Gut Ding und so

Auch in Liverpool ist das Leben kein Ponyhof: Jürgen Klopp
© getty

Ein bisschen mehr als 100 Tage ist Jürgen Klopp Trainer beim FC Liverpool. Nach der unglücklichen 0:1-Niederlage gegen Manchester United kommt nun erstmals Kritik am deutschen Trainer auf. Der totale Hype ist der Ernüchterung gewichen, dabei gibt es eigentlich kaum Grund zur Sorge.

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"It's not a wish concert", sagte Jürgen Klopp nach dem Spiel gegen Manchester United. Die recht frei aus dem Deutschen übersetzte Redewendung des Trainers sollte die unglückliche 0:1-Niederlage am Sonntag erklären. Die Reds waren gegen United das klar bessere Team, hatten die besseren Chancen, aber verpassten es, ein Tor zu erzielen. Es war Klopps fünfte Pleite im 14. Ligaspiel.

Dass Liverpool an diesem Tag kein Treffer gelingen wollte, lag zum einen am starken David De Gea, der nicht nur einmal herausragend reagierte und zum anderen am fehlenden Quäntchen Glück. So war es Wayne Rooney, der mit seinem ersten Treffer an der Anfield Road seit 2005 für den schmeichelhaften Dreier sorgte und die uninspirierten Red Devils somit im Kampf um die internationalen Plätze im Rennen hielt.

Von Europa ist der FC Liverpool als Tabellenneunter ein gutes Stück entfernt. Auch wenn die Reds in den Pokalwettbewerben noch Chancen auf insgesamt drei Titel haben, muss man feststellen: Nach der Euphorie um Klopps Verpflichtung Anfang Oktober ist doch merklich Ernüchterung eingekehrt.

Zehn Siege in 22 Spielen

Auffällig ist, dass Liverpool zwar gegen die Großen bisher glänzen konnte, sich gegen die kleineren Teams aus dem Tabellenmittelfeld oder -keller allerdings schwer tat. So siegte Pool in London beim FC Chelsea (3:1) und in Manchester bei City (4:1), holte gegen den FC Arsenal in einem verrückten Match einen Punkt (3:3) und besiegte zudem das Überraschungsteam aus Leicester.

Doch gegen Crystal Palace zog man ebenso den Kürzeren wie gegen Newcastle und Watford. Klopp hat bisher noch keine Konstanz in das Spiel des FC Liverpool bekommen. In 22 Pflichtspielen fuhr er zehn Siege, sieben Remis und fünf Niederlagen ein. Keine grandiose, eher eine ordentliche Statistik.

Natürlich war die Erwartungshaltung an Klopp von Beginn völlig utopisch (gewesen). Fans und Medien feierten ihn als den neuen Messias. Er selbst versprach aber von Anfang an keine Wunderdinge. Klopp wusste damals schon, was ihn erwarten würde.

Dass es nach drei Monaten noch nicht richtig rund läuft, liegt auch an den argen Verletzungsproblemen, mit denen Klopp zu kämpfen hat - so hatte der Coach bisher noch nie seinen kompletten Kader an Bord.

Der etatmäßige Torjäger Daniel Sturridge fehlt den Reds schon längere Zeit, mit Martin Skrtel und Dejan Lovren fiel zuletzt die Stamminnenverteidigung aus. Philippe Coutinho, Divock Origi und Danny Ings wurden in der Offensive vermisst.

Dass die Misere zu Teilen auch dem Coach angelastet wird, will Nationalspieler Emre Can so nicht stehen lassen: "Ich habe in den Zeitungen gelesen, dass viele Verletzungen daran liegen würden, dass wir 'zu hart trainieren' würden. Das ist Quatsch. Zwischen den vielen Spielen, die wir in dieser Saisonphase haben, trainieren wir überhaupt nicht, sondern nutzen die Zeit vielmehr zur Regeneration."

Gezielte Trainingsinhalte? Fast unmöglich

So sind eher die vielen Spiele das Problem für Klopp. Er übernahm das Team vor der Länderspielpause Anfang Oktober. Anschließend stand fast jeden dritten Tag ein Match im Kalender, wodurch Klopp seinem Team noch wenig taktische Feinheiten vermitteln konnte.

Zwar ist mit dem aggressiven Pressing und dem Gegenpressing bereits eine klare Handschrift zu erkennen, doch der Annährungsprozess zwischen der Mannschaft und dem Trainer kann aufgrund der vielen Termine noch gar nicht abgeschlossen sein.

Derzeit lebt das Team mehr von der Leidenschaft, die Klopp durch seine ureigene Art entfacht, als von spielerischem Glanz. Gezielte Trainingsinhalte können von Klopps Trainerteam immer nur teilweise eingestreut werden. Immerhin: Der FC Arsenal hatte gegen die Reds eine schwache Passquote von 73 Prozent. Das wilde Spiel gegen den Ball funktioniert zumindest in Ansätzen.

Allerdings ist es auffällig, dass Liverpool scheinbar unter dem BVB-Virus aus der vergangenen Saison leidet: Man trifft das Tor einfach nicht. Seit Klopp Trainer an der Anfield Road ist, haben die Reds die meisten Chancen in der Liga kreiert (181), erzielten dabei aber lediglich 17 Treffer.

Hysterie im Blätterwald

So sparen die englischen Medien nicht mit süffisanten Kommentaren. Der BVB unter Klopp hätte damals wie ein "Schwarm Bienen" gespielt, "Liverpool aber flattert wie ein Schmetterling - und sticht auch so", schrieb beispielweise die Times. "Das Charisma des Managers ist kein Allheilmittel", war im Telegraph zu lesen: "Die Persönlichkeit des Messias kann das Versagen beim Verteidigen von Ecken und beim Nutzen von Torchancen nicht verbergen."

Nun ist die Handlungsschnelligkeit der englischen Medien auch hierzulande hinlänglich bekannt, insofern sollte man sich hüten, für Liverpool den Notstand auszurufen. Vielmehr sollte man bedenken, dass Klopp die Mannschaft nicht nach seinen Ansprüchen zusammengestellt hat. Vorgänger Brendan Rodgers baute sich seinen Kader zusammen, um Ballbesitzfußball spielen zu lassen.

So scheint beispielsweise Rekordtransfer Christian Benteke nicht in das Anforderungsprofil von Klopp zu passen, denn der Coach stellt lieber Roberto Firmino ins Sturmzentrum. Womöglich hätte Klopp die 42 Millionen Euro für den Belgier anders investiert.

Ein Jahr als Findungsphase

Doch trotz der aufkommenden Kritik zog Klopp ein durchaus positives Fazit der ersten 100 Tage an der Anfield Road. "Es gab einige perfekte Momente, einige durchschnittliche und nicht zu viele schlechte Momente. Wir werden weiter an uns arbeiten", sagte Klopp vor der Partie gegen United: "Wie immer im Leben hätte man Dinge besser machen können. Wir müssen weitermachen und das werden wir tun."

Es wird definitiv keine einfache erste Saison für Klopp in Liverpool. Das war aber auch nicht zu erwarten. Man befindet sich in der Abtastphase. Klopp muss den englischen Fußballalltag begreifen lernen und der FC Liverpool sich erst mal an The Normal One und dessen Vorstellungen gewöhnen.

Im kommenden Sommer hat Klopp dann die Möglichkeit, sein Team personell und taktisch nach seinen Vorstellungen zu gestalten.

Nicht zu vergessen: Auch seine erste Saison in Dortmund glich einem Findungsprozess, der letztlich drei Jahre später im Erreichen des Champions-League-Finals gipfelte. Ein deutsches Sprichwort sagt: "Gut Ding will Weile haben."

Vielleicht sollte Jürgen Klopp das auf der nächsten Pressekonferenz mal ins Englische übersetzen.

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