Alex Ferguson: Im Gehirn eines Verrückten

Von Interview: Raphael Hongistein
Seit dem 6. November 1986 regiert Sir Alexander Chapman Ferguson bei Manchester United
© Getty

Die Grenze zwischen Genie und Wahnsinn liegt im Auge des Betrachters. Auch oder vor allem bei Sir Alex Ferguson. SPOX sprach mit "The Guardian"-Reporter Daniel Taylor, der die Red Devils seit elf Jahren begleitet und ein exzellentes Ferguson-Buch ("This is the One. Alex Ferguson: The Uncut Story of a Football Genius") geschrieben hat über den Oberteufel.
 

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Alex Ferguson: eine lebende Legende. Der 69-Jährige kann, wenn er will, unheimlich charmant sein, aber auch Spieler und Journalisten von einer Sekunde auf die andere derart zusammenfalten, dass sie durch den Türschlitz passen.

Der Manchester-United-Trainer ist, um mit Winston Churchill zu sprechen, "ein in ein Rätsel verpacktes Enigma". Wer ist dieser Mann?

SPOX: Fergusons Umgang mit den Reportern ist auf der Insel berüchtigt. Kannst Du dich noch an deinen ersten Arbeitstag erinnern?

Daniel Taylor: Ja. Er hat mir die Hand geschüttelt, aber nichts gesagt. Und er hat mich von unten bis oben gemustert. Ich war relativ glücklich, denn man hatte mir gesagt, dass ich mich auf das Schlimmste einstellen sollte. Später, als ich schon weg war, hat er einen Kollegen von "The Sun" gefragt: "Wer zum Teufel war das? Der ist kein Reporter, er sieht mehr wie der Bassist von Oasis aus."

SPOX: Das muss man wohl als Kompliment verstehen.

Taylor: So war es bestimmt nicht gemeint.

SPOX: Premier League Inside hat Sir Alex bei einer Runde für internationale Journalisten als sehr netten Onkel erlebt, der seinen Gesprächspartnern auf die Knie fasst und viele lustige Anekdoten erzählt. Ist er tatsächlich so anders, wenn er mit Euch redet?

Taylor: Nicht immer. Man weiß nie, welcher Fergie bei den wöchentlichen Pressekonferenzen zur Tür reinkommt. Es ist schon vorgekommen, dass er im Gang vergnügt singt; Kollegen haben ihn mit der Frau an der Rezeption einen stummen Walzer tanzen sehen. Am Tag, als Roy Keane den Klub verließ, ich erinnere mich noch genau, hat er humorvoll über Schottlands miese Bilanz bei internationalen Turnieren referiert. Meistens ist er merkwürdigerweise besonders schlecht gelaunt, wenn es gut läuft. Man darf ihn zum Beispiel am Freitag nicht nach dem Hattrick von Wayne Rooney am Mittwoch zuvor fragen. Das mag er gar nicht.

SPOX: Das hört sich so an, als ob im Pressezimmer von Carrington (Uniteds Trainingszentrum, Anm. d. Red.) die Angst regiert.

Taylor: Das kann man so sagen. Obwohl er bei weitem nicht mehr so heftig wie früher ist. Seit ein paar Jahren sind die Fernsehsender mit in der PK, deswegen hält sich Ferguson zurück. Meistens sagt er gar nichts. Das war zuvor anders. Man wurde regelmäßig rund gemacht, bekam dafür aber auch interessanteren Stoff. Allerdings brauchte man sehr starke Nerven.

SPOX: Zum Beispiel?

Taylor: Ein Kollege fragte Ferguson kurz vor Saisonende, ob er zur WM 2006 nach Deutschland fahren würde. Antwort: "Das geht Sie einen Scheißdreck an. Ich frage Sie auch nicht, ob Sie immer noch in diesen Schwulenbars abhängen."

SPOX: Oh. Tat Ferguson das später leid?

Taylor: Vielleicht ein bisschen. Er hat sich nie entschuldigt, aber zumindest die Fragen von dem Mann etwas ausführlicher als sonst beantwortet. Und er hat ihn eine zeitlang mit seinem Vornamen angesprochen, was sonst nie vorkam.

SPOX: Man hört immer wieder, dass er bestimmte Zeitungen oder Reporter aussperrt.

Taylor: Ja, das stimmt. Die Liste wird immer länger. Ab und zu vergibt er jemandem, aber meistens hat er ein langes Gedächtnis. Mit der "BBC" hat er ja seit 2004 nicht mehr geredet. (Der Staatssender hatte in einer Dokumentation die Rolle seines Sohnes Jason bei einigen United-Transfers beleuchtet, Anm. d. Red.) Selbst den eigenen TV-Sender "MUTV" hat er schon links liegen gelassen, obwohl die wirklich nicht die härtesten Fragen stellen. Gut ist auch die Geschichte mit dem "Daily Mirror". Ferguson hat sich jahrelang mit dem Chefredakteur Piers Morgan öffentlich bekriegt. Als Morgan weg war, trat der Sportchef des Blatts an Ferguson heran und fragte, ob er irgendetwas tun könne, um das Verhältnis zu normalisieren. Antwort: "Ja, das können Sie - indem Sie sich ins Knie ficken und sterben".

SPOX: Nice. Dich hat es ja auch erwischt. Wegen des Buches?

Taylor: Ja, ich bin seit 2007 nicht mehr zu den Pressekonferenzen zugelassen.

SPOX: Ihm hat nicht gefallen, was Du geschrieben hast.

Taylor: Nein, er hat das Buch gar nicht gelesen. Der Pressesprecher des Klubs hat für ihn eine Zusammenfassung geschrieben, die ich gesehen habe. Das Buch wurde darin als "fair und ausgewogen" bezeichnet. Ausgeladen wurde ich trotzdem. Ich habe aber kein Problem damit, die Kollegen besorgen mir die Zitate.

SPOX: Woher kommt diese grundsätzliche Antipathie gegen unseren Berufsstand?

Taylor: Ich glaube, er ist einer dieser Menschen, die Konflikt suchen, vielleicht sogar brauchen. Ich habe miterlebt, wie er Kollegen in Grund und Boden geschrien hat, wegen irgendeiner Lappalie. 30 Sekunden später war er wieder ganz ruhig. Grundsätzlich sieht er Pressearbeit als völlig überflüssig an. Vor ein, zwei Jahren hat er offen zugegeben, dass er Journalisten nicht respektiert und nicht den geringsten Wert auf ihre Meinungen legt. Wir hätten keine Werte, meinte er auch. Außerdem ist er zu einem gewissen Grad wohl wirklich davon überzeugt, dass die Medien gegen ihn und United sind. Er sieht uns als Gegner, nicht als Partner. Deswegen lügt er uns auch unverfroren an, wenn es um Verletzungen oder Aufstellungen geht. Er hat seinen Spaß daran.

SPOX: Ich habe gehört, dass er sich neulich sehr über einen Artikel von Dir über Bebe aufgeregt haben soll.

Taylor: Ich hatte geschrieben, dass Bebe von den Assistenztrainern als nicht gut genug für die Reservemannschaft eingeschätzt wurde, was auch stimmte. Ferguson beschwerte sich darauf über die "boshafte" Berichterstattung. Dabei hatte ich nicht mal erwähnt, was ein Coach mir über den Portugiesen gesagt hatte: "Es ist, als ob man den Gewinner eines Preisausschreibens sieht."

SPOX: Eines der Lieblingsthemen von Sir Alex sind ja die Schiedsrichter, die aus seiner Sicht immer gegen ihn pfeifen. Was glaubst Du, nimmt er sich selbst seine Verschwörungstheorien ab?

Taylor: Gespielt ist das nicht, man kann nicht sein ganzes Leben so eine Rolle spielen. Er geht auch zu den Spielern und sagt ihnen, dass die ganze Welt gegen United ist und will, dass sie versagen. Er glaubt das zu einem gewissen Grad tatsächlich. Allerdings weiß man es nie ganz genau. Ich erinnere mich, dass er vor ein paar Jahren zugab, Psychospielchen zu betreiben. Kurz darauf meinte er, das sei eine Erfindung der Medien. Er hat mal gesagt, dass man nicht zu versuchen braucht, in das Gehirn eines Verrückten zu schauen. Das trifft es wohl ganz gut.

SPOX: Es gibt aber auch einen anderen Ferguson.

Taylor: Absolut. Er ist ein sehr intelligenter Mann, der mit allen reden kann - vom Premierminister bis zum Sozialwohnungs-Mieter. Er hat sich mit Hilfe von Kassetten Sprachen beigebracht, spielt Piano, liest viele ernsthafte Bücher und Biographien. Bei der Beerdigung von Bobby Robson hat er aus dem Stegreif eine unglaublich bewegende Rede gehalten. Der Mann ist faszinierend. Ich würde sagen, dass er der scheinheiligste, doppelzüngigste Kerl ist, den ich kenne. Aber wenn ich die Chance hätte, fünf Leute zum Abendessen einzuladen, um mit ihnen über Fußball zu reden, wäre er ohne Frage ganz oben auf der Liste.

Die Premier League in der Übersicht

Raphael Honigstein lebt und arbeitet seit 16 Jahren in London. Für die "Süddeutsche Zeitung" berichtet er über den englischen Fußball und ist Kolumnist für die britische Tageszeitung "The Guardian". Beim früheren Premier-League-Rechteinhaber "Setanta Sports" fungierte Honigstein als Experte für den deutschen Fußball. In Deutschland wurde der 36-Jährige auch bekannt durch sein Buch "Harder, Better, Faster, Stronger - Die geheime Geschichte des englischen Fußballs". Zudem ist er als Blogger bei footbo.comtätig und auch unter twitter.com/honigstein zu finden.

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