Wie damals, nur in blau

Leicester City ist bereits fix für das Champions-League-Achtelfinale qualifiziert
© getty

In der Meisterschaft befindet sich der englische Sensationsmeister Leicester City im Abstiegskampf, in der Champions League steht er bereits vor der abschließenden Partie beim FC Porto (Mi., 20.45 im LIVETICKER) als Gruppensieger fest. Die Foxes durchleben ein Kontrastprogramm. Der Spirit der vergangenen Saison lebt unter Flutlicht weiter, der Absturz in der Liga hat unterdessen klare Ursachen - nicht nur finanzielle.

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Tony Morley, Peter Withe, Dennis Mortimer und all ihre ehemaligen Kollegen sitzen derzeit wahrscheinlich jedes Wochenende daheim in ihren großen Ohrensesseln vor dem Fernseher, drinken ihr Ale oder Lager oder was auch immer, ziehen an ihren Zigarren, schauen sich die Spiele von Leicester City an und denken wehmütig an ihre jugendlicheren Tage im Jahr 1981. Denn was mit Leicester derzeit passiert, haben sie einst mit Aston Villa selbst erlebt.

Ihre Geschichte ist zwar vielleicht nicht ganz so sensationell, so wahnsinnig, so von heute auf morgen und schon gar nicht so garylinekerausziehend, aber sie geht doch zumindest so ähnlich wie das Märchen von Leicester City. In weinroten Trikots aber, nicht in blauen. Nach dem Aufstieg dümpelte Aston Villa Ende der 1970er Jahre im Mittelfeld der englischen First Division, wie die Premier League damals noch unsexy hieß, umher und war 1981 auf einmal Meister. Sensationsmeister, genau wie Leicester 2016.

Am 14. Spieltag der folgenden Saison war die Euphorie dann verflogen. Villa verlor mit 1:2 bei Swansea City und stagnierte folgerichtig bei 15 Punkten. Abstiegskampf. Am 14. Spieltag der Saison 2016/17 verlor Leicester mit 1:2 beim AFC Sunderland und stagnierte folgerichtig bei 13 Punkten. Abstiegskampf.

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Hanot sei Dank

Gerechnet wurde damals wie heute natürlich schon im Vorhinein mit dem Absturz des sensationellen Meisters, aber trostlos und bitter ist das natürlich schon, wenn er tatsächlich eintritt und man auf einmal wieder lediglich einer von vielen ist. Zum Glück aus Sicht des Villa von 1981 und des Leicester von 2016 kam aber viele Jahre früher ein gewisser Franzose namens Gabriel Hanot auf die Idee, einen europäischen Meistercup einzuführen. Er bedeutete einst und jetzt fern von der Insel Seelen-Kur für englische Sensationsmeister.

Die Euphorie der Meistersaison kann direkt umgeleitet werden auf die europäische Bühne. Villa fand damals etwa bei den Spielen gegen den BFC Dynamo, die ihnen im November die Qualifikation für das Landesmeistercup-Viertelfinale ermöglichten, Ablenkung - Leicester derzeit in Kopenhagen, Porto oder Brügge. In fünf Champions-League-Spielen holten die Foxes exakt so viele Punkte wie in 14 Premier-League-Spielen. Die Qualifikation für das Achtelfinale ist bereits sicher.

Aufregend unter Flutlicht

Leicester City lebt derzeit ein Kontrastprogramm, das für die kickenden Protagonisten wohl nicht einfach zu verarbeiten ist. Ertönt die berühmte Hymne, wird die berühmte Fahne mit den berühmten Sternen im Mittelkreis geschwenkt, dann lebt der Spirit der vergangenen Saison auf. "Wir dürfen das Tagesgeschäft nicht aus den Augen verlieren", sagte Tormann Ron-Robert Zieler zwar, aber einfach ist das nicht. Zu aufregend sind die Spiele unter Flutlicht.

Watfords Troy Deeney durfte dies zuletzt beim Sieg seiner Mannschaft gegen Leicester hautnah erleben. Obwohl Deeney im Laufe seiner Karriere (FC Walsall, Halesowen Town, FC Walsall, FC Watford, dreimonatige Haftstrafe, FC Watford) eher noch nicht mit einer ähnlichen Situation konfrontiert wurde, konnte er sich im Anschluss der Partie trotzdem in die Köpfe der verwirrten Leicester-Spieler hineinversetzten. "Ein Problem ist, dass die Spieler auch über die Champions League nachdenken müssen", führte Deeney aus und erklärte die Symptome: "Ich würde nicht sagen, dass sich ihr Fokus verschoben hat, aber es muss mental schwer sein, jedes Spiel das gleiche Level zu erreichen."

Erreicht wird ein für Siege ausreichendes Level bei Leicester derzeit meist nur in der Champions League und das ist ob der fehlenden Erfahrung auf internationaler Ebene durchaus beachtlich. Der Erfolgslauf in der Königsklasse ist jedenfalls erstaunlicher als die missliche Lage, in der sich das Team in der Premier League befindet.

Der Rückfall in die grauen Zonen der Liga war nämlich erwartbar. Erleichtert darüber dürfte trotzdem und speziell der ehemalige Bundesliga-Manager Heribert Bruchhagen gewesen sein. Da stand doch tatsächlich seine Theorie, wonach die sportliche stets die Geldtabelle widerspiegle, ob der Entwicklungen in der vergangenen Premier-League-Saison nachhaltig und schon arg in Frage. Noch einmal gut gegangen, denn die Ausnahme bestätigt bekanntlich die Regel. Nun ist wieder alles in geregelten Bahnen, denn hinsichtlich des Kader-Marktwerts liegen die Foxes im Tabellenmittelfeld.

Jedes Spiel dezimiert

"Leicesters Absturz ist kein Mysterium", titelte der englische Guardian kürzlich und hat Recht. Die fehlenden finanziellen Ressourcen sind natürlich der Hauptgrund, der Leicesters Absturz so gar nicht mystisch, sondern branchenüblich macht, doch es gibt auch andere offensichtliche Ursachen.

Zum Beispiel die, dass Leicester im Vergleich zur vergangenen Saison nun stets dezimiert und somit lediglich mit elf Spielern auflaufen kann. Sowohl N'Golo Kante als auch N'Golo Kante stehen seit ihren Wechseln im Sommer zum FC Chelsea nicht mehr zur Verfügung. "Kante arbeitete immer für zwei Spieler", erklärte Chefanalytiker Troy Deeney nämlich aus eigener Erfahrung. "Kante war überall und ich hatte immer die Angst, dass er zurückkommt, wenn wir ihn umspielt hatten."

Nur 1,69 Meter groß und trotzdem entscheidend für den Gesamterfolg? Es scheint so, denn die anderen Erfolgsgaranten der vergangenen Saison hielten Leicester im Sommer die Treue. Körperlich überragen sie mit ihren 1,77 (Danny Drinkwater), 1,78 (Jamie Vardy) oder 1,79 (Riyad Mahrez) Metern den Franzosen zwar alle, doch die Entfaltung ihres Spiels hing vom kleinen Kante ab. Kante ließ sie erst aufblühen.

Ausgerauscht

Aber nicht nur Leicesters aufgeblühte Stars, sondern auch seine Arbeiter blieben im Sommer. Egal ob sie nun Christian Fuchs, Wes Morgan oder Marc Albrighton heißen, alle Stammspieler der vergangenen Saison außer Kante stehen noch unter Vertrag. Von einer eingespielten Mannschaft ist aber nichts mehr zu sehen, Manager Claudio Ranieri wechselt das Personal munter bis panisch durch. Die Neuzugänge, abgesehen von Stürmer Islam Slimani, konnte die Erwartungen nicht erfüllen und ganz nebenbei funktioniert auch die meisterschaftbringende Taktik nicht mehr.

"Die Gegner haben sich an ihre Spielweise gewöhnt", sagte Deeney, "sie verteidigen tief und überlassen Leicester den Ball." Spielern wie Mahrez oder Vardy wird so ihre große Stärke genommen: das blitzartige Konterspiel. Über unzählige erfolgreiche Gegenstöße erarbeiteten sich die Foxes in der vergangenen Saison so viel Selbstvertrauen, dass alles irgendwann und irgendwie im Rausch funktionierte. Nun hat es sich ausgerauscht. "Im Vergleich zur vergangenen Saison fehlt es uns an allem", sagte Ranieri jüngst.

Ranieris Titel-Träume

Außer, ja außer, das Flutlicht wird wieder angeworfen im King Power Stadium. Wenn die Hymne ertönt, ist der Spirit zurück. "Unser Traum ist es, wieder einen Titel gewinnen zu können", sagte Ranieri vor der Saison. Dann muss es ja wohl fast die Champions League sein.

Falls sich Tony Morley und Peter Withe und Dennis Mortimer auch die Königsklassen-Partien Leicesters anschauen sollten und zufällig gerade ihre Enkelkinder zu Besuch sind, dann würde es sich anbieten, dass sie ihre Geschichte von 1981 fertig erzählen.

In der Premier League feierte Aston Villa noch einige Siege und hielt die Klasse und im Landesmeistercup - in der Spitze damals jedoch deutlich weniger dicht besetzt als heute - feierte Aston Villa auch noch einige Siege. So viele, bis Villa im Finale stand, dank eines Treffers von Withe gegen den FC Bayern München gewann und somit Europas Thron bestieg. Auf das nationale Märchen folgte bei Aston Villa einst das internationale - kein schlechtes Vorbild für Leicester.

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