Ingenieur mit Hang zum Masochismus

Manuel Pellegrini gewann mit Manchester City 2014 die Premier League
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Nicht erst seit der offiziellen Bekanntgabe des Wechsels schwirrte der Name von Pep Guardiola wie ein Geist über das Vereinsgelände von Manchester City. Trainiert wird die Mannschaft aber bis zum Saisonende von Manuel Pellegrini. Eine Annäherung an einen chronisch unterbewerteten Trainer, der stets im Schatten der Glamourösen seiner Zunft steht.

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Der Fußball ist mittlerweile weniger ein Sport, als vielmehr ein großes Unterhaltungsgeschäft. Eine eigene Welt, in der die Protagonisten für etwas stehen müssen, eine Art Corporate Identity entwickeln müssen, um öffentlich wahrgenommen und wertgeschätzt zu werden. Die wohl mysteriöseste Spezies dieser Parallelwelt ist die des Fußball-Trainers. Er tüftelt komplizierte Pläne aus, formt Mannschaften und führt sie letztlich zu großen Titeln.

Blickt man auf die erfolgreichsten Trainer der vergangenen Jahre, auf die Trainer, deren Namen stets genannt werden, wenn die größten und glamourösesten Vereine den wichtigsten Posten im Klub neu besetzen wollen, fallen stets dieselben Namen. Die Namen der Trainer nämlich, die für etwas stehen, sozusagen über eine ausgeprägte Corporate Identity verfügen.

Da wäre der sich stets benachteiligt fühlende Jose Mourinho, der es wie kein Zweiter versteht, seiner Mannschaft eine Wagenburg-Mentalität zu implizieren. Da wäre auch Carlo Ancelotti, der humorvolle Kumpeltyp, der seine Spieler spielen lässt und für gute Stimmung sorgt. Und da wäre natürlich Pep Guardiola, der besessene Taktik-Tüftler.

Genau dieser Guardiola, der wohl umworbenste Vertreter der Trainer-Spezies, heuert im Sommer als neuer Trainer bei Manchester City an; bei dem Verein also, wo derzeit ein Trainer auf der Bank sitzt, der in der öffentlichen Wahrnehmung über so gut wie keine Corporate Identity verfügt: Manuel Pellegrini. Mit seinem grauen Haar, dem von Falten durchfurchten Gesicht und seiner stets perfekt sitzenden Krawatte wirkt er matt und blass und wie aus einer längst vergangenen Zeit. Man weiß kaum etwas über den zurückhaltenden Chilenen. Für was steht Manuel Pellegrini?

Der Geist und die Ente

Für seinen Nachfolger Guardiola steht Pellegrini für eine unverwechselbare Spielweise: "Ich bin ein Fan von Pellegrini und seiner Fußballphilosophie. Du kannst beim Beobachten seiner Mannschaften erkennen, dass sie von ihm trainiert werden." Konkreter wird der Katalane nicht. Und überhaupt: Guardiola ist bekanntlich ein Fan von so gut wie allem und jedem. Beachtlich ist einzig, dass Guardiola überhaupt über Pellegrini spricht. Das kommt eher selten vor.

Pellegrini dagegen spricht sehr oft über Guardiola. Oder, besser gesagt: Pellegrini muss sehr oft über Guardiola sprechen. Seit Guardiolas Ankündigung, in England arbeiten zu wollen, bei so gut wie jeder Pressekonferenz. Die Nachfragen der Journalisten sind zahlreich und unnachgiebig. Guardiola schwirrt wie ein Geist über das Vereinsgelände von Manchester City. Ein Geist, der im kommenden Sommer zum Leben erweckt und Pellegrini als Trainer ersetzen wird.

Ist Guardiola der Geist von City, dann ist Pellegrini die Ente. So nennen ihn die englischen Medien zumindest gerne: "Lame Duck". Ein Trainer, der keine Entscheidungsgewalt besitzt und nichts tun kann, als auf seine Ablösung zu warten. Auf dem Platz ist davon aber wenig zu erkennen. "Ich denke nicht, dass ein Profi sich davon beeinflussen lässt, was im nächsten Jahr passieren könnte", sagt Pellegrini. Ist dem wirklich so, machen die Profis von City ihrer Berufs-Bezeichnung alle Ehre und verhalten sich ungemein professionell.

Die meisten Punkte, die meisten Tore

Objektiv betrachtet ist Manchester City nämlich tatsächlich der heißeste Titelanwärter. Leicester ist zwar Tabellenführer, aber immer noch Leicester. Ein Underdog, dessen Einbruch wöchentlich erwartet wird. Am Samstag treffen Leicester und ManCity aufeinander (13.45 Uhr im LIVETICKER).

Arsenal, das zwei Punkte hinter City und fünf hinter Leicester liegt, ist immer noch Arsenal. Ein großer Verein, dessen Phobie vor wichtigen Titeln größer ist. Angesteckt hat sich Arsenal mit dieser Phobie beim Lokalrivalen Tottenham, dem nächsten Verfolger, bei dem die Angst vor Titeln fast schon panisch erscheint. Und dann kommt erstmal lange nichts.

Würde Pellegrini mit dem titelerprobten City im Sommer Meister werden, wäre es sein zweiter Premier-League-Triumph in seiner dreijährigen Amtszeit als Trainer der Skyblues. Eine mehr als beachtliche Quote. Die nackten Zahlen sprechen ohnehin für Pellegrini: Seit seiner Amtsübernahme sammelte kein Premier-League-Verein mehr Punkte als Manchester City. In jeder Saison schoss City die meisten Tore, verfügte stets über die beste Offensive.

Die Offensive. Das ist ein Ansatzpunkt, um sich Pellegrinis Spielphilosophie zu nähern. "Er ist ein Trainer, der am liebsten permanent angreifen lässt", sagt sein Co-Kapitän Yaya Toure. Die Zahlen untermauern diese Aussage. Bereits vor seiner Tätigkeit bei Manchester City schaffte es der 62-Jährige, torgefährliche Teams zu formen. In der Saison 2009/10 trainierte Pellegrini etwa Real Madrid. Der Titel wurde knapp verpasst, die meisten Tore der Spielzeit schossen aber die Königlichen. Pellegrini musste trotzdem gehen. Er versprühte zu wenig Glamour.

Der Pragmatiker

Pellegrinis Mannschaften definieren sich weniger über Konter, als vielmehr über Ballbesitz. "Man braucht kein Tempo, sondern sicheres Passspiel im letzten Drittel", sagte Pellegrini mal. Eine Notiz, die auch in der geheimen Taktik-Fibel von Guardiola so vermerkt sein könnte. Trotz der ähnlichen Ansichten der beiden Trainer steht den Skyblues unter Guardiola im kommenden Sommer aber wohl ein größerer Kader-Umbruch bevor.

Gut, City hat einen David Silva und einen Kevin De Bruyne im Kader, auch einen Raheem Sterling und einen Sergio Agüero. Alles Spieler, mit denen Guardiola sicherlich gerne arbeiten wird. Das Problem aber ist: Der Kader von City ist unausgewogen und nicht wirklich konsequent zusammengestellt, nicht auf eine bestimmte Spielphilosophie ausgerichtet. Dazu überaltert.

In der Offensive tummeln sich technisch versierte Zauberer, in der Defensive teilweise fahrige Kämpfer. Solche, die sich mehr über Tacklings definieren als über eine gute Spieleröffnung. Speziell die Außenverteidiger agieren nicht oder können nicht agieren, wie Guardiola sie agieren lassen würde. Einrückbewegungen ins Zentrum oder abwechslungsreiche Kombinationen mit den äußeren Mittelfeldspielern sind von Pablo Zabaleta, Aleksandar Kolarov und Bacary Sagna selten zu sehen.

Guardiola ist Dogmatiker, Pellegrini Pragmatiker. Der Chilene weiß, dass er seit längerem keine große Entscheidungsgewalt im Verein (mehr) hat. Er passt die Spielweise seinen Spielern an, statt bestimmte Neuzugänge zu fordern. "Eine Sache sind meine Teams nicht: ausrechenbar. Wir können auf verschiedenste Arten spielen", sagt Pellegrini. Beim Chilenen kommt die taktische Ausrichtung auf die Spieler an. Guardiola ist diesbezüglich anders gestrickt. Die Philosophie des Katalanen ist für ihn alternativlos und recht starr festgelegt; passen Spieler nicht in sein Konzept oder können sie sich nicht anpassen, müssen sie gehen.

Hausverlosungen und Gesangsunterricht

Pellegrini hat nicht nur bewiesen, dass er mit großen Mannschaften Erfolg haben kann. Er hat auch bewiesen, dass er mit Außenseiter-Mannschaften zielführenden Außenseiter-Fußball spielen lassen kann. Pellegrini führte Villarreal 2006 ins Halbfinale der Champions League und Malaga 2013 ins Viertelfinale. Bei diesen Überraschungscoups halfen Pellegrini neben seiner taktischen Flexibilität stets auch seine herausragenden Motivationsfähigkeiten. Zabaleta lobte kürzlich explizit das Man-Management des Chilenen. "Es ist wichtig, jedem Spieler jene individuelle Zuwendung zu geben, die er benötigt, um sein Potenzial voll entfalten zu können", sagt Pellegrini.

Dieses Man-Mangement treibt er teilweise auf kuriose Spitzen. Als Trainer von San Lorenzo soll er zwecks Motivation mal ein Haus verlost haben; bei Villarreal immerhin ein Auto. Dort nahm Pellegrini auch Gesangs-Unterricht. Er schöpfe das Potential seine Stimme bei Ansprachen nicht voll aus, erklärte der Chilene. Pellegrini blickt über den Tellerrand. Nicht umsonst lautet sein Spitzname "El Ingeniero". Er studierte einst Bauingenieurwesen. "Das ist eine Disziplin, die geordnete Gedanken verlangt", sagt der Chilene", "das hilft mir, logisch zu denken und rational zu entscheiden."

Im Fußballgeschäft ist aber nur wenig logisch und noch weniger rational. Trainer werden oft ob ihrer öffentlichen Auftritte und ihrer Sprüche bewertet, ob ihrer Aura und weniger ob der tatsächlichen Leistungen ihrer Mannschaft auf dem Platz. Dagegen anzukämpfen macht Pellegrini scheinbar Spaß: "Für mich ist es sehr wichtig, dass die Möglichkeit besteht, entlassen zu werden. Was ich nach meinem Karriereende am meisten vermissen werde, ist der ständige Druck."

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