Die nächste letzte Chance

Von Kevin Niekamp
Nicklas Bendtner unterschrieb in Wolfsburg für drei Jahre
© getty

Von Fernando Torres zu Nicklas Bendtner - der VfL Wolfsburg hat eine lange Stürmersuche hinter sich. Der Mann vom FC Arsenal soll nun die gewünschte sportliche Option sein, mit allen Risiken und Nebenwirkungen.

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Die Stürmersuche beim VfL Wolfsburg hat ein Ende. Den ganzen Sommer flirrten große Namen durch die VW-Stadt. Romelu Lukaku ging zu Everton, Alvaro Morata nach Turin und die Gerüchte um Fernando Torres waren wohl nur erfunden.

Die Antwort auf die Angreiferfrage lautet also Nicklas Bendtner. Ein Name und eine Entscheidung, die auf den ersten Blick Kopfschütteln und Zweifel hervorruft. Doch was ist vom 26-Jährigen, der einst als eines der größten europäischen Talente gehandelt wurde, zu erwarten?

Unrühmlicher Abschied aus London

Es war der 1. Januar dieses Jahres, als dem FC Arsenal gegen Cardiff City auch nach über einer Stunde kein Treffer gelingen wollte. In der 64. Minute wurde Nicklas Bendtner für Lukas Podolski eingewechselt.

Zwei Minuten vor dem Ende drückte der Däne den Ball über die Linie. Keine Sekunde später knickte der Stürmer um und musste wieder ausgewechselt werden. Bis zum Ende der Saison spielte er nur noch sechs magere Minuten in der Premier League.

Den zum Saisonende auslaufenden Vertrag verlängerten die Londoner nicht. Es war das Ende einer langjährigen und von Eskapaden geprägten Zeit. "Das letzte Jahr ist nicht so gelaufen, wie ich es mir vorgestellt habe. Da war ich einfach geduldig und habe auf das richtige Angebot gewartet."

Nun soll es nach den Stationen Birmingham, Sunderland, Turin und zwischendurch immer mal wieder London also der VfL Wolfsburg sein. "Als sich jetzt diese Möglichkeit ergeben hat, waren wir ziemlich schnell davon überzeugt, dass es das Richtige ist. Wir haben das Pro und Contra erörtert und die Seite mit den Pro-Argumenten war entscheidend größer", so Klaus Allofs.

Schlägern, Pöbeln, Trinken

Die Contra-Seite des "Lord", wie er in England aufgrund seiner früheren Beziehung zu Baronesse Caroline Flemming genannt wird, ist auf den ersten Blick eigentlich zu lang, um einen Vergleich anstellen zu können.

Eine Schlägerei im Nationalmannschaftshotel und ein halbnackter Auftritt vor einer Diskothek. Die Pizzeriapöbelei im Jahr 2010, bei der er die Bedienung angetrunken mit den Worten, "weißt du nicht, wer ich bin? Ich kann den ganzen Laden hier kaufen" beschimpfte, gefolgt von einem Unterhosenjubel inklusive Geldstrafe bei der EM 2012, einer Autofahrt mit 1,5 Promille am Steuer 2013 oder einer Ganzkörperuntersuchung mit seinem Außenspiegel, nachdem er sein Auto auf dem Weg zum Training geschrottet hatte, sind nur ein Teil der nicht enden wollenden Liste.

In diesem Jahr rieb er sich halbnackt an einem Taxi, nachdem er zuvor in den persönlichen Gegenständen des Fahrers gewühlt hatte. Seine vorerst letzte Aktion war ein Facebook-Post, in dem er sich sonnend, nur mit einem Büstenhalter vor seinem besten Stück, zeigte. Nicht beachtet sind dabei zahlreiche mehr oder weniger skandalöse Interviews und Aussagen gegenüber verschiedensten Medien.

Einen Neuanfang verdient

Dieter Hecking wollte diese Dinge aus der Vergangenheit ruhen lassen. "Jeder Mensch hat eine Chance verdient, einen Neuanfang zu machen. Ich fand es nicht gut, dass gleich wieder alles rausgeholt wurde. Lasst ihn doch erstmal ankommen. Lasst ihn doch erst einmal unter Beweis stellen, was er draufhat."

Was für die Verantwortlichen auf der Pro-Seite steht, dürfte die nicht vorhandene Ablöse, das Alter, sowie der Glaube an die Tatsache, dass der endgültige Durchbruch bei dem vorhandenen Potenzial irgendwann erfolgen muss. Die erste und bis dato letzte richtig gute Saison stammt aus dem Jahr 2006, als er bei Birmingham City in der zweiten englischen Liga in 42 Spielen 18 Scorerpunkte sammelte.

Bei der EM 2012 schien es kurzzeitig wieder bergauf zu gehen, was auch Morton Olsen im "kicker"-Interview ansprach: "Bendtner hat sehr großes Potenzial, das er in den letzten Jahren leider nicht abgerufen hat. Im EM-Jahr zählte er zu den besten Stürmern in Europa."

In den beiden darauf folgenden Jahren spielte er bei Arsenal und Juventus zusammen gerade einmal 830 Minuten. Das sind etwas mehr als neun Spiele, bei zwei Treffern und einer Vorlage.

"Flößt dem Gegner Respekt ein"

Was Bendtner in Wolfsburg braucht, ist Vertrauen und eine harte Hand, die ihm schon bei kleineren Fehlern den rechten Weg weist, sowie Mitspieler, die ihn entsprechend seiner Qualitäten bedienen.

Seine Statur verschafft ihm die nötige Durchsetzungskraft am Boden und in der Luft. Gleichzeitig reichen seine technischen Fähigkeiten aus, um ihn ins Kombinationsspiel außerhalb der Box mit einzubeziehen. Genau diese Qualitäten hatten Dieter Hecking zuletzt gefehlt: "Seine Qualität liegt vor allem im Strafraum, da flößt er dem Gegner Respekt ein."

Ein Problem war in der Vergangenheit immer wieder die Konstanz sowie die Verletzungsanfälligkeit. Gerade bei der Dreifachbelastung der Wolfsburger mit der Europa League, die sie möglichst lange in der Saison haben wollen, kommt die Frage auf, ob Bendtner die richtige Personalie ist.

Bendtner hielt sich im Sommer selbstständig fit, ob das reicht und wie lange im Zweifelsfall die Rückkehr auf Profifußball-Niveau dauert, ist eine weitere Unbekannte, auf die sich der VfL sehenden Auges einlässt.

VfL statt Real oder Barcelona

Allofs stört dies nicht: "Bendtner ist ein Stürmer im besten Alter, der in seiner Karriere, die nicht immer ganz geradlinig verlief, bereits viel internationale Erfahrung sammeln konnte und der unsere Qualität in der Offensive mit seinen Fähigkeiten noch weiter erhöhen wird."

Am Freitag könnte der Stürmer gegen den FC Bayern zu seinem ersten Einsatz für die Wölfe kommen. Ein Gegner, auf dessen Niveau sich der Stürmer selbst im November 2013 gesehen hat. Auf die Frage, welcher Klub für ihn als nächstes in Frage komme, antwortete er damals: "Real Madrid oder Barcelona."

10 von 9 auf der Skala

Doch sollte es beim VfL Wolfsburg nicht klappen, wäre dies sicherlich nicht Bendtners Schuld, zumindest nach Auffassung des Dänen. In seiner Zeit bei Arsenal unterzog sich Bendtner einem Test des französischen Sportpsychologen Jacques Crevosier.

In einer Kategorie der Untersuchung, in der ermittelt wird, für wie gut sich der Spieler selbst hält, verblüffte Bendtner den Arzt, der schon mit Stars wie Thierry Henry oder David Trezeguet zusammengearbeitet hat: "Auf einer Skala bis 9, bekam Bendtner eine 10. So was habe ich noch nie gesehen", sagte Crevosier. "Wenn Bendtner zum Beispiel eine Torchance vergibt, ist er felsenfest davon überzeugt, dass es nicht seine Schuld war."

Diese Selbstwahrnehmung kann laut Crevosier gefährlich werden. Sie kann aber auch sehr hilfreich dabei sein, nach Rückschlägen wieder auf die Beine zu kommen. Na denn...

Nicklas Bendtner im Steckbrief

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