Die Zecke im Pelz

Von Stefan Rommel
On the run: Edelfan Liam Gallagher und die Manchester-City-Fans stehen kurz vor dem Ziel
© Imago

Manchester City hat nicht nur das Derby gegen United gewonnen und steht vor dem Ende einer sehr langen Leidenszeit - die Mannschaft von Roberto Mancini ist auch drauf und dran, die Machtverhältnisse in England entscheidend zu ändern. United und Coach Alex Ferguson müssen sich wohl auf einen unbequemen neuen Kontrahenten einstellen - der im Rausch des Sieges auch noch frech wurde.

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Szenen mit großer Symbolkraft gab es einige am Montagabend in den Eastlands. Wie Yaya Toure durch die mittellosen United-Reihen schnitt. Wie leidenschaftlich Vincent Kompany beim entscheidenden Treffer in den Ball sprang.

Wie Joe Hart nicht einen einzigen Ball halten musste. Wie Roberto Mancini dem Erfinder der Mind Games an der Seitenlinie trotzte.

Spektakuläre Wende

Manchester City hat den großen Stadtrivalen besiegt, zum zweiten Mal in dieser Saison. Der 1:0-Sieg zwei Spieltage vor Schluss bringt Roberto Mancinis Mannschaft in die komfortable Situation, die Meisterschaft wieder selbst entscheiden zu können. Ein Wunder, angesichts von acht Punkten Rückstand auf United vor wenigen Wochen.

Als der sehr gute Schiedsrichter Andre Marriner den letzten Pfiff des Abends zischte, wurde ein spektakuläres Spiel der vorläufige Höhepunkt einer spektakulären Wendung im Rennen um die Krone der Premier League.

Elf Punkte hatte United auf den Ortsrivalen in der Rückrunde gutgemacht, aus einem Drei-Punkte-Rückstand einen Acht-Punkte-Vorsprung. An Ostern hatte Sir Alex' Truppe die Meisterschaft quasi schon abgehakt. Jetzt sind beide Rivalen - der Konkurrenz längst um Welten enteilt - an der Spitze gleichauf.

City zu schnell und zu wuchtig

Die Art und Weise, wie "the noisy neighbourhood" dem Establishment an diesem Montagabend die Führung im Titelrennen entriss, war dabei ungemein beeindruckend. Gegen Citys Wucht und Akribie hatten die Red Devils kein Mittel, diesmal bekam Sir Alex draußen auf der Bank ein wenig von seiner eigenen Medizin verabreicht.

Nicht einen Gäste-Schuss aufs Tor konnten die Statistiker notieren. Zuletzt war dies vor über drei Jahren in einem Ligaspiel der Fall.

United wurde abgesehen von einer ordentlichen Anfangsphase vom Gegner in allen Belangen in seine Schranken verwiesen, das Mittelfeld mit den Veteranen Ryan Giggs und Paul Scholes hatte nicht das Tempo, um den Kontrahenten zu folgen, die Flügelspieler Nani und Ji-Sung Park wirkten wie "Jungs in einem Männerspiel" ("The Sun").

Mancini legt sich mit Sir Alex an

Wie aufmüpfig der ewige Underdog aber wirklich war, zeigte sich nach einem Foul von Nigel de Jong an Danny Welbeck. Ferguson hatte seinem Kaugummi ein paar Sekunden Pause gegönnt und sich erhoben und redete wie wild auf Mancini und den vierten Offiziellen ein.

Einen kurzen Moment standen sich beide Trainer fast Nase an Nase gegenüber, wie Toni Schumacher einst mit Schiedsrichter Dieter Pauly. Jetzt wäre für Emporkömmling Mancini eigentlich der Moment gekommen, dem 70-jährigen Ferguson etwas Demut entgegenzubringen.

Mancini erwiderte Fergusons Schimpftirade mit ein paar schnippischen Handbewegungen, äffte den erfolgreichsten Trainer der Premier-League-Geschichte frech nach.

"Wohl zu viel Whiskey"

"Er hat die ganze Zeit auf den Schiedsrichter, den Assistenten und den vierten Offiziellen eingeredet. Er hat sich die letzten Wochen oft über die Unparteiischen beschwert. Aber jetzt kann er sich nicht mehr beschweren, so viel ist sicher", sagte Ferguson nach dem Spiel - und es hörte sich an wie eine Rede, die einer seiner Kollegen über ihn angestimmt hatte.

Mancini antwortete kühl. "Ach ja, und er beschwert sich nie beim vierten Offiziellen? Beim Schiedsrichter? Niemals?"

Immerhin waren sich beide in der Einschätzung der 90 Minuten einig. "Wir haben ihren Torhüter nicht einmal geprüft", musste Fergie zugestehen, "unsere Flanken waren schwach. Wir hatten phasenweise Kontrolle über das Spiel, aber eben nicht genug." Ferguson erschien nicht auf der Pressekonferenz, seine dürren Anmerkungen sendete er via TV.

Dafür machte es sich Ex-Oasis-Frontmann und City-Edelfan Liam Gallagher auf dem Podium bequem und stichelte. "Spitzenreiter! Wie gefällt euch das?" Fergusons Disput mit Mancini erklärte er gewohnt unverschämt mit "wohl zu viel Whiskey".

Wendepunkt für die Machtverhältnisse?

Abseits der Gehässigkeiten bleibt die Tatsache, dass City vor der ersten Meisterschaft seit 44 Jahren steht. Zwei Spiele stehen noch dazwischen, bei Newcastle United und QPR. "Wenn wir jetzt denken, dass wir durch sind, ist das ein großer Fehler", gab Mancini seiner Mannschaft gleich nach dem Spiel noch mit auf den Weg.

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Dabei hat City jetzt neben dem faktischen (die deutlich bessere Tordifferenz) auch den emotionalen Vorteil auf seiner Seite. Den möglichen Titelgewinn sehen viele Experten als einschneidenden Wendepunkt auf der Insel. Über ein Jahrzehnt regierten die Top Four in England, die Machtverhältnisse im Land wären dann neu gemischt - und in der Stadt auch.

United hat dann auf mittelfristige Sicht einen neuen Kontrahenten an den Hacken. "Die lärmende Nachbarschaft wird immer lauter", ließ ein Plakat im Stadion Sir Alex und die Red Devils wissen. City gefällt sich sehr gut in der Rolle der Zecke im Pelz.

Parallelen zur Bundesliga

Sportlich sind kleine Parallelen zur Bundesliga erkennbar, besser: zu den Top Two der Bundesliga. Manchester City hat trotz milliardenschwerer Alimente aus dem nahen Osten lange gebraucht, um sich zu einem ernsthaften Mitstreiter um den Titel zu machen.

Jetzt scheinen die Citizens aber endlich dran zu sein und lassen als Gesamtpaket - mit der größten Finanzkraft und einem jungen, hungrigen Team - durchaus den Schluss zu, dass sich einiges ändern könnte in den kommenden Jahren. Und dass die mögliche Meisterschaft nicht nur ein Betriebsunfall war wie jene Titelgewinne von Stuttgart, Wolfsburg oder Blackburn.

Ein wenig erinnert das daran, wie sich Borussia Dortmund langsam an die Bayern herangeschlichen und auf nationaler Ebene nun schon zweimal überholt hat, auch wenn der Weg dahin ein gänzlich anderer war als der von City.

Der Nachbar muckt auf und will sich jetzt aus seiner 44-jährigen Agonie befreien. Auf solch unliebsame Anrainer hätte Sir Alex auf seine alten Tage doch liebend gerne verzichtet.

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