Die Fehler des Rafael Benitez

Von Oliver Wittenburg
Rafael Benitez übernahm den FC Liverpool 2004 aus den Händen von Gerard Houllier
© Getty

Der FC Liverpool steckt ausgerechnet vor dem Aufeinandertreffen mit Erzfeind Manchester United in der größten Krise seit langem. Die Medien sägen am Stuhl von Trainer Rafael Benitez - und haben dabei keine schlechten Argumente.

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"Liverpool vermöbelt Manchester United" titelte der "Telegraph". Das ist gerade einmal sieben Monate her. Die Reds hatten den Titelverteidiger auf dessen heiligem Rasen in Old Trafford mit 4:1 geschlagen und träumten wieder ein bisschen vom ersten Meistertitel seit 1990.

Nur vier Tage zuvor war Real Madrid Opfer der Roten geworden. 4:0 für Liverpool hieß es an der Anfield Road im Achtelfinale der Champions League. Auch dieser Sieg weckte freilich Begehrlichkeiten.

Doch am Ende ging man leer aus. Manchester United schaukelte vier Punkte Vorsprung auf die Reds über die Ziellinie der Saison und Chelsea ging als Sieger aus zwei wilden Shootouts (3:1, 4:4) im Viertelfinale des Europacups hervor.

Dennoch: Es war eine gute Saison gewesen, eine verheißungsvolle vor allem, eine, die nicht wenige Experten dazu verleitete, vor Saisonbeginn auf den FC Liverpool als kommenden Premier-League-Champion zu setzen.

Angst um den Job

Doch die Heldentaten aus dem März und die Schönwetterprognosen der Preseason sind vergessen. Liverpool befindet sich in der größten Krise seit langem und die Luft für Manager Rafael Benitez ist empfindlich dünn geworden - und die Schlagzeilen haben sich geändert.

"Ich habe Angst um meinen Job", schreibt das Boulevardblatt "Sun" in fetten Lettern. Das hat Benitez freilich nicht gesagt, doch die viel zitierten Mechanismen beginnen zu greifen.

"Wir wissen alle, dass es die Ergebnisse sind, die im Fußball zählen", sagte Benitez nach der Pleite gegen Lyon am Dienstagabend in der Champions League.

Historische Pleite droht

Das 1:2 gegen die Franzosen war die vierte Niederlage in Folge.

Am Sonntag treffen die Reds in der Liga auf Spitzenreiter Manchester United (15 Uhr im LIVE-TICKER). Eine fünfte Pleite - das gab's für Liverpool zuletzt vor 56 Jahren - hätte einen Rückstand von zehn Punkten nach nur zehn Spieltagen auf den verhassten Rivalen zur Folge.

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Rausschmiss kostet 14 Millionen

Die "Sun" will nicht nur herausgefunden haben, dass Benitez um seinen Arbeitsplatz fürchtet, sondern auch, dass es lediglich eine Frage der Kosten sei, weshalb sich die Klubspitze, namentlich Co-Besitzer George Gillett, in der Öffentlichkeit demonstrativ vor seinen Coach stellt.

Gut 14 Millionen Euro würde es den Klub nämlich kosten, wollte er den Spanier jetzt vor die Tür setzen. Schuld daran sei Benitez' Vertrag, der nur wenige Tage nach den Festspielen in Manchester im März vorzeitig bis 2014 verlängert worden war.

Gerrard- und Torres-Ausfälle kein Alibi

Die Suche nach den Gründen für den sportlichen Misserfolg bei den momentanen Ausfällen von Steven Gerrard und Fernando Torres zu beginnen, ist zwar naheliegend, aber bei weitem zu billig und oberflächlich - schließlich standen die beiden Superstars bei den Pleiten gegen Tottenham, Aston Villa, Chelsea und Florenz auf dem Platz.

Nein, die Spurensuche führt immer wieder zurück zu Rafa Benitez, der seit 2004 im Amt ist und mit dem Gewinn der Champions League am Ende seiner ersten Saison einen sensationellen Einstand feierte.

So veröffentlichte der "Guardian" eine durchaus plausible Liste mit den zehn größten Fehlern des früheren Valencia-Trainers.

Verfehlte Einkaufspolitik

Da ist das Verhältnis zu den Leistungsträgern der Mannschaft, das mit "unterkühlt" nur unzureichend umschrieben sein soll. Selbst nach dem legendären Champions-League-Triumph im Finale in Istanbul gegen den AC Mailand soll Benitez nach einem kurzen Glückwunsch sofort dazu übergegangen sein, seinen Spielern ihre taktischen Unzulänglichkeiten vorzuhalten.

Auch wird ihm verfehlte Einkaufspolitik vorgeworfen. So schaffte er es in diesem Sommer nicht, einen akzeptablen Backup für Fernando Torres an Land zu ziehen. Jetzt quäle er sich weiter mit einem Kader herum, dessen Wohl und Wehe von zwei Spielern abhängig sei.

Der Teufel steckt im Detail

Damit im Zusammenhang steht auch der Vorwurf, er habe sich im Frühjahr von den Klub-Besitzern übers Ohr hauen lassen, als diese ihm im Zuge seiner Vertragsverlängerung weitreichendere Kompetenzen bei Transfers einräumten.

Er dürfe 20 Millionen Pfund plus alles Geld ausgeben, das er durch Spielerverkäufe erwirtschafte, hieß es. Benitez muss das Kleingedruckte überlesen haben damals, denn die zusätzlichen Kosten für die aufgebesserten Verträge von Gerrard, Torres, Dirk Kuyt, Yossi Benayoun und Torhüter Pepe Reina hatte er aus seinem Budget zu tragen und - schwupps! - war das Geld weg.

Doch damit nicht genug der Fehler: Benitez stelle sich zu selten schützend vor seine Spieler im Hinblick auf Einsätze für deren jeweilige Nationalmannschaften. Er eröffne zu viele Nebenkriegsschauplätze und verschwende Energie auf Angelegenheiten, die ihn nichts angingen, wie etwa die Diskussion um einen möglichen Verkauf des Klubs.

Aufgebrachte Stimmung

Nach der Lyon-Pleite sagte Benitez einsichtig, man müsse sich von diesem Thema loslösen und sich auf die alltäglichen Aufgaben des Fußball-Geschäfts konzentrieren.

Die lauten: Schnellstmöglich sportlich die Kurve kriegen und der aufgebrachten Stimmung in den Medien und unter den eigenen Fans entgegenwirken.

Manchester United ist dafür genau der richtige Gegner. In der größten Krise seiner Ära gegen den erbittersten Feind zu gewinnen, wäre Balsam für den in die Enge getriebenen Benitez.

Aber selbst bei einem 4:1 - den Kalender auf März zurückzudrehen, wird dem Spanier nicht gelingen.

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