Der englische Harald Katemann

Von Jochen Tittmar
Gefahr droht! Stoke City's Rory Delap bei einem seiner berüchtigten Einwürfe
© Imago

Stoke City's Rory Delap wirft weiter, präziser und härter ein als so mancher einen Freistoß schießt. Woher hat der 32-Jährige diese unglaubliche Fähigkeit und wie denkt er selbst darüber? SPOX hat sich um Antworten bemüht.

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Eigentlich kennt man es ja nur so: Flanke, Kopfball, Tor. Kommt oft vor und ist im Fußball nichts Weltbewegendes. Was jedoch beim englischen Erstligisten Stoke City zu beobachten ist, darf getrost als Phänomen bezeichnet werden.

Hier geht's zum Interview mit Rory Delap

Einwurf, Kopfball, Tor lautet das Erfolgsgeheimnis des Teams von Trainer Tony Pulis. Der Verein aus den Midlands hat in Rory Delap so etwas wie früher Fortuna Düsseldorf mit Harald Katemann: eine menschliche Ballschleuder.

Der 32-jährige Delap hat in der abgelaufenen Premier-League-Saison mit seinen wahnwitzigen Einwurfgeschossen acht Treffer direkt vorbereitet und sorgt durch diese Art der Flanke auch sonst für eine Gefahr im Strafraum, wie man sie sonst nur von exzellenten Standardschützen kennt.

Moyes: The human catapult

"Er wirft mit seinen Händen präziser ein als er mit dem Fuß flanken kann", staunte Ex-Chelsea-Trainer Luiz Felipe Scolari. "Unglaublich! So etwas habe ich noch nie gesehen", war die Reaktion von Liverpools Javier Mascherano.

Nachdem Delap im Match gegen Everton (2:3) beide Stoke-Treffer per Einwurf vorbereitete, war es Toffees-Coach David Moyes, der Delap den Spitznamen gab, unter dem er in der Premier League zu einer Institution wurde: The human catapult - die menschliche Schleuder.

Doch wo kommt diese Fähigkeit her, die, wie es scheint, zumeist von mittelklassigen Spielern verkörpert wird, die sonst nicht viel auf der Pfanne haben?

Steine, Bälle, wirklich alles

"Ich habe wirklich keine Ahnung", antwortet Delap, der als einer der Leistungsträger großen Anteil am Aufstieg und somit Stokes erster Teilnahme an der Premier League hatte, im Gespräch mit SPOX.

Kaum in Englands höchster Spielklasse angekommen, ließ Delap dank seiner Einwürfe nur offene Münder auf den Tribünen des Landes zurück: Sieben der ersten 13 Stoke-Tore bereitete er vor, sechs davon per Einwurfgranate.

"A tribute to Rory Delap" - Die Einwurfschleuder im Video

Einwürfe vs. Fußball-Kunst

Prompt wurde vermeldet, dass der irische Leichtathletik-Verband Interesse signalisiere, Delap als Speerwerfer bei Olympia 2012 einzusetzen. "Ich habe von den Gerüchten gehört. Ich bin jedoch der Meinung, dass dies frei erfunden wurde", wundert er sich über die für ihn unbekannte Medienaufmerksamkeit.

"Die Anfragen gingen schon in die Höhe. Ich war eine ganze Weile ziemlich "in". Zum Glück hat sich das wieder beruhigt. Meinen Lebensstil hat es sicherlich nicht verändert", versichert der bodenständige Familienvater.

Nach diesem für Delap blitzsauber verlaufenen Liga-Start war schnell klar, worauf sich Stokes Gegner einstellen mussten: auf die Verhinderung von Einwürfen. Gunners-Coach Arsene Wenger war sichtlich angefressen, als der FC Arsenal mit 1:2 im Britannia Stadium unterlag und Delap bei beiden Treffern als Einwurfschütze assistierte. Ausgerechnet ein Team, das sonst mit dem uninspirierten, typisch englischen "long-ball game" daherkommt, hatte die hohe Kunst des Arsenal-Fußballs mit einer simplen Masche ausgetrickst: lange, brachiale Einwürfe.

Und so begann die Trainer- und Expertengilde auf der Insel sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie denn nun Delaps Geschosse zu verteidigen seien.

Training im Kraftraum? Nein, danke

Er selbst hält sich bedeckt: "Das darf ich nicht sagen - Berufsgeheimnis!", lacht er und gibt zu: "Ich trainiere es nie. Der Fitness-Trainer bei Derby ließ mich Medizinbälle werfen, um noch etwas mehr aus mir heraus zu holen. Aber mir taten dann Schulter und Nacken weh."

Auch von Zusatzschichten im Kraftraum, um eben diese Körperpartien gesondert zu stärken, will Delap nichts wissen: "Davon habe ich wirklich keine Ahnung. Ich mache auf jeden Fall nichts in diese Richtung."

Fest steht jedoch: Seine Einwürfe beschreiben eine relativ flache Flugbahn, sind mit Rückwartsdrall und hoher Geschwindigkeit unterwegs und somit oftmals präziser als ein Eckball oder Freistoß.

Geringer Winkel, hohe Geschwindigkeit

Der Grund ist recht simpel: Bei einem gewöhnlichen ruhenden Ball liegt dieser auf dem Boden. Delap - 1,83 Meter groß - wirft jedoch aus dem Stand. Der daraus resultierende Winkel und die Flugbahn machen diese Einwürfe so gefährlich.

Je geringer der Winkel, desto höher die erzielte Geschwindigkeit. Das Optimum sind zirka 20 bis 35 Grad, da die Muskeln in Armen und Rücken so angeordnet sind, dass dann die größtmögliche Kraft realisiert wird.

Weiterer Vorteil: Beim Einwurf ist das Abseits aufgehoben, so dass eine ganze Reihe an Stoke-Spielern den Strafraum und dort zumeist den Fünfmeterraum rund um den gegnerischen Torwart bevölkert, sobald Delap die Kugel in den Händen hält. Wenn der Ball hereinsegelt, muss nur noch einer den Schädel dranhalten und dem Leder eine dezente Richtungsänderung geben, schon brennt es lichterloh.

"Es ist nicht unglaublich"

Das weiß auch Delap, der sagt: "Es ist völlig egal, gegen welchen Gegner man spielt. Wenn ich den richtigen Bereich im Strafraum treffe, klappt es."

Und so hat es auch vorzeitig mit Stokes Klassenerhalt geklappt, bei dem Delaps Einwürfe erneut eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt haben. Die Premier League wird also auch in der nächsten Saison weiter ungläubig staunen und rätseln, wenn Delap zum Einwurf schreitet.

Er selbst würde es begrüßen, wenn der Hype um ihn abnehmen würde. Daher bitten wir ihn zu einer abschließenden Stellungsnahme bezüglich seiner Veranlagung: "Ich denke nicht, dass es unglaublich ist."

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