Hoffnungsträger von der Baustelle

Von Erik Sabas
Mit 15 Treffern ist Charlie Austin die Lebensversicherung der Queens Park Rangers
© getty

Mit 16 wurde er aussortiert, arbeitete als Maurer und tingelte als Amateurkicker durch die englische Prärie. Seine beeindruckende Torquote bescherte Charlie Austin einen späten Aufstieg. Derzeit ist er als Vierter der Premier-League-Torjägerliste der große Hoffnungsträger der abstiegsbedrohten Queens Park Rangers- und auch bei der englischen Nationalmannschaft ein Thema.

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Diego Costa, Harry Kane und Sergio Agüero: An der Spitze der Torschützenliste der Premier League tummeln sich traditionell die Topstars der Topteams. Auf Platz vier folgt ein Name, der gar nicht in dieses Raster passt: Charlie Austin von den akut abstiegsbedrohten Queens Park Rangers.

15 von insgesamt 31 erzielten QPR-Treffern hat das Kraftpaket gemacht - und drei weitere aufgelegt. Daher weiß auch TV-Experte Phil Neville: "Queens Parks Klassenerhalt ist komplett von Austins Trefferquote abhängig."

Charlie Austin ist heute ein Kerl wie ein Baum: 1,89m groß, linker Arm tätowiert, Vier- bis Fünf-Tage-Bart. Es mutet unvorstellbar an, dass er einst in der Jugend des FC Reading als 16-Jähriger aussortiert wurde, weil er dem heutigen Championship-Team zu klein war.

Der Traum vom Profi war für Austin daher erst einmal sehr weit weg, so dass sein Leben zunächst dem eines bodenständigen Amateurfußballers glich. Er arbeitete ab 2008 als Maurer in Bournemouth und kickte nebenbei in der siebten Liga bei Poole Town. Nach einem ruppigen Tag auf der Baustelle wartete direkt nach Feierabend der Mannschaftsbus auf ihn und fuhr ihr durch die Prärie der Wessex Premier Division. Nicht selten fiel Austin erst weit nach Mitternacht völlig fertig ins Bett mit der Gewissheit, dass der Wecker wieder um 5.30 Uhr klingeln würde.

Austin als Bomber der Provinz

Sportlich hatten die enormen Strapazen für den heute 25-Jährigen kaum Auswirkungen. 46 Tore gelangen ihm in 46 Spielen über zwei Spielzeiten. "Wenn ich daran zurückdenke, erinnere ich mich, dass auch alles ganz anders hätte kommen können", sagt Austin.

Und danach sah es lange Zeit auch aus. Als er vor der Saison 2009/2010 im Probetraining beim League-Two-Team FC Bournemouth zu überzeugen wusste, scheiterte sein Transfer in letzter Sekunde an einem vom Verband verhängten Transferembargo. Seinen Ärger über den geplatzten Wechsel ließ er dann an der unterklassigen Ligakonkurrenz aus: 18 Tore in elf Spielen.

Sein Torinstinkt war natürlich auch der Grund, weshalb sich das Blatt für ihn doch noch wenden sollte. Immer mehr britische Scouts wurden auf ihn aufmerksam. Doch nur einer schlug zu.

"Die Tore stehen ja nicht plötzlich woanders"

Swindon-Town-Scout Ken Ryder verirrte sich eines Tages ins Poole-Stadion, als Austin ein Viererpack gelang. Doch Ryder hatte Bedenken, schließlich war er hier in der 7. Liga unterwegs. Doch dem Scout ging dieser Stürmer nicht aus dem Kopf, so dass er ein weiteres Mal vorbeischaute. Wieder traf Austin mehrfach.

Letztlich waren aller guten Dinge drei: Ryder schickte zur nächsten Partie einen Kollegen aus der Scoutingabteilung. Dieser rief ihn bereits zur Halbzeit an: "Du kannst doch nur diesen großen Angreifer meinen. Drei Tore hat der schon wieder gemacht." Swindon griff zu, Austin hatte sein Glück endgültig erzwungen. Und er lieferte weiter.

In zwei Jahren bei Swindon Town in der League One gelangen ihm 31 Buden. Sein Spiel erwies sich auch auf höherem Niveau als anpassungsfähig. Für Austin keine Besonderheit: "Die Tore stehen ja nicht plötzlich woanders. Du musst nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein."

"Er kann alles"

Es folgte der Wechsel zum Championship-Klub Burnley. Auch dort avancierte er zum Rekordjäger. Mit seinem Doppelpack im Herbst 2012 beim 4:3-Sieg gegen Bristol City pulverisierte er den Uralt-Rekord der Klub-Legende Ray Pointer, indem er in acht Spielen in Folge traf. Wenige Wochen später stand nach 20 Treffern in 17 Spielen fest: keinem Spieler in Burnleys Geschichte gelang es frühzeitiger, 20 Tore in einer Saison zu erzielen.

"Er kann alles. Er schießt Tore auf jede erdenkliche Art. Er trifft aus der Distanz, per Kopf und ist sich auch für einen Abstauber nicht zu schade", sagte beispielsweise Bobby Zamora über den Angreifer.

Seine Auftritte in Burnley sorgten schließlich dafür, dass die Queens Park Rangers nach ihrem Abstieg 2013 5,3 Millionen Euro auf den Tisch legten, um sich den Torjäger für die Mission Wiederaufstieg zu angeln. Gut angelegtes Geld, denn Austin zahlte mit 19 Treffern zurück - und spielte plötzlich in der Beletage des englischen Fußballs. Sein Treffer zum 1:1 im Relegationsspiel gegen Wigan, der letztlich den Aufstieg bedeutete, machte Austin bei den QPR-Fans unsterblich.

Liverpool zeigt Interesse

Dass Austin auch in der Premier League dermaßen bombt, sollte angesichts seiner traditionell starken Torquote wenig verwundern. Mit aktuell 15 Treffern ist er nach Tottenhams Kane der beste englische Torschütze der Liga. Zum Vergleich: Wayne Rooney und Danny Welbeck haben zusammen so viele Tore erzielt wie Austin alleine.

Zwangsläufig kam daher zuletzt das Thema Nationalmannschaft auf, doch eine Nominierung als Belohnung für seine starken Leistungen gab's bislang nicht. Three-Lions-Coach Roy Hodgson steht nicht im Ruf, viele Spieler von kleineren Klubs wie QPR zu berufen. Fürsprecher Zamora fasst sich an den Kopf: "Es wäre eine Schande, wenn er weiter übersehen wird. So was passiert halt, wenn du nicht bei einem der großen Klubs spielst. Für mich wäre er ein No-Brainer."

Das scheint er auch für die Konkurrenz zu sein, die Gerüchteküche fing an zu brodeln. Der FC Liverpool signalisierte bereits Interesse, Queens Park will mit einer satten Gehaltserhöhung auf über 80.000 Euro die Woche dagegenhalten. Austins Vertrag läuft 2016 aus. QPR-Präsident Tony Fernandes ist zuversichtlich: "Ich glaube, sein Herz schlägt für Queens Park. Im Moment geht es ihm wohl darum, ob wir den Klassenerhalt schaffen oder nicht."

Der Rückstand des Londoner Klubs aufs rettende Ufer beträgt derzeit vier Zähler. Zehn der letzten elf Spiele gingen verloren. Austin wird sich Gedanken über seine Zukunft machen, denn obwohl es vor Jahren noch unvorstellbar war - die zweite englische Liga wäre für Austin ein Rückschritt.

Charlie Austin im Steckbrief

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