Kalt wie ein Eiszapfen, wild wie ein Berserker

SID
Roberto Mancini polarisiert: Wie geht es mit dem ManCity-Trainer weiter?
© Getty

Roberto Mancini - ein Wesen, das nicht zu greifen ist. Raphael Honigstein über den ManCity-Trainer mit bewegter Vita und zweifelhafter Reputation.

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Roberto Mancini ist derzeit Dritter in der einzigen Tabelle, in der man mit jedem Punkt etwas tiefer fällt.

Nur Alex McLeish, dem glücklosen Coach von Aston Villa, und dem designierten englischen Nationaltrainer Harry Redknapp (Tottenham) räumen die englischen Buchmacher größere Chancen ein, als nächstes ihr Amt in der Premier League zu verlassen.

Obwohl oder gerade weil man sich in Abu Dhabi sehr bedeckt über die Zukunft des Italieners in den Eastlands hält, haben City-Fans unter der Woche eine "Respect Roberto Mancini"-Kampagne gestartet. Mehr als 1300 Anhänger der Hellblauen haben bisher unterschrieben.

ManCity im Titelrennen - oder doch nicht?

"Wir wollen unsere Unterstützung zeigen", sagte Andy Savage, einer der Köpfe hinter der Petition, der "BBC". "Die Mehrheit der Fans will, dass er bleibt. Er hat bisher nicht den Respekt bekommen, den er verdient. Wir wollen, dass er mindestens bis zum Ende seines Vertrages im nächsten Sommer bei uns bleibt. Idealerweise würde er verlängern."

Rein sportlich kann sich natürlich alles noch dramatisch drehen, in mehrere Richtungen. Sollte City das kleine Wunder schaffen, und die Rivalen von Manchester United (fünf Punkte Vorsprung) doch noch überholen, könnte sich Mancini als erster Meistermacher seit 1968 die Konditionen für das neue Arbeitspapier selbst aussuchen.

"Wir müssen weiter an uns glauben und um jeden Punkt kämpfen", sagte Keeper Joe Hart, der im Gegensatz zu seinem Vorgesetzten ("Es ist vorbei") den Titel noch nicht abgeschrieben hat.

Zwischen Erfolg und Enttäuschung

Eine deutliche Heimniederlage im Derby gegen United am 30. April könnte dagegen die Stimmung drehen und den Fokus auf Citys Zusammenbruch lenken: im Oktober hatte man nach dem historischen 6:1 im Old Trafford fünf Zähler Vorsprung gehabt.

Die dritte Variante: es passiert nichts mehr Gravierendes. In diesem Fall müssten die Scheichs genau abwägen, ob die Amtszeit des 47-Jährigen als Erfolg oder Enttäuschung zu gelten hat.

Die nackten Zahlen sehen vor dem Auswärtsspiel gegen Wolverhampton am Sonntag so aus: Mancini hat von 137 Spielen bei City 81 gewonnen, 30 verloren und 26 Mal unentschieden gespielt. Eine durchaus beachtliche Bilanz. Wenn man den Gewinn des FA-Pokals und die erste Qualifikation für die Champions League im Vorjahr mit einbezieht, hat "Bobby Manc", wie seine Fans ihn rufen, schon jetzt mehr erreicht als alle Vorgänger in den letzten 44 Jahren.

Investitionen von 1,2 Milliarden Euro

Allerdings muss man den Ertrag dem absurd hohen Aufwand gegenüberstellen. Die Herrscherfamilie aus Abu Dhabi hat seit der Übernahme des Klubs im September 2008 eine knappe Milliarde Pfund (etwa 1,2 Milliarden Euro) investiert. Dafür darf man die Liga schon mal gewinnen - besonders in einem Jahr, in dem die anderen Spitzenklubs nicht gerade übermächtig wirken.

In taktischer Hinsicht war dem ehemaligen Inter-Trainer nicht allzu viel vorzuwerfen - bis auf die Tatsache höchstens, dass die Mannschaft stark von der Form von Yaya Toure abhängig ist.

Ohne den Ivorer wirkte die Superstartruppe oft wie ein "broken team", wie man auf der Insel sagt, eine Elf ohne Verbindung zwischen Abwehr und Offensive.

Mancini ein Mann der Kälte

Weder der ursprünglich für die Zentrale vorgesehene Samir Nasri noch Gareth Barry noch der überraschend schwache Nigel de Jong konnten in dieser Spielzeit den Laden zusammen halten, wenn Toure abwesend oder müde war.

Kritischer wird sein "man management" gesehen. Mancini ist ein Trainer der Distanz und der Kälte. Seine Haltung schafft Respekt, aber auch Schwierigkeiten. Sensible Spieler wie Edin Dzeko wissen nie, woran sie bei ihm sind und leiden sichtlich unter dieser Unsicherheit.

Der Trainer hat keine Geduld mit ihm - am Donnerstag lancierten englische Medien das von City gestreute Gerücht, wonach der Bosnier bei Bayern München und Borussia Dortmund im Gespräch sei.

Erst Tevez, jetzt Dzeko

Mancini moderiert seine Entscheidungen nicht, er stellt seine Kicker vor vollendete Tatsachen. Diese Handhabe macht aus Luxusproblemen mitunter echte Krisen. Der auf dem Platz stets vorbildliche, nach seinen drei Toren gegen Norwich endgültig von den Kollegen begnadigte Carlos Tevez fühlte sich von Mancinis schroffer Art schon vor der München-Affäre - der Argentinier verweigerte beim 0:2 in München im September das Aufwärmen - vor den Kopf gestoßen.

Mancini erntete für seine harte Maßnahme, den Argentinier für immer zu verbannen ("Er wird nie mehr für City spielen") breite Unterstützung, musste aber zurückrudern. Für Tevez fanden sich keine Abnehmer im Winter, aus rechtlichen Gründen durfte der Stürmer wieder in den Kader. "Was passiert ist, ist Vergangenheit, wir haben kein Problem mit ihm", sagte der Coach pragmatisch.

Mancinis' Autorität litt in diesem Fall unter Citys exorbitantem Gehaltsniveau. Tevez verdient gut 14 Millionen Euro im Jahr, selbst brave Dienstleister wie Joleon Lescott liegen bei acht Millionen. Diese Summen machen es sehr viel leichter, Spieler zu kaufen, als diese wieder loszuwerden.

"Ich liebe Mancini"

Diese Problematik erschwert auch den Umgang mit Mario Balotelli. Der 21-Jährige Italiener ist nach einer unendlichen Reihe von Skandalen und Dummheiten endgültig in Ungnade gefallen. Er werde den Stürmer "wahrscheinlich" verkaufen, kündigte Mancini nach dem 0:1 beim FC Arsenal vor zwei Wochen an.

Ob sich jemand diesen Knallkopf antun will, ist jedoch fraglich; "Balo" könnte am Ende zum zweiten "Carlito" werden: ein unverkäuflicher Spieler der ungewollten Art.

"Mir tut Leid, was passiert ist und mir tut es Leid, Manchester City und besonders Roberto Mancini enttäuscht zu haben, den ich respektiere und liebe", sagte Balotelli vergangene Woche prophylaktisch.

Balotelli: Mancinis Reinkarnation?

Mancini muss sich vorwerfen lassen, sich mit seinem Wunschspieler viele Probleme selbst eingebrockt zu haben. Balotelli schoss zwar Tore, machte mit seinem konfusen Spiel aber die ganze Truppe kirre; warum Mancini sich das knapp zwei Spielzeiten ohne größere Sanktionen gefallen ließ, bleibt sein Rätsel.

Diese Sonderbehandlung sorgte für viel Geraune in der Kabine. Vielleicht hatte Mancini einen gewissen Ehrgeiz entwickelt, den von Jose Mourinho als "untrainierbar" bezeichneten Kicker zu domestizieren.

Es könnte auch sein, dass der Trainer für seinen alten Inter-Schützling väterliche Gefühle hegt - oder sich, so irre das klingt, sogar in ihm wieder erkennt. Als Spieler war Mancini nämlich exakt einer dieser Spieler, die dem Trainer Mancini Kopfzerbrechen bereiten.

Raufereien mit Trevor Francis

Der zweifache Meister (Sampdoria, Lazio) in der Serie A war schon mit 16 Jahren Stammspieler in der Serie A und galt als Jahrhunderttalent. Doch er spielte nie bei einer Weltmeisterschaft. Azeglio Vicini, Italiens Nationaltrainer bei der WM 1990, bezeichnete er als "Blinden auf der Bank", weil er Roberto Baggio bevorzugte.

"Er hat mir seine Entscheidungen nie erklärt, er hatte nie auch nie das Herz eines Löwen", erzählte Mancini vor zwei Jahren. Als 18-Jähriger hatte er sich zudem mehrere Raufereien mit dem damals zehn Jahre älteren Sampdoria-Kollege Trevor Francis geliefert.

"Vier bis fünf Mal" habe es gekracht, gab er zu. "Danach war schnell wieder alles vergeben. Das passiert in jeder Mannschaft."

"Ein komplizierter Charakter"

Sampdoria-Mitspieler Juan Sebastian Veron, der sich heute als Freund Mancinis bezeichnet, erinnerte sich, dass ihn der Stürmer nach einer schwachen Ecke in der Kabine an den Kragen wollte. "Er wartete auf mich und hatte schon sein Oberteil abgelegt, er stand da, wie ein Kickboxer", sagte Veron, der von Kollegen vor dem Beserker gerettet wurde.

Mancini gab 2003 früher Cannabis geraucht zu haben, sein Name tauchte 2008 auch in Verbindung mit einem Drogen dealenden Schneider auf, der von der Polizei abgehört wurde.

Hinter der kühlen Fassade verstecke sich "ein komplizierter Charakter", sagte Veron.

Mourinho ein Nachfolge-Kandidat

Man darf jedenfalls gespannt sein, ob "Bobby Manc" noch eine Chance im nächsten Jahr erhält, die rote Vorherrschaft in der Stadt zu überwinden.

Der von den Medien als sein Nachfolger gehandelte Mourinho hat sich jedenfalls bisher nur selbst ins Spiel gebracht, ein City-Insider erklärte gegenüber PLI, dass "kein Kontakt" zu dem Portugiesen bestünde.

Falls Mancini die Saison einigermaßen unfallfrei über die Bühne bekommt, wird man wohl an ihm festhalten - und hoffen, dass man die ständige Unruhe in der Kabine doch noch irgendwie in den Griff bekommt.

Roberto Mancini im Steckbrief

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