Die schrecklich nette Familie

Von Stefan Rommel
Nach den Tränen beim Abschied 2007 sind Mourinho, Lampard und Terry (v.l.) nun wieder vereint
© getty

Alles wieder auf Anfang: Jose Mourinhos Rückkehr an die Bridge verzückt Fans und Medien. Aber ist der 50-Jährige überhaupt der richtige Coach für einen FC Chelsea im Umbruch?

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Wie sehr sich Roman Abramowitsch von seinem Spielzeug entfernt hat, zeigten die Stunden des Triumphs von Amsterdam. Der FC Chelsea errang dort Historisches; noch nie war es einer Mannschaft gelungen, ein Jahr nach dem Gewinn der Champions League auch die Europa League zu gewinnen.

Abramowitsch war nicht zugegen auf den Tribünen der AmsterdamArena, er dokumentierte sein Desinteresse am Spiel seiner Mannschaft auf die offensichtlichste Art und Weise. Vielleicht genügte das Aufeinandertreffen mit Benfica auch einfach nur nicht seinen Ansprüchen.

Barcelona als Vorbild

Chelsea war als Verlierer ins Endspiel des Verlierercups eingezogen und traf da auf einen anderen Verlierer. Die Blues wie auch Benfica waren ursprünglich in der Königsklasse angetreten, durch die krude Reglementierung der UEFA aber trotz des Ausscheidens aus selbiger weiter in einem europäischen Wettbewerb unterwegs. Weniger Glamour, kleinere Sponsoren, die unbekannte Hymne - Abramowitsch sah sich hier nicht gut aufgehoben.

Und dann gab es ja noch etwas, das den kauzigen Russen seit Monaten stört: Trotz des Gewinns des Champions-League-Titels wünschte sich Abramowitsch nicht mehr nur erfolgreichen Fußball, er wünschte sich einen Fußball, wie ihn beispielsweise der FC Barcelona spielt. Oder jetzt die Bayern.

Ist Mou der richtige Trainer?

Der Traum lebt noch heute. Nach dem Triple-Gewinn der Bayern, der den erfolgreichen mit dem schönen Fußball vereinte, vielleicht mehr denn je. Es ist die Konstellation, die eingedenk dieser Sehnsucht erstaunlich erscheint: Kann Jose Mourinho dem FC Chelsea diese Art Fußball implementieren?

Die Rückkehr des Portugiesen zu seiner alten Liebe ist ein Sequel mit einigen Fragezeichen. "Jetzt sind wir wieder zusammen und das ist ein großer Moment für uns beiden", sinnierte Mourinho am Montag über die Liebesbeziehung, die er auch in 2038 Tagen der Abstinenz zumindest heimlich gepflegt haben wollte.

Dabei war sein Abschied damals nebulös. Die innige Beziehung bröckelte schon länger, einen Tag nach einem 1:1 in der Champions League gegen Rosenborg Trondheim war Mourinho seinen Job los. Davor soll er eine auserwählte Garde seiner Spieler per SMS auf seinen Abschied vorbereitet haben. Spieler wie Frank Lampard, John Terry, Didier Drogba - die Prototypen seines Fußballs und diejenigen, die innerhalb der Kabine den Ton anschlugen. Offiziell steht bis heute eine einvernehmliche Trennung.

Viele Veränderungen an der Bridge

Fast sechs Jahre haben einiges verändert. Mourinho mag als Typ noch derselbe sein, hungrig auf Erfolg und nach den zähen letzten Wochen in Madrid auch wieder angriffslustig. Aber beim FC Chelsea hat sich einiges verändert. Nicht nur, dass sein Boss Abramowitsch jetzt ein neues Leitbild verfolgt.

Vor einem Jahr hat der Oligarch die Mannschaft umbauen lassen. Chelsea war im letzten Jahrzehnt nicht dafür bekannt, den schönsten Fußball auf der Insel und schon gar nicht in Europa zu spielen. Dafür waren Mourinhos Pfade zu verworren und keiner der sieben folgenden Trainer konnte sie nachhaltig verändern.

Dabei hat Abramowitsch alle erdenklichen Arten von Trainern versucht: Den Hardliner (Avram Grant), die Weltmänner (Felipe Scolari, Guus Hiddink, Carlo Ancelotti), die junge Avantgarde (Andre Villas-Boas), den Kumpeltyp (Roberto di Matteo), den Disziplinfan (Rafa Benitez).

Bei den Spielern sind von den alten Recken noch Petr Cech (31), John Terry (32), Florent Malouda (32) und Frank Lampard geblieben. Der bald 35-jährige Lamps hat sich doch nochmal einen neuen Vertrag erspielen können, war aber nicht immer erste Wahl.

Terry ist ein Dauerpatient, Malouda hat die abgelaufenen Saison im Farmteam verbummelt und kann gehen, Cech hängt der zu Atletico Madrid verliehene Thibaout Courtois im Nacken, der fast auf den Tag genau zehn Jahre jünger ist als der Tscheche. Schon bald wird Mourinho mit diesen alten Weggefährten nicht mehr rechnen können.

Torflut in Madrid

Dafür sind andere Typen gekommen. Klein, wendig, spielerisch stark, kreativ und bisweilen schwer zu führen. Eden Hazard, Juan Mata oder Oscar sollen den neuen FC Chelsea verkörpern. Spritzig und elegant statt effizient und roboterhaft. Abramowitsch würde die Reihe gerne logisch fortsetzen. Aber was will Mourinho? Und wie stellt sich das Verhältnis der beiden dar?

Es gibt Experten, die sehen Mourinhos Stil längst auf dem Weg hin zu mehr Wagnis. Als Beleg soll seine Torausbeute mit Real Madrid in den drei Jahren seines Wirkens dienen. Die war in der Tat enorm: 102, 121 und zuletzt 103 Treffer schossen die Königlichen in jeweils 38 Ligaspielen unter Mourinho.

Die Frage ist, wie viel davon auf Mous Spielstil zurückzuführen ist - und wie viel der Tatsache geschuldet, dass in der Primera Division 18 Mannschaften vor Real Madrid und dem FC Barcelona kapitulieren? Es ist jedenfalls kein Zufall, dass der Torjägerrekord in den letzten drei Jahren von Ronaldo (41 Tore) und Messi (50 bzw. 46 Tore) jeweils pulverisiert wurde.

Günstige Gelegenheit

In England sind die Verhältnisse vergleichswiese moderat. Und die Chancen für Chelsea, in der letzten Saison mit 14 Punkten Rückstand auf Manchester United ins Ziel eingelaufen, gar nicht so schlecht.

United startet mit David Moyes in die Post-Ferguson-Ära, Manchester City hat einen tollen Kader, muss aber ebenso mit einem anderen Trainer einen Neustart wagen. Der FC Arsenal ist schon seit einigen Jahren kein ernsthafter Titelkandidat mehr.

Die Gelegenheit wäre ziemlich günstig, die Orientierungsphasen der Konkurrenz kühl zu nutzen; es dürfte dafür kaum einen besseren geben, als Mourinho. Eine Rückkehr zum Fußball vergangener Tage an der Bridge ist trotzdem kaum vorstellbar.

Chelsea mittlerweile einer unter vielen Klubs

Denn auch auf anderen Gebieten haben sich die Dinge geändert. Rund 100 Millionen Euro will Abramowitsch bereitstellen für neue Spieler. Trotzdem wird sein Trainer zurückhaltender sein müssen als noch in seiner ersten Amtszeit. Das Financial Fairplay der UEFA mag noch keine völlig ausgereifte Konzeption sein, die Klubs müssen die Regeln aber im Hinterkopf zumindest vordergründig verfolgen und entsprechend haushalten.

Dazu sind die Blues anders als noch vor sieben, acht Jahren nicht mehr das einzige Kind im Sandkasten. Eine Welle steinreicher Klubeigner hat den europäischen Fußball umspült, Vereine wie Manchester City, Paris Saint-Germain oder jetzt der AS Monaco sind nur die Speerspitze spektakulär alimentierter Kontrahenten.

Selbst für Chelsea, so etwas wie der Vorreiter dieser Revolution, ist es nicht mehr so leicht, sich jeden Spieler unter den Nagel zu reißen. Zumal in Peter Kenyon auch das finanzielle Mastermind die Blues verlassen hat. Zunächst erwägt der Klub deshalb die Rückholaktion der verliehenen Courtois, Josh McEachran und Romelu Lukaku.

Mourinho: "Ich bin einer von euch"

Die Rückkehr in den Schoß seiner Familie war für Mourinho selbst aber trotz einiger ungeklärter Fragen längst beschlossene Sache. "In London war ich glücklich, und ich meine, dass die Leute mich dort mögen. Das Leben ist schön und kurz, und man muss das Beste für sich selbst suchen", sagte er schon vor einigen Wochen.

Jetzt freuen sich auch die anderen Mitglieder auf eine zweite Amtszeit mit dem 50-Jährigen. "Wir wollen den Verein voranbringen und zu weiteren Erfolgen führen, und José ist unsere erste Wahl. Wir glauben, dass er dafür der richtige Manager ist. Er war und ist eine enorm populäre Person im Klub, jeder hier freut sich, wieder mit ihm zu arbeiten", sagte Geschäftsführer Ron Gourlay am Montag.

Jose Mourinho wird seine gesamte Entourage mit in den Westen Londons bringen, seine Assistenten Rui Faria, Silvino Louro und Jose Morais. Dann soll schnell wieder alles so werden, wie es vor einigen Jahren schon einmal war. "Wir sind bereit, wieder zu heiraten und glücklich und erfolgreich zu werden", sagt Mourinho. "Ich bin einer von euch und jetzt wieder ein sehr glücklicher Mann." Von Roman Abramowitsch war bisher noch nichts zu hören.

Das ist der FC Chelsea