Nur La Bamba ist noch schön

Von Johannes Heiming
Rafael Benitez ist seit dem 11. März Trainer in Newcastle
© getty

Sieben Spieltage vor Schluss liegt Newcastle United auf dem vorletzten Tabellenplatz der Premier League. Nach chaotischen Wochen präsentierte der Klub zuletzt mit Rafael Benitez einen prominenten neuen Trainer, der den Klassenerhalt noch schaffen soll. Nach der Niederlage gegen Norwich City ist die Lage allerdings ernster denn je.

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Wir schreiben das Jahr 1958: Ritchie Valens hat, nur kurze Zeit vor seinem tragischen Tod mit nur 17 Jahren, eine ziemlich gute Idee. Der Rock-'n'-Roll-Musiker veröffentlicht eine Cover-Version des mexikanischen Volksliedes "La Bamba" und tritt damit eine Lawine los. Bis vor wenigen Wochen existierten weltweit etwa 150 Fassungen des Songs. Nun kommt eine weitere dazu.

Unter der Tribüne des altehrwürdigen St. James' Park stehen die Fans von Newcastle United. Sie warten auf ihr Bier, diskutieren die strittigen Szenen der ersten Halbzeit und ja, vielleicht schimpfen sie sogar wieder einmal auf die eigene Mannschaft. Doch es ist ein Neuer in der Stadt - und der weckt Hoffnung. "RA-FA BENITEZ, RA-FA BENITEZ" tönt es zur vertrauten Melodie von "La Bamba" aus den gut geölten Kehlen. Die Fans haben den Spanier als Retter auserkoren, mit ihm soll der Klassenerhalt gelingen. Doch kann der Besungene den Karren wirklich noch aus dem Dreck ziehen?

Die sportliche Situation ist mit Platz 19 so ernst wie nie zuvor. Nach der bitteren Last-Minute-Niederlage bei Norwich City am Wochenende beträgt der Abstand zum rettenden Ufer bereits sechs Punkte. Seit Wochen gibt der Klub samt Umfeld ein trostloses Bild ab. Perfekt versinnbildlicht wird diese Entwicklung durch ein Zitat, das von Steve McClaren stammt. Dem Mann, der jetzt nicht mehr für die sportlichen Geschicke in Newcastle zuständig ist: "Das ist das frustrierendste Team, mit dem ich jemals zusammengearbeitet habe."

Verstehen, was die Stunde geschlagen hat

Die Fans hätten ihren Song auch auf McClaren singen können, das geben Melodie und Silben absolut her, doch sie wollten nicht. In einem offenen Brief machten sie ihrem Unmut Luft und trugen damit nicht zur Beruhigung der Situation bei, wenngleich ihr Anliegen verständlich und ihre Forderungen wünschenswert waren.

"Was wir als NUFC-Fans wollen, ist ein Team von elf Spielern in Schwarz und weißen Trikots, das versteht, was die Stunde geschlagen hat und das an sein Leistungsmaximum geht - Woche für Woche", hieß es dort. Dass dies mit McClaren möglich sei, wollten die Fans nicht glauben und forderten deshalb seine Ablösung. Die Medienlandschaft beteiligte sich munter daran, das Karussell anzuschubsen: Mal waren es 24, mal 48 Stunden, die McClaren noch bleiben sollte.

Vor dem Spiel gegen Tabellenführer Leicester City war es schließlich so weit. Der Verein gab die Entlassung des 54-Jährigen bekannt und präsentierte mit Benitez den Nachfolger. Bei der letzten Trainerstation des Spaniers in England, dem FC Chelsea, klangen die Gesänge der Fans jedenfalls noch ganz anders. Dort wurde er als "fetter spanischer Kellner" beschimpft.

Ob Benitez Abstiegskampf kann, ist fraglich. In den letzten Jahren musste sich der Coach mit diesem Thema nie beschäftigen. Die ersten drei Spiele machten nicht viel Mut. Gegen die direkten Konkurrenten aus Sunderland (1:1) und Norwich (2:3) gelang kein Big-Point, zudem gab es eine Niederlage gegen Leicester.

Millionen über Millionen

Doch ohnehin bleibt die Frage offen, ob die Probleme in Newcastle nicht viel tiefer liegen. Über 100 Millionen Euro gab man in dieser Saison für neue Spieler aus. Etwa 70 Millionen im Sommer und noch einmal 35 im Winter. Für wen? Fragen wir doch einfach die Fans: "Chancel Mbemba, Gigi Wijnaldum, Shelvey and Perez", heißt es im zitierten Gesang. Für die drei Erstgenannten blätterte Newcastle im letzten Jahr 48 Millionen Euro hin. Der Transfererlös betrug magere fünf Millionen.

Dass so viel Geld da ist, hat der Verein dem bei den Anhängern unbeliebten Eigentümer Mike Ashley zu verdanken. Der Milliardär hat kaum Interesse an einer nachhaltigen sportlichen Entwicklung, es zeigt sich die hässliche Fratze des Fußball-Kapitalismus. Mit so geringen Mitteln wie möglich wollte Ashley Newcastle in der letzten Saison in der Premier League halten, was letztlich auch mit viel Glück gelang.

Als sich im Sommer andeutete, dass dieses Kunststück ohne Investitionen nicht noch einmal gelingen würde, machte Ashley eben ein paar Scheine locker. Dabei ist ihm die Platzierung egal, solange man in der Premier League bleibt. In der kommenden Spielzeit greift der neue TV-Vertrag und spült unzählige Millionen in die Liga.

Erinnerung an bessere Zeit verblasst

Den Menschen, denen es wirklich um den Verein geht, die die Farben schwarz und weiß seit Jahren tief im Herzen tragen, geht es um viel mehr. Sie wollen endlich wieder glücklichere Zeiten erleben. Nur zu gerne erinnern sie sich an die Saison 2011/2012, an deren Ende zwei Jahre nach dem Aufstieg ein sensationeller fünfter Platz stand. Doch seitdem geht es stetig bergab.

In dieser Spielzeit gelang erst am 9. Spieltag der erste Sieg. Seitdem kamen nur fünf weitere hinzu. Aus den vergangenen elf Partien holte Newcastle ganze sieben Punkte. Besonders ernüchternd fällt die Bilanz bei einem Blick auf die Offensivabteilung aus. Nach 31 Spielen hat das Team 31 Tore auf dem Konto. Noch schlechter sind nur das abgeschlagene Schlusslicht Aston Villa und der FC Watford. Einzig Neuzugang Wijnaldum verbreitet mit seinen neun Treffern (vier davon im Hinspiel gegen Norwich) so etwas wie Hoffnung.

Während Newcastle stagniert, bewiesen die beiden Kontrahenten zuletzt leicht aufsteigende Form. Norwich holte sieben Punkte aus den letzten drei Spielen, der AFC Sunderland verlor von den letzten sieben Partien nur eine.

Benitez vor einer Mammutaufgabe

Dabei geht die Konkurrenz die letzten Wochen mit gewohntem Personal an, die Verantwortlichen in Newcastle haben es mit der Notbremse versucht. Für einen Trainer gibt es wahrlich dankbarere Aufgaben, als wenige Spieltage vor Schluss eine abstiegsbedrohte Mannschaft zu übernehmen. Daher ist Benitez weit davon entfernt, auf große Sprünge zu hoffen. "Aufgrund meiner Erfahrung weiß ich, dass wir nicht von einem auf den anderen Tag alles verändern können. Wenn du das in dieser Situation versuchst, machst du Fehler", sagte der Spanier.

Benitez bleiben nun noch sieben Spieltage, um auf dem Feld wieder eine Einheit zu formen, die "versteht, was die Stunde geschlagen hat". Eine Mammutaufgabe, an deren Ende der zweite Abstieg aus der Premier League nach 2009 stehen könnte. Ob dieser allerdings erneut so glimpflich ablaufen würde wie damals, als Newcastle mit 102 Punkten den direkten Wiederaufstieg schaffte, ist zu bezweifeln.

Wer weiß schon, ob Ashley nicht plötzlich das Interesse an seinem Spielzeug verliert und auf weitere Millionen-Unterstützung verzichtet? Die Fans, die ihr Bier auch weiter unter der Tribüne des traditionsreichen Stadions trinken würden, müssten sich plötzlich um die Zukunft ihres Vereins sorgen. Der Kader ist aufgebläht, die Personalkosten extrem hoch, das Transferminus gewaltig und Benitez wird den Verein wohl kaum in die zweite Liga begleiten. Da hilft auch kein noch so schöner Gesang.

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