"Sie haben kein Recht zu existieren"

Von Raphael Honigstein
Die "Stars" der Dons: Luke Chadwick (l.) und Angelo Balanta herzen sich nach einem Tor
© Getty

Da die Premier-League-Vertreter erst im Januar ins Geschehen eingreifen, erregt die zweite Hauptrunde des FA-Pokals (26. bis 29. November) in der Regel kein großes Interesse auf der Insel. Dieses Jahr ist das anders. Die Auslosung am vergangenen Sonntag hat nämlich ein emotions- und hassgeladenes Duell möglich gemacht, dass es noch nie gegeben hat: der Fünftligist AFC Wimbledon könnte auf die MK Dons, den Drittligisten von Didi Hamann treffen.

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Damit es dazu kommt, müssen die beiden jüngsten Vereine im Wettbewerb in der nächsten Woche noch ihre Nachholspiele (gegen Ebbsfleet bzw Stevenage) gewinnen. Allein die Chance auf die Begegnung im Fans' Stadium des AFC bereitet allen Beteiligten und der Polizei jedoch größte Bauchschmerzen.

"Gewalt ist nie akzeptabel, aber ich kann mir vorstellen, dass der Anblick von den MK-Fans in ihren Trikots für einige Wimbledon-Anhänger schlichtweg zuviel wäre", sagt Aled Thomas, ein Mitgründer der AFC-Treuhandgesellschaft, die den Klub führt. "Das ist kein Derby. Ein Derby spielt man gegen Nachbarn, Rivalen, Feinde sogar. Gegen Teams, die man hasst, aber insgeheim doch vermissen würde. Die MK Dons aber haben kein Recht zu existieren. Ich möchte, dass sie so schnell wie möglich pleite gehen. Ich möchte nicht, dass sie durch das Spiel gegen uns eine irgendwie geartete Legitimation erfahren."

Vinnie Jones und die "Crazy Gang"

Harte Worte. Aber durchaus verständlich, wenn man ein paar Jahre zurück blickt. Wimbledon, das war die berüchtigte "Crazy Gang" rund um Vinnie Jones, die 1988 völlig überraschend den FA-Pokal gewannen. (Jones drohte vor dem Finale gegen Liverpool Kenny Dalglish damit, dessen Ohr abzureißen und "ins Loch" zu spucken) Drei Jahre später verkaufte Klubbesitzer Sam Hammam das Stadiongründstück in Merton an einen Supermarkt.

Die "Dons" mussten bei den Südlondoner Nachbarn Crystal Palace als Untermieter einziehen. Ein norwegisches Konsortium übernahm den Verein, doch der Niedergang war nicht mehr aufzuhalten. 2002 gestattete eine Kommission der Football Association den Umzug des beinahe insolventen und mittlerweile in die zweite Liga abgestiegenen Klubs in das fast 100 Kilometer nördlich entfernte Milton Keynes, wo Pete Winkelman eine Lücke im Markt erkannt hatte. Der Musikmanager kaufte Wimbledon, verpflanzte den Verein gegen alle Widerstände in die Trabantenstadt und benannte ihn in "MK Dons" um. Englands erstes künstliches Sport-Franchise nach amerikanischem Vorbild war geboren.

Die geschockten Wimbledon-Fans erklärten ihren alten FC derweil  für tot und gründeten ihn 2003 als AFC Wimbledon in der neunten Liga wieder. Der wie im deutschen Modell zu hundert Prozent von den Mitgliedern geführte, den Gründungsstatuten nach auf ewig unverkäufliche Klub fand ein neues Stadion im Südwesten der Hauptstadt und stieg vier Mal auf. Mittlerweile ist man in der Blue Square Premier angelangt; bis zu 4000 Zuschauer sehen die Spiele im heimischen Fans' Stadium.

250 ehrenamtliche Mitarbeiter

Geschäftsführer Erik Samuelson arbeitet genau wie 250 andere Mitarbeiter ehrenamtlich. "Ein Wochengehalt von Wayne Rooney würde bei uns das Spielerbudget des ganzen Jahres abdecken", sagt er. Gerade weil der AFC für  den Triumph von "Liebe und Hoffnung über die Verzweiflung" steht, wie Langzeitfan Richard Douglas sagt, will man die Partie mit den MK Dons tunlichst vermeiden: "Ich möchte nicht an die bitteren Gefühle von damals erinnert werden."

Man sei nicht auf Revanche aus, versichert auch Samuelson, denn das Geschehene kann sowieso nicht wieder gut gemacht werden. "Falls sie kommen sollten, werde ich meinen Pflichten nachkommen, aber die Verantwortlichen nicht willkommen heißen. Sie sind nicht willkommen."

"Die MK Dons  haben unseren Verein umgebracht und den Startplatz in der zweiten Liga gestohlen", betont Thomas. Auch AFC Wimbledons ehemaliger Trainer Dave Anderson versteht die Qualen der Londoner. "Meiner Meinung nach war das, was damals passiert ist, das Fußballverbrechen des Jahrhunderts", sagte er der BBC. "Niemand hat ein Problem damit, dass Milton Keynes einen Fußballverein hat. Aber warum haben sie nicht wie alle anderen ganz unten angefangen?"

Unangenehme Erinnerungen

Bei den MK Dons hält man sich seit der Auslosung aus gutem Grund mit Kommentaren zurück. Der Verein hat in den vergangenen Jahren viel für die Stadt und seine Fans getan, gesellschaftliche Verantwortung wird dort groß geschrieben. Die Begegnung mit dem AFC würde jedoch unangenehme Erinnerungen an die wenig ruhmreiche Entstehungsgeschichte hochkommen lassen, deswegen würde man auch dort am liebsten auf das Duell verzichten.

Aus wirtschaftlichen Gründen kann freilich keiner von beiden freiwillig die Nachholspiele abschenken, denn in der dritten Runde winken bei der entsprechenden Auslosung gegen einen Großen Millionen-Einnahmen: im FA-Pokal werden die Einnahmen zwischen Heim- und Auswärtsteam geteilt.

Man darf unheimlich gespannt sein, was passiert, falls die Original-Dons tatsächlich gegen die Retorten-Version aus Milton Keynes antreten müssen. Wem  die Sympathie der neutralen Fans gehören würde, ist dagegen klar.

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Raphael Honigstein lebt und arbeitet seit 16 Jahren in London. Für die "Süddeutsche Zeitung" berichtet er über den englischen Fußball und ist Kolumnist für die britische Tageszeitung "The Guardian". Beim früheren Premier-League-Rechteinhaber "Setanta Sports" fungierte Honigstein als Experte für den deutschen Fußball. In Deutschland wurde der 36-Jährige auch bekannt durch sein Buch "Harder, Better, Faster, Stronger - Die geheime Geschichte des englischen Fußballs". Zudem ist er als Blogger bei footbo.com tätig und auch unter twitter.com/honigstein zu finden.

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