Ebbsfleet - ein verlorener Traum

Von Carsten Germann
Ebbsfleet gewann in der Saison 2007/08 die FA Trophy
© Ebbsfleet
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Sieg in Wembley, Party im Park

Der Hit: Unter Trainer Liam Daish fuhr Ebbsfleet erstmals in seiner Klubgeschichte nach Wembley. Am 12. Mai 2008 spielte der Online-Klub im Finale der FA Trophy (Amateurpokal-Wettbewerb) und bezwang Torquay United mit 1:0.

Rund 26.000 Fans aus mehr als 20 Ländern sahen in London den denkwürdigen Triumph - und feierten anschließend eine zünftige Party in einem Park. Das war im Sommer 2008. Dann kam die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise, die auch Großbritannien arg beutelte. Immer mehr Fans wandten sich ab.

"Wir haben seitdem sehr viele Unterstützer verloren", erklärt Keith Handley, "ab 2011 könnten wir richtige Probleme bekommen. "Die Euphorie, die uns anfangs getragen hat, ist weg."

Reich der puren und chaoistischen Demokratie

Im März 2010 präsentierte die Zeitung "Ebbsfleet Messenger" weitere ernüchternde Zahlen rund um Ebbsfleet. Nur 800 Mitglieder wollten bis dahin kostenpflichtig in der Community bleiben. Aus der Traum?

Der Autor Gary Andrews stellt fest: "Das schwierige wirtschaftliche Klima ist einer der Faktoren für das Ende der Online-Euphorie, 35 Pfund sind zwar nicht unbedingt viel Geld, aber viele Menschen haben sich dafür entschieden, sie anderweitig einzusetzen." Auch, weil der Charme des Projekts und das wichtigste Alleinstellungsmerkmal verloren gegangen sind.

Denn bis Dezember 2009 konnten die Community-Mitglieder auch das Team selbst aufstellen. Gerade dieses Instrument der Basisdemokratie lockte Internetnutzer aus aller Welt zu MyFootballClub.co.uk und begeisterte die Medien: "Willkommen im fantastischen Reich der puren und chaotischen Demokratie", schrieb die Zeitung "The Observer", der "Daily Telegraph" sah klar: "Die Aussicht, für einen Beitrag von 35 Pfund Fußballgott spielen zu können, ist wirklich verlockend."

"Own the Club, pick the Team"

In der Tat. "Die Fans waren begeistert", erinnert sich der ehemalige Klubchef John Moules an die ersten stürmischen Wochen, "das war etwas völlig Neues. Die neuen Teilhaber kamen aus 70 Ländern, darunter allein 7.000 aus Nordamerika, mehr als 2.000 aus Australien, einer sogar aus China."

"Own the Club, pick the Team" - "Besitze den Verein und stell das Team auf" - diese programmatische Devise ist längst Geschichte. Als Ebbsfleet Ende 2009 tief im Abstiegskampf steckte, überließ man die Nummer mit der Mannschaftsaufstellung lieber wieder Trainer Liam Daish.

Der Zusammenhalt innerhalb der Community macht für den leidgeprüften Keith Handley trotz dieser Rückschläge und trotz Abstiegs-Frust immer noch die Faszination von MyFootballClub.co.uk aus: "Es bringt einfach Spaß, Leute zu treffen, die aus der ganzen Welt zu unseren Spielen kommen", erzählt Handley, "sie kommen sogar aus Neuseeland, britische Soldaten aus Afghanistan gehören dazu, und zwei Jungs aus Süddeutschland kommen zu jeder Partie zu uns - wir sind so etwas wie die Vereinten Nationen der englischen Fußballszene."

Wie geht es weiter beim Online-Klub?

Und die "Vereinten Nationen" funken S.O.S. "Im Fanforum wurde schnell klar, dass niemand mehr so ein schwaches Jahr wie in der Vorsaison mitmachen wollte", erklärt Klubpräsident Duncan Holt, "aber um zu überleben, brauchen wir zwischen 200.000 und 250.000 Pfund."

Dabei, so Holt weiter, sei es völlig unerheblich, woher das Geld kommt - ob aus der Community oder von einem externen Investor.

"Momentan sind mir die Hände gebunden", erklärte Daish in dieser Woche im Anschluss an eine Krisensitzung mit dem Vorstand, "wir müssen sehen, welches Budget für die neue Saison vorhanden ist. Es hängt alles vom nächsten Voting der Online-Community ab. Erst danach wissen wir, wie es weitergeht." Vorhang zu und alle Fragen offen.

Cronin - Einer wie Olli Kahn

Obwohl man in Ebbsfleet derzeit eine Menge Sorgen hat, hofft Keith Handley noch auf einen Verrückten: Torhüter Lance Cronin. Der 24-Jährige, der seit 2006 mehr als 150 Spiele für Ebbsfleet gemacht hat, könnte ein Hoffnungsträger beim sportlichen Wiederaufbau sein.

"Lance ist einfach klasse", sagt Keith Handley über den Keeper, "er hängt sich immer voll rein, erinnert mich ein bisschen an Oliver Kahn. Vielleicht bleibt er ja bei uns."

Für Handley ist in Ebbsfleet spätestens seit dem besiegelten Abstieg Schluss mit lustig. "Anfangs dachten viele Leute, das Ganze sei so eine Art Online-Fußballmanagerspiel. Aber die Sache ist ernst. Wir können es uns nicht erlauben, mit der Zukunft unserer Spieler fahrlässig umzugehen." Willkommen in der Realität.

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