Ein König ohne Gefolge

Gerard Deulofeu kehrt zum FC Everton zurück
© getty

Der FC Barcelona verliert mit Gerard Deulofeu eines seiner größten Talente, weint ihm aber doch keine Träne nach. Trotz Förderung von Pep Guardiola, David Villa und Unai Emery rief der Offensivgeist sein enormes Potenzial noch nicht ab. Beim FC Everton will er seinen Traum weiterleben.

Cookie-Einstellungen

Albert Benaiges Augen glänzen, wenn er über La Masia spricht. Der inzwischen in Mexiko tätige Katalane leitete fast 20 Jahre die Geschicke der Jugendschule Barcelonas mit eiserner Hand. Arbeit, Demut, Hingabe. Benaiges lebte die Prinzipien vor wie kaum ein anderer.

"Eines Tages hat sich ein Jugendspieler danebenbenommen. Wir haben ihn in den Fußballkindergarten gesteckt, er musste mit den Kleinkindern trainieren und deren Sachen tragen. Wir verboten ihm die Reise mit der spanischen Nationalmannschaft und kündigten seinen Sponsorenvertrag mit Nike", erzählte er nach seinem Abschied 2011.

Benaiges wusste ganz genau um all die kleinen Dinge, die einen jungen Fußballer von seiner Karriereleiter schubsen können. Er hatte Lionel Messi auf seinem Werdegang gesehen, er hatte aber auch Spieler wie Bojan Krkic gesehen.

Erstes Coverbild mit 14

Einen ähnlichen Karriereverlauf wie den des hochtalentierten Stürmers, der inzwischen für Stoke City spielt, sollte es nach seinem Ermessen nie wieder geben: Vom Riesentalent über den kommenden Weltfußballer hin zum ewigen Talent innerhalb weniger Jahre.

Benaiges wusste genau, was er tat, als er Gerard Deulofeu unter besondere Beobachtung stellte. Mit neun Jahren in die Jugendschule Barcas gewechselt, wurde dieser dennoch Jahr für Jahr mehr zum Star. Auf das erste Radio-Interview, folgte das erste Cover auf der MundoDeportivo mit 14 Jahren. Wenig später wurde er zum neuen Ronaldinho auserkoren.

Beidfüßig, brillant im Eins gegen Eins, kaum vom Ball zu trennen und mit einer Freude am Fußball, wie man sie bisher nur vom Brasilianer und mehrfachen Weltfußballer kannte. Der Weg des offensiven Flügelspielers schien schon früh vorgezeichnet.

Guardiola sieht Potenzial

Kein Wunder, denn der heute 21-Jährige lieferte ab wie kaum ein anderes Talent in La Masia. Von Jugend ging es zu Jugend, direkt aus der U19 heraus absolvierte er seinen ersten Einsatz bei den Profis. Immer mit dabei: Seine Solo-Einlagen, seine Schnelligkeit - und sein kaum zu bremsender Egoismus. Klub-Legende Carlos Rexach stellte fest: "Deulofeu ist gut. Und das weiß er zu gut."

Ein junger Spieler eben, der große Teile seiner bisherigen Fußballerkarriere seine Gegenspieler nach Belieben dominiert hatte. Selbst im B-Team des FC Barcelona konnten ihm die Gegner kaum Einhalt gebieten. 68 Einsätze, 27 Tore, sechs Vorlagen sammelte er in seiner Zeit in der Reserve.

Pep Guardiola outete sich schnell als Fan. Hier ein Training mit den Profis, dort eine Reise mit den Profis. Zu Einsätzen brachte er es nicht regelmäßig, aber die Aufmerksamkeit des Triple-Trainers war ihm sicher.

"Du bist hier für die Arbeit"

Für El Periodico berichtete Xavi Torres aus dem Training der Katalanen. Guardiola nahm sich fast eine gesamte Einheit Zeit, um sich der größten Schwäche seines Talents anzunehmen. Das Umschalten nach Ballverlust, direktes Nachsetzen, das Nutzen seines Deckungsschattens im Pressing - Deulofeu konnte seinem Trainer sicherlich folgen, nur die Anwendung blieb aus.

Das Potenzial sah der heutige Bayern-Coach nicht alleine. "Er hat unglaubliche Fähigkeiten, schick ihn ins Eins gegen Eins - pfff", sollte ihm Jahre später Unai Emery beipflichten. Doch auch der Sevilla-Trainer monierte die Schwächen: "Aber schick ihn mit Mitspielern auf das große Feld, dann wird es kompliziert. Er hat nicht die Reife oder die Fähigkeit sich aufzuopfern."

Guardiola gab nicht auf. Er setzte David Villa auf Deulofeu an. El Guaje sollte sich um den jungen Mann kümmern, verzweifelte aber regelrecht. Villa meckerte, motivierte, redete auf ihn ein. Ohne Erfolg. "Deulo, du bist hier für die Arbeit", rief er ihm im öffentlichen Training zu, als sein Schützling lieber Schuhe wechselte, als sich aufzuwärmen.

Wechsel auf die Insel

Als die Stimmung in Barcelona zu kippen drohte, reagierte der Verein. Die Fans hatten in Deulofeu einen Feind gefunden - spätestens nachdem er mehrmals betonte, Cristiano Ronaldo vom Erzrivalen Real Madrid sei sein größtes Vorbild.

Die Leihe zum FC Everton sollte ihn reifen lassen, ihn aus seiner gewohnten Umgebung reißen und ihn auch sportlich weiterbringen. "Wir müssen geduldig sein, er ist ein junger Mann. Wenn wir uns gut um ihn kümmern, werden wir seine Qualitäten genießen", kündigte Toffees-Coach Roberto Martinez an.

Er behielt Recht. Deulofeu spielte gut auf der Insel, auch wenn er eineinhalb Monate mit einer Verletzung pausieren musste. Sein großes Potenzial blitzte mehr als nur einmal auf, der Spanier genoss seine Zeit in England regelrecht, war aber dennoch unzufrieden, als es zurück nach Barcelona ging: "Ich hätte mehr spielen müssen."

Enrique verbannt Deulofeu

Die Unzufriedenheit sollte bleiben. Luis Enrique zeigte sich als kein großer Freund des Rückkehrers. Nur eine Woche nach der Ankündigung, jeder könne sich seine Minuten verdienen, ging es für Deulofeu per Leihe nach Sevilla.

Lucho statuierte ein Exempel: "Er muss einige Dinge verbessern und erst beweisen, dass er bei einem Klub wie Barcelona spielen kann." Der Konter folgte auf der Stelle: "Vielleicht vertrauen mir die Leute in Barcelona nicht. Das ist normal. Die Trainer setzen nicht auf junge Spieler, wie ich einer bin."

Deulofeu muss sich vorgekommen sein wie ein König, dem jedes Gefolge fehlt. Seine Fähigkeiten sind unumstritten, doch Anhänger findet er keine. Wenige Tage nach seinem Abgang berief Enrique in Barcelona Munir El Haddadi und Sandro Ramirez in die erste Mannschaft, Deulofeu dagegen stieß auch in Sevilla zunächst auf verschlossene Türen.

"Arbeiten und lernen"

Emery gab ihm nicht viel Einsatzzeit, verlangte von ihm, sich diese im Training zu verdienen. "Ich habe Jungs, die haben weniger Talent, aber mehr Hunger. Sie wissen, was es heißt, bei Sevilla sein zu dürfen", stellte er klar.

Der Coach ließ nicht locker: " Man kann aus dem Holz eines Champions gemacht sein. Aber dieses Holz muss man mit Hingabe, Arbeit und Demut schleifen. Reife erlangt man nicht in einer Partie und nicht in einer Saison. Er ist 20 Jahre alt, er muss arbeiten. Für ihn muss klar sein, dass er hierhergekommen ist, um zu arbeiten und zu lernen."

Deulofeu sprang auf die Provokation an. Seine Accounts in den sozialen Medien waren plötzlich nicht mehr geprägt von Bildern, die ihn beim Feiern, auf seiner Yacht oder in seiner Villa zeigen. Vielmehr wurde er zum Teamplayer. Fotos mit seinen Mannschaftskameraden, die Wörter "Reife", "Prozess" und "Erfahrung" nahmen überhand. Er lief plötzlich, schaltete defensiv um und verdiente sich Minute um Minute.

Nur keine Leihe mehr

Ein kurzes Hoch. Emery experimentierte und musste seine formstarke Offensive rotieren. Deulofeus Motivation fiel erneut, die Reaktion folgte via Instagram. Mit einem Bild vom Strand und der Überschrift: "Verwandle die Mauern in deinem Leben zu Hürden auf dem Weg zu deinen Zielen", verabschiedete er sich aus Sevilla.

Die Ansage an Barcelona war direkt klar: Keine Leihen mehr. Deulofeu sprach von einem "wichtigen Jahr" und setzte seinen Klub unter Druck. Das nur bedingt handlungsfähige Interims-Management um Antonio Braida entschied sich noch vor den Neuwahlen zum Verkauf - trotz eigentlich eingeschränkter Handlungsfreiheit auf "erforderliche und unverzichtbare" Entscheidungen. Noch-Präsident Josep Maria Bartomeu erklärte: "Wir mussten ihn verkaufen. Der Trainer hat uns mitgeteilt, für ihn keinen Platz zu haben."

Martinez hilft einmal mehr

Für sechs Millionen geht es nun wieder auf die Insel, Barcelona behält laut verschiedenen Medienberichten für die nächsten drei Jahre eine Rückkaufklausel. Wohl der Grund, warum die Ablöse mit sechs Millionen Euro so verhältnismäßig gering ausfiel für den Goldenen Spieler des Jahres 2012.

Der FC Everton und Martinez strecken erneut die helfende Hand aus. "Wir sind unglaublich aufgeregt, ihn wieder willkommen heißen zu dürfen und ihm dabei zu helfen zu wachsen, sich zu entwickeln und seine Talente einzubringen."

Der König selbst kündigte seine Rückkehr per Twitter an. "Ich bin zurück! Einmal ein Blauer, immer ein Blauer!"

Gerard Deulofeu im Steckbrief