Teuflische Sturheit

Louis van Gaal will mit den Red Devils noch ins Titel-Rennen einsteigen
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Zu Beginn der Spielzeit war Manchester United das Gespött der Premier League. Jetzt, auf der Zielgeraden der Saison, träumt man im Theatre of Dreams sogar vom Titel. Coach Louis van Gaal sieht sein Team auch dank einiger unerwarteter Hoffnungsträger am Ende des Entwicklungsprozesses - was es gegen die Citizens (So., 17 Uhr im LIVE-TICKER) zu beweisen gilt.

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"United ist eine einzige Katastrophe", meinte der Mirror. Und BBC wollte eine "taktischer Bankrott-Erklärung" gesehen haben, nach dem FA-Cup-Aus gegen Arsenal. Schon lange zuvor hatte Paul Scholes ausgeholt. "Es fällt mir schwer, Louis van Gaals Team mit Freude zuzusehen", so der 40-Jährige. "Zeitweise ist Manchesters Fußball miserabel."

Es sind nur drei Kommentare aus einem ganzen Meer unzähliger Seitenhiebe, Sprüche und kritischer Stimmen, die die Red Devils und Louis van Gaal über sich ergehen lassen mussten, seitdem der Tulpengeneral als Cheftrainer seinen Fuß das erste Mal ins Old Trafford setzte.

Doch der Niederländer ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Trotz der desolaten Ausbeute von nur einem Sieg aus den ersten sieben Pflichtspielen - darunter ein 3:5 gegen den aktuellen Tabellenletzten aus Leicester. Trotz des 0:4 gegen Drittligist Milton Keynes Dons im League Cup.

Denn, so sagte United-Legende Scholes in einem seiner Rundumschläge: "Van Gaal ist ein sturer Mann." Und: "Im Fußball ist das keine schlechte Sache."

Aus Chaoshaufen mach Titelanwärter

Mittlerweile scheint sich die Sturheit des Niederländers tatsächlich auszuzahlen. Fünf Ligaspiele haben die Red Devils in Folge gewonnen und grüßen mittlerweile von Rang drei - nur einen Punkt hinter Arsenal, acht Punkte hinter dem Tabellenführer von der Stamford Bridge.

Van Gaal hat zur heißen Phase der Saison sein System gefunden. Nach zahllosen Experimenten, nach taktischen Ausrichtungen, die man schon an zwei Händen abzählen muss - mit Dreierkette, Viererkette, Fünfermittelfeld oder Doppelspitze -, formte der Niederländer aus einem "starren und übercoachten Chaoshaufen" (Independent) eine Mannschaft, die endlich wieder um den Platz an der Sonne in der Premier League mitspielen kann.

Die Red Devils stellen mittlerweile die drittbeste Defensive und die viertbeste Offensive der Liga. Es sei definitiv "ein anderes Manchester United" als noch in der Hinrunde, sagt der Coach. "Wir haben das Team entwickelt und sind jetzt am Ende des Prozesses."

Fellaini und Herrera blühen auf

Ein Prozess, der sich auch in eine positive Richtung entwickelte, weil sich unverhofft neue Hoffnungsträger ins Rampenlicht gespielt haben. Spieler, die unter Van Gaals Vorgänger David Moyes schon abgeschrieben waren.

Zum einen wäre da Marouane Fellaini, der nach seiner von Blessuren durchzogenen Premieren-Spielzeit unter Moyes schon als 32-Millionen-Flop abgestempelt wurde. Blasse Auftritte und Slapstick-Nummern gaben sich beim Belgier die Klinke in die Hand. Jetzt ist Fellaini Herzstück des United-Mittelfelds.

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"Ich brauchte jemanden, der dem Team Balance gibt", sagte van Gaal. "Er kann das." Nach seinem Horrorstart in Manchester nutzte der Belgier die Chance unter seinem neuen Coach. "Von der ersten Trainingseinheit an hat er gemacht, was ich ihm gesagt habe. Er war offen für alles und wollte liefern", erinnert sich van Gaal.

Das Symbol für den United-Aufschwung schlechthin ist allerdings Ander Herrera. Zwischen September und Februar genau zweimal in der Startformation von United, hat sich der Baske im jüngsten Run der Red Devils unverzichtbar gemacht wie kein Zweiter. Schaltzentrale, Box-to-Box-Arbeiter und neuerdings sogar Goalgetter: Der Mittelfeldspieler aus Bilbao präsentiert sich so gut wie noch nie im roten Trikot.

"Er hat sich sehr gut entwickelt", lobte auch van Gaal, der Herrera beim 3:1-Sieg über Aston Villa nach dessen Führungstreffer in der Halbzeit gar geküsst habe. "Er hat sieben Tore gemacht, obwohl er nicht einmal regelmäßig gespielt hat. Was könnte man als Mittelfedspieler noch besser machen?"

Die Symbole des neuen Uniteds?

Da fällt es auch nicht ins Gewicht, dass die beiden Spieler, die eigentlich als Symbol des neuen Uniteds für viel, viel Geld ins Old Trafford geholt wurden, auf der Strecke geblieben sind.

Angel Di Maria, der mit 75 Millionen Euro teuerste Neuzugang der Klubgeschichte, hat trotz elf Assists in der Liga seit Anfang Februar kein Spiel mehr über 90 Minuten bestritten. Von der Daily Mail wurde der Argentinier jüngst in die Top Ten der Transferflops gewählt.

Eine noch geringere Rolle als der ehemalige Königliche spielt Radamel Falcao in den Plänen von Louis van Gaal. Trotz neun Scorerpunkten schaffte es der 29-Jährige in den vergangenen Wochen teilweise nicht einmal mehr in den Kader. Auch in Abwesenheit von Robin van Persie, der mit einer Knöchelblessur seit Ende Februar passen muss, hat die kolumbianische Leihgabe keine Hauptrolle in van Gaals Ensemble.

Leise Träumereien vom Titel

Der gab einst die Qualifikation zur Champions League nach der desolaten Spielzeit unter Moyes als Uniteds Saisonziel aus. Und jetzt? Träumt man im Old Trafford sogar vom ganz großen Coup. Zumindest ein kleines bisschen.

"Es ist immer noch ein erbarmungsloses Rennen", mahnte der Coach. "Aber wir müssen noch gegen Chelsea, City und Arsenal spielen." Das sind drei absolute Topspiele in den sieben verbliebenen Liga-Spielen, von denen Juan Mata als "sieben Finals" spricht.

Und gewinnt man diese Endspiele, wer weiß, was am Ende für die Red Devils noch drin wäre. "Wenn man noch gegen die Mannschaften spielt, die vor einem sind, ist noch nichts entschieden", gab sich van Gaal vor dem Derby gegen Manchester City angriffslustig. "Alles ist noch möglich, es kann viel passieren. Mathematisch", so van Gaal, "können wir den Titel noch gewinnen."

Mut machen darf die Bilanz gegen die Top 5 der Liga, gegen die es in dieser Spielzeit nur eine Niederlage gab - jedoch ausgerechnet im ersten Derby der Saison im Etihad Stadium. Die Citizens, derzeit einen Punkt hinter United auf Rang vier, mussten am letzten Wochenende mit einer peinlichen Pleite gegen Crystal Palace einen riesigen Rückschlag im Meisterrennen hinnehmen. "Das wird in ihren Köpfen umherschwirren", prophezeite van Gaal bereits vor Citys Niederlage über die möglichen Folgen.

"Ich habe gesagt, dass wir am Ende um Trophäen kämpfen"

Dass der Entwicklungs-Prozess - wie von van Gaal proklamiert - bereits abgeschlossen ist, muss sich allerdings erst noch zeigen. Dafür war United die Spielzeit über zu inkonstant und leistete sich immer wieder böse Fehltritte. Einen guten wie wichtigen Beweis - zumindest, wenn man tatsächlich noch ein bisschen vom Titel träumen möchte - gilt es jetzt gegen die Sky Blues zu erbringen.

"Als wir nach zehn Spielen nur 13 Punkten hatten", sagte van Gaal kürzlich, "da gab es viel Kritik. Und ich habe gesagt, dass wir am Ende der Saison um die Trophäen kämpfen werden. Und so ist es ja auch."

Stur sein ist im Fußball eben doch keine schlechte Sache.

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