Chelseas schlechtes Gewissen

Von Torsten Adams
Manchester United und der FC Chelsea kämpfen um den Anschluss an den FC Liverpool
© Getty

Update Am 21. Spieltag der Premier League kommt es zum Duell zweier Giganten: Im Old Trafford stehen sich Manchester United und der FC Chelsea gegenüber (16.45 Uhr im LIVE-TICKER und im Internet TV). Zwei Teams auf Augenhöhe - noch. Denn Michael Ballack und Co. steuern auf eine ungewisse Zukunft zu, den Blues fehlt der Unterbau. Die Red Devils dagegen haben ihre Hausaufgaben über Jahre hinweg gemacht.

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Die Vorbereitungen auf das Duell gegen Manchester United liefen beim FC Chelsea alles andere als optimal. Im Mannschaftshotel der Blues wurden die Profis heute morgen um 7 Uhr Ortszeit von einem Feueralarm überrascht. Das komplette Hotel wurde evakuiert, 50 Minuten lang mussten die Stars draußen warten, bevor die Feuerwehr die Rückkehr auf die Zimmer erlaubte.

Im Vergleich zu den Problemen, die die Liga momentan beschäftigt, war der Feueralarm im Chelsea-Quartier nur eine Bagatelle. Die englische Premier League muss momentan die volle Breitseite der Wirtschaftskrise kennenlernen. Auf 3,1 Milliarden Euro wird die Verschuldung geschätzt, einige Traditionsvereine stehen zum Verkauf.

Vor allem im Royal Borough of Kensington and Chelsea backt man dieser Tage kleinere Brötchen. Beim ortsansässigen FC Chelsea war man gewohnt, das Geld mit vollen Händen auszugeben - und bisweilen auch aus dem Fenster zu werfen.

Chelsea-Profis: Kantinenessen aus eigener Tasche

Doch im noblen Stadtteil westlich der Themse setzen sie neuerdings rigoros den Rotstift an. Agierte der Klub bislang noch scheinbar losgelöst von wirtschaftlichen Zwängen, schlägt die aktuelle Finanzknappheit bis ganz nach unten durch: 15 Scouts wurden entlassen, die Pläne zum Um- oder Neubau des Stadions an der Stamford Brigde wurden auf Eis gelegt, Michael Ballack steht bei einer eventuellen Verlängerung seines Vertrags eine satte Gehaltskürzung ins Haus.

Weitere kuriose Indizien für die neue Bescheidenheit des einstigen Krösus des Weltfußballs:

Medienberichten zufolge soll der Klub sogar erwägen, die Profis demnächst für das tägliche Mittagessen in der Vereinskantine zur Kasse zu bitten. Zusätzlich soll Ballack, Lampard und Co. das Freikarten-Kontingent für Blues-Spiele von acht auf vier Tickets gekürzt werden.

Jahrelang schnitzte sich Öl-Milliardär Roman Abramowitsch sein ganz persönliches FC Chelsea, eine Weltauswahl mit fertigen Stars wie Andrej Schewtschenko, Michael Essien oder Didier Drogba zusammen - Geld spielte keine Rolle. Sein Engagement bei den Blues hat den russischen Oligarchen bisher rund eine Milliarde Euro gekostet.

Ferguson: Entscheider mit Weitsicht

Auch der kommende Gegner Manchester United investierte stets kräftig in neue Beine, lotste große Namen nach Old Trafford. Der entscheidende Unterschied zur Transferphilosophie der Blues: Die Red Devils legten in all den Jahren größten Wert auf innovatives Scouting, holten vielversprechende Talente bereits in jüngsten Jahren nach Manchester.

Seit gut 20 Jahren steht mit Sir Alex Ferguson ein Mann stabil an der sportlichen Spitze des Vereins, der mit Weitsicht die Transfergeschicke von ManUtd leitet. Sein Erfolgsrezept: Immer wieder investiert der 67-Jährige in den Unterbau von United.

Bereits zu Beginn der 90er Jahre propagierte Sir Alex den Jugendstil und setzte auf junge, englische, ambitionierte Spieler, als sie noch im zarten Teenager-Alter waren. Sie hießen David Beckham, Paul Scholes oder Gary und Philip Neville und sollten die Red Devils 1999 zu ihrem größten Erfolg in der Vereinsgeschichte führen - dem Sieg in der Champions League.

Tosic und Ljajic: Synonyme für Jugendstil-Philosophie

Und heute? Ferguson hält nach wie vor an seiner Jugendstil-Philosophie fest.

Jüngstes Beispiel: Für 17,2 Millionen Euro krallte sich Sir Alex die beiden serbischen Youngsters Zoran Tosic und Adem Ljajic von Partizan Belgrad. Letzterer ist 17 Jahre alt und wird ManUtd im Sommer verstärken.

Doch die beiden Serben sind beileibe nicht die einzigen Rekruten im Nachwuchslager des amtierenden englischen Meisters.

Danny Welbeck, Rodrigo Possebon oder die brasilianischen Zwillinge Fabio und Rafael stehen stellvertretend für die Nachhaltigkeit der United-Transfergebaren - und den Unterschied zum Rivalen FC Chelsea.

Franco di Santo: Streit mit Trainer Scolari

Strategieloses Einkaufen von Akteuren fortgeschrittenen Alters zu überhöhten Preisen bringt die Blues nun in eine missliche Situation: Aufgrund der finanziellen Engpässe sind in diesem Winter hochkarätige Neuzugänge unwahrscheinlich, auch wenn Trainer Felipe Scolari händeringend um einen Topstürmer bittet.

Zudem schlagen die wenigen vorhandenen Talente nicht ein. Der 23-jährige Salomon Kalou, 2006 von Feyenoord Rotterdam in den Londoner Westen geholt, stand in dieser Spielzeit bisher in mickrigen zwei Premier-League-Spielen in der Startelf der Blues. 

Franco di Santo steckt momentan mitten in einer heftigen Auseinandersetzung mit Scolari. Der 60-Jährige will den jungen Argentinier wegen "Stürmer-Knappheit" beim FC Chelsea nicht zur U-20-Nationalmannschaft reisen lassen.

"Ich habe mit Scolari geredet und er sagte, dass wir mit Didier Drogba, Nicolas Anelka und mir nur drei Angreifer im Kader hätten und er mich daher nicht gehen lassen würde", beschwerte sich der 19-Jährige im argentinischen Fernsehen und machte seinem Frust Luft: "Ich sitze eh nur auf der Bank. Ganze acht Spiele habe ich in dieser Saison gemacht - und immer nur für zehn oder 15 Minuten."

FC Chelsea: Zukunft ohne Perspektive?

Den Blues fehlt ganz offensichtlich der Unterbau. Junge, entwicklungsfähige Talente ins Team zu integrieren wurde über Jahre hinweg versäumt. Die Folgen sind unmittelbar spürbar: Die Stimmung an der Stamford Bridge ist mau. Von den vergangenen sieben Ligaspielen wurden nur zwei gewonnen, im FA-Cup blamierten sich die Blues gegen Southend United, müssen nächste Woche bei dem Drittligisten nachsitzen.

Noch viel schlimmer: Chelsea steuert durch die finanziellen Engpässe geradewegs auf eine ungewisse Zukunft zu. Zwar bewegt sich die Scolari-Truppe momentan sportlich noch auf einem ähnlichen Niveau wie die Red Devils.

Doch wie sieht es in zwei Jahren aus, wenn John Terry, Frank Lampard, Ricardo Carvalho, Didier Drogba, Nicolas Anelka, Deco oder Michael Ballack alle jenseits der 30 sind? Bei diesen trüben Aussichten sind Freikarten-Kürzungen oder selbstgezahltes Kantinenessen locker zu verschmerzende Lappalien.

Die Premier League-Tabelle