an diesen gegenläufigen Entwicklungen hat. Es war Ende Oktober und es war nur der League Cup, aber es war ein Derby gegen Manchester City und vor allem gegen Pep Guardiola. 75.196 Zuschauer sahen damals einen 1:0-Sieg für United und gleichzeitig die Premiere eines Mittelfeld-Trios, das dieser zuvor äußerst instabilen Mannschaft erstaunliche Stabilität verlieh: Michael Carrick vor der Abwehr, davor etwas versetzt Paul Pogba und Ander Herrera.

Das anglofrancobaskische Trio

Im Sommer bekam Mourinho ein Kader-Puzzle geschenkt, an dem er dann einige Wochen herumbastelte. Nun hatte er die durcheinandergemischten Teilchen richtig zusammengesetzt. Das anglofrancobaskische Trio fand sich und mit ihm die ganze Mannschaft. Speziell der schon 35-jährige Carrick ist die Personifizierung des Aufschwungs schlechthin. 15 Partien absolvierte er in dieser Saison, 13 Mal verließ er den Platz als Sieger, zwei Mal mit einem neutralen Unentschieden.

"Er ist ein fantastischer Spieler", sagt Mourinho über Carrick und dann auch noch, fast schon rührend: "Ich habe ihn immer geliebt." Lieben wird Carrick aber wohl nicht nur sein Trainer, lieben werden ihn auch die fünf Spieler, die meist vor ihm verteilt den Platz besetzen. Dank Carricks Löcher stopfenden und Räume zulaufenden Tätigkeiten haben die Offensivzauberer Raum und Zeit zur Entfaltung.

Allen voran Pogba, der nach einem durchwachsenen Saisonstart, in dem er nicht nur nach seiner Form sondern auch seiner Position suchte, immer überzeugender und sicherer in seinem Spiel wird. In den vergangenen fünf Ligaspielen verzeichnete Pogba gar einen Scorerpunkt mehr (vier) als in den 14 vorangegangenen. "Pogbas Form wird von alleine kommen", kündigte Mourinho schon früh in der Saison an und hatte damit nur teilweise recht. Sie kam nicht ganz von alleine, sie kam auch dank Carrick.

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Der exemplarische Sieg

Carrick hatte also Pogbas Leistungssprung mitzuverantworten und Pogba dann eine Reihe weiter vorne Ibrahimovics. Der Franzose und der Schwede harmonieren immer besser und effektiver. In den Worten der Statistik: Acht Scorerpunkte verzeichnete Ibrahimovic in den vergangenen fünf Ligaspielen. In den Worten des Zlatan: "Keiner hat an mich geglaubt, aber ich habe dafür gesorgt, dass diese Leute jetzt ihre eigenen Eier essen." Nach dem 2:1-Sieg gegen den FC Middlesbrough am Silvestertag hatte Ibrahimovic diese kannibalistische Pointe offenbart.

Ein Sieg war dieses 2:1, der exemplarisch für zweierlei stand. Der Gegner Middlesbrough stand für die schlagbaren Kontrahenten, die United während seines Erfolgslaufs besiegte. Abgesehen von Tottenham traf United seit Mitte November auf keinen Gegner auf Augenhöhe. Pflichtsiege, die Selbstvertrauen schufen. Der Spielverlauf stand für den Willen und den Glauben an die eigene Stärke, die Mourinho bei United kreierte. Auch gegen Sunderland, Crystal Palace und West Ham traf United zuletzt spät.

Er habe "die DNA des Vereins wiederbelebt", sagt Mourinho über Mourinho. In den vergangenen Wochen hat er darüber hinaus die Team-Gemeinschaft wiederbelebt, während es zu Saisonbeginn noch zu seinen liebsten Hobbies zählte, diese zu torpedieren. Neben dem Kader-Puzzeln natürlich.

Bastian Schweinsteiger beispielsweise demütigte Mourinho damals, indem er ihn seinen Spind in der Kabine der Profimannschaft räumen ließ, Luke Shaw stellte er an der Seitenauslinie öffentlich bloß, Jesse Lingaard und Henrikh Mkhitaryan sprach er gar die Mentalität für große Spiele ab.

Er mag ihn, er mag ihn nicht

Was darauf folgte, war eine wochenlange Medienspekulation über das Verhältnis zwischen Mourinho und seinem 42 Millionen Euro teuren Neuzugang. Er mag ihn. Er mag ihn nicht. Er mag ihn. Er mag ihn nicht. Einige Wochen, einige Einsätze, einige gute Spiele des Armeniers später dann die beiderseitige Bestätigung: Er mag ihn.

"Es gab keine schlechte Beziehung zu Mourinho, sie war immer gut. Das Problem, dass ich nicht gespielt habe, lag bei mir, nicht bei ihm", sagte Mkhitaryan über Mourinho und dieser erwiderte die Liebesbekundung: "Er brauchte eine Eingewöhnungszeit auf jeder Ebene. In dieser Zeit war er sehr professionell. Andere in seiner Position hätten Ausreden gesucht, aber er ist ruhig geblieben, hat hart gearbeitet und auf seine Chance gewartet."

Mkhitaryan hat auf seine Chance gewartet und er hat sie genutzt. Mit der Unterbrechung seiner Verletzung zählt er seitdem zu den auffälligsten Spielern. Die vorläufige Krönung des armenischen Aufschwungs war das sensationelle Tor gegen den AFC Sunderland am Boxing Day: Flkhitaryan!

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Menscheln in Manchester

So exemplarisch der Sieg gegen Middlesbrough für die sportliche Renaissance Uniteds steht, so exemplarisch steht Mkhitaryans Form für die zwischenmenschliche. Durchaus reflektiert äußerte sich Mourinho kürzlich über das Verhältnis zu seiner Mannschaft. Reflektiert, ausschweifend und, klar, auch etwas pathetisch.

"Es ist wie im Paradies, wenn man zum Saisonstart gewinnt, gewinnt und wieder gewinnt", sagte Mourinho, "weil dann ist jeder freundlich, umarmt sich und küsst sich." So lief es aber nicht. Es wurde nicht umarmt und nicht geküsstge, United ging in den ersten Monaten unter Mourinho stattdessen durch das Stahlbad Krise - und wuchs zusammen. Statt interner Konfrontation fand offenbar das vielzitierte Zusammenrücken statt: "Wir waren ruhig, positiv und hatten keine Streitigkeiten untereinander." Intern vielleicht nicht, öffentlich und medial machte das manchesterinterne Binnenklima aber einen anderen Eindruck.

Es scheint jedenfalls, als funktioniere Mourinhos oftmals schroff daherkommende Art der Menschenführung. Kurioserweise gestärkt durch die schlechten Resultate aus den ersten Monaten. "Unsere Beziehung fußt nicht auf guten Ergebnissen, sondern auf schlechten", sagt Mourinho über sich und seine Spieler, "und das ist ein großer Unterschied." Mourinho menschelt in Manchester.

Im FA Cup und auch im League Cup kredenzte Mourinho dann sogar Schweinsteiger etwas Spielzeit, gegenüber abwanderungswilligen Spielern zeigt er Mitgefühl. Fast entschuldigend sagte er jüngst über die unterbeschäftigten Ashley Young und Memphis Depay: "Ich hatte nicht die Möglichkeit, ihnen genügend Spiele zu geben, damit sie sich bewähren können. Deswegen habe ich ein schlechtes Gewissen." Jose, bist das wirklich Du?

Weise Worte vom alten Mann

Einer der wenigen Leidtragenden des Aufschwungs ist unterdessen Wayne Rooney. Zu Saisonbeginn noch Kapitän noch Stammspieler, hat er diesen Status mittlerweile eingebüßt. Des Mkhitaryans Freud, des Rooneys Leid. Der 31-Jährige hat sich aber offenbar mit seiner Situation abgefunden. Wenn er im Termin-Dschungel gebraucht wird, steht er zur Verfügung. Gegen Reading erzielte Rooney sein 249. Tor für United. Im vereinsinternen Ranking zog er mit dem Spitzenreiter Bobby Charlton gleich.

"Es fühlte sich zuletzt an, als würden die Medien bereits meinen Nachruf schreiben, aber das lasse ich nicht geschehen", sagte Rooney danach. Ein Satz, den mit vollem Recht auch Mourinho sagen dürfte.

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