Wie ein junger Thomas Müller

Von David Schmitt
Harry Kane ist der neue Liebling der Fans an der White Hart Lane
© getty

Wie Phoenix aus der Asche! Harry Kane lebt seinen eigenen Traum bei den Tottenham Hotspur und ist bislang der Newcomer in dieser Premier-League-Saison. Experten ziehen bereits Vergleiche zu den Großen - die Fans stimmen dagegen Lieder für ihren neuen Star an.

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"Soldado, he came from sunny Spain to train with Harry Kane", lauten mittlerweile die Gesänge der Spurs-Anhänger. Nach dem Transfer für knapp 33 Millionen Euro vom FC Valencia im Jahr 2013, muss sich Roberto Soldado meist mit einem Platz auf der Bank begnügen. Hinter einem 21-jährigen Eigengewächs von Tottenham. Harry Kane.

Eigengewächs? Nicht ganz, aber fast. Nachdem er im Alter von acht Jahren bei den Ridgeway Rovers seine ersten Schritte auf dem Fußballplatz wagte, wurde er ausgerechnet vom Stadtrivalen Arsenal gescoutet. Bereits nach einem Jahr war in der Gunners-Akademie schon wieder Schluss, für Kane ging es auf die Tribüne der White Hart Lane. Als Fan - mit einem großen Traum.

Ein Traum, der sich nur ein Jahr später erfüllen sollte. Die Spurs nahmen den Jugendlichen im Alter von 11 Jahren in ihr Programm auf, nachdem er die Watford-Akademie ebenso schnell verlassen musste wie die der Gunners.

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Mit unbändigem Willen

Gründe dafür waren einerseits die Größe und das Durchsetzungsvermögen, andererseits fehlte Kane die Schnelligkeit. "Aber er war schon immer ein vielversprechender Techniker", erklärte sein ehemaliger U-18-Trainer Alex Inglethorpe die Stärke des Talents gegenüber dem "Guardian".

Zudem prognostizierte Inglethorpe bereits vor ein paar Jahren die rasanten Entwicklungsmöglichkeiten von Kane. "Es ist fantastisch für die Akademie und Harry, dass er hier entdeckt wurde. Er ist ein netter Kerl, ein unfassbar guter, junger Spieler mit einer tollen Arbeitsmoral. Und: Einer der sich weiter verbessern wird." Er behielt Recht.

Die Verantwortlichen im Verein erkannten das Potenzial früh und machten nicht den Fehler, die junge Stürmerhoffnung zu verkaufen. Mit 18 Jahren und noch in seiner letzten Jugendsaison wurde er deshalb für ein halbes Jahr an Drittligist Leyton Orient verliehen, um erste Spielpraxis im Profibereich sammeln zu können. 18 Spiele, fünf Buden: Die erste Bilanz ließ sich durchaus sehen.

Die Reise durch England ging weiter für das Talent. Millwall, Norwich und Leicester in den kommenden beiden Jahren waren die nächsten Etappen für den Youngster. Das persönliche Ziel von Kane war jedoch nicht die Leihe zu anderen Klubs. Auch sein ehemaliger U-21-Coach Les Ferdinand wusste wohin die Reise des Briten gehen sollte.

Unter Pochettino gesetzt

"Meiner Meinung nach ragte er als Jugendspieler so heraus, weil er einen unglaublichen Selbstglauben in sich hatte. Er hatte nur ein Ziel und er wusste ganz genau, wohin er wollte." Das Ziel war die Premier League mit seinen Spurs.

Mit der Ankunft von Mauricio Pochettino als Cheftrainer an der White Hart Lane sollte sich der nächste Karriereschritt für Harry Kane ergeben. Unter Tim Sherwood erlebte er zwar sein Debüt für den Herzensverein, doch erst Pochettino setzte den 1,83-Meter großen Stürmer in die Startelf der Spurs. Trotz der Summen, die für Roberto Soldado und auch Emmanuel Adebayor ausgegeben wurden.

Es zahlte sich aus. Seit dem Sieg-Tor als Joker gegen Aston Villa am 10. Spieltag in dieser Saison reiben sich nicht nur die Fans der Spurs angesichts der überragenden Leistungen von Kane die Augen. Sein direkter Freistoßtreffer in der 90. Minute läutete einen unglaublichen Lauf für den Youngster ein. Zuvor wurde er dazu abgestempelt, nur in den "zweitklassigen" Wettbewerben wie dem Capital One Cup oder der Europa League zu treffen. Diese Tore stellen sich nun als das Sprungbrett in die erste Elf heraus.

Hargreaves: "Erinnert mich an jungen Müller"

So kommen dann auch diese wenigen Momente, wie am Neujahrstag 2015, an denen auf dem Platz plötzlich alles funktioniert. Zwei Tore, ein Assist, dazu einen Elfmeter herausgeholt. Harry Kane wurde beim 5:3-Derbysieg über den unangefochtenen Spitzenreiter Chelsea zum absoluten Helden der Tottenham Fans.

Auch die Experten zeigten sich verwundert, wie schnell Kane zum Star aufgestiegen war. "Er erinnert mich an einen jungen Thomas Müller", analysierte der ehemalige Bayern-Spieler und heutige TV-Experte Owen Hargreaves die Spielweise des Offensivmanns. Der Vergleich ist durch die rasante und unerwartete Entwicklung sowie des ähnlichen Spielstils durchaus angebracht.

Lange Zeit ist er unscheinbar auf dem Feld, aber mit einem unfassbaren Aufwand für die Mannschaft unterwegs. Kane ist deshalb unverzichtbar für die flexible Offensivabteilung um Nacer Chadli und Christian Eriksen geworden. Mit hohem Laufaufwand arbeitet er in Pochettinos System defensiv gegen den Ball, während er in Ballbesitz ins Sturmzentrum rückt, um die Bälle abzusichern oder prallen zu lassen.

Und natürlich spielt auch die Torgefahr eine entscheidende Rolle für die Qualität eines Stürmers. "Wir haben viel an seinem Schuss gearbeitet", erklärte Les Ferdinand und fügte einen weiteren Vergleich an: "Ich habe zu den Kollegen immer gesagt, dass er mich durch seine Bewegungen an Teddy Sheringham erinnert, da er immer die freien Räume findet. Aber er schließt vorne genauso ab wie Alan Shearer." Vollspann, hart, flach in die Ecke. Die einzige kleine Schwäche, die Kane seit der Jugend nicht richtig ablegen konnte, hat Legende Gary Lineker entdeckt: "Wäre er eine Spur schneller, könnte man sagen, dass er alles hat."

"He's one of our own"

Aber nicht nur als Stürmer agierte Kane in dieser Saison. In der Euro League Partie gegen Asteras Tripolis half er nach der roten Karte für Hugo Lloris in der Schlussphase als Torwart und Kapitän aus, nachdem er zuvor dreimal geknipst hatte.

Über die Leistung auf der ungewohnten Position konnte nach dem deutlichen 5:1-Erfolg geschmunzelt werden, denn Kane ließ einen harmlosen Freistoß ins Tor trudeln. "Jemand der einen Hattrick erzielt hat, am Ende im eigenen Tor steht und dazu noch als Kapitän - ich werde wahrscheinlich in zukünftigen Pub-Quizzes vertreten sein", scherzte der Torjäger nach dem Spiel.

Aber nicht nur dieser Auftritt zeugt von der natürlichen Art des Nord-Londoners. Im "Sun"-Interview hat er sich längst dazu geoutet, Justin Bieber-Fan zu sein: "Ich mag seine Musik und habe ihn sogar bei einem Konzert gesehen. Ich werde wahrscheinlich eine dafür draufbekommen, aber es gibt mehrere geheime Bieber-Fans in der Umkleide bei uns."

Die Fans der Spurs werden ihm auch diese kleine Macke verzeihen, denn ein weiterer Gesang zum Mitsingen hallt bereits für ihren neuen Liebling durch die Ränge der White Hart Lane: "Harry Kane - He's one of our own."

Harry Kane im Steckbrief

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