Geheimnisse eines Problemtigers

Von Carsten Germann
Dean Windass - der Stürmer-Star von Hull City führte seinen Verein in die Premier League
© Getty

Der Mann hat was durchgemacht. Die Arme sind tätowiert und in seinem kantigen Gesicht wirkt jedes seiner 39 Lebensjahre wie eingemeißelt. Dean Windass, seines Zeichens Stürmer beim englischen Sensations-Aufsteiger Hull City, japst nach jedem Sprint nach Luft und unter seinem Trikot wölbt sich ein Bierbauch.

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Eigentlich erfüllt dieser gemütliche Bursche damit das Anforderungsprofil eines englischen Thekenfußballers - nicht das eines gut bezahlten Profis in der Premier League.

Zwischen Superstars wie Michael Ballack, Didier Drogba oder Steven Gerrard wirkt der müde Krieger Windass wie ein Relikt aus der Sauf- und Raufzeit des englischen Fußballs.

Goldenes Tor mit Ansage

Aber Windass (dt.: "Windarsch") ist Kult. Bei der Eröffnung des neuen Fanshops Ende Oktober in Hulls Innenstadt wurde er von 3.000 Anhängern gefeiert.

In Hull wissen sie, was sie Windass zu verdanken haben. Mit seinem 1:0-Siegtreffer im Play-off-Spiel gegen Bristol City am 24. Mai 2008 in Wembley schoss Deano die Tigers von Hull City erstmals in ihrer 104-jährigen Vereinsgeschichte in die höchste englische Liga und sicherte dem Klub Mehreinnahmen von rund 90 Mio. Euro, die man nun in der Premier League scheffeln kann.

Es war ein Tor mit Ansage. "Als mich Trainer Phil Brown im Januar gegen Sheffield United draußen ließ", so Windass im "Guardian", "sagte ich ihm, dass ich das Tor erzielen werde, dass Hull in die Premier League bringt."

Mittlerweile relativiert Windass den goldenen Schuss. "Ich würde nicht sagen, dass das Tor gegen Bristol mein Leben wirklich verändert hat", erzählt er im Gespräch mit SPOX, "aber ich habe Hull damit wahrlich auf die Fußball-Landkarte gebracht."

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Legende? Nein, danke!

Kein Wunder: Kingston upon Hull, eine graue Industriestadt mit 250.000 Einwohnern im Nordosten Englands, gehört Umfragen zufolge nicht wirklich zu den bevorzugten Reisezielen von Großbritannien-Touristen.

Der Geniestreich des Dean Windass, eine Direktabnahme aus 16 Metern, brachte den Klub und die Stadt europaweit in die Schlagzeilen und im Stadtrat von Hull dachte man laut darüber nach, dem Typen mit der Boxernase ein Denkmal zu setzen.

Das lehnte Windass schroff ab: "Ich bin keine Legende", polterte der Fußball-Veteran, "ich mag dieses Wort nicht. Die Leute, die wirklich alles geben für ihr Land, sind unsere Soldaten im Irak. Ich bin nur ein Fußballer, der eine Menge Geld für das bekommt, was ihm Spaß macht."

Der Rummel um seine Person wurde Windass schnell zu viel. "Die Fans von Hull City sind sehr gut zu mir", erklärt er, "aber direkt nach dem Spiel in Wembley bin ich regelrecht gemobbt worden, und mittlerweile haben sich die Dinge glücklicherweise etwas entspannt."

Der Tiger vor dem Absprung

Mobbing witterte Windass auch im Verlauf dieser Premier-League-Saison. Sein Trainer, der smarte Phil Brown, setzte Windass bislang nur zwei Mal ein und schon Ende September musste ein klärendes Gespräch her.

Tor-Held Windass war zum Problemtiger geworden. Sein Ex-Arbeitgeber Bradford City, bei dem er mit 76 Toren in 216 Spielen zu einem der erfolgreichsten Spieler der Vereinsgeschichte wurde, klopfte Ende Oktober ebenso an wie der in die Drittklassigkeit abgestürzte Traditionsklub Leeds United.

Doch Leeds-Boss Ken Bates waren Windass' Gehaltsforderungen von immerhin 15.000 Euro pro Woche zu stramm. Am Ende siegte die Vernunft.

"Phil Brown hat mir die Hand gegeben und gesagt, dass ich noch eine wichtige Rolle in Hull spielen kann", erzählt Windass, "ich will um meinen Platz kämpfen und den Jungs helfen. Deshalb werde ich erstmal in Hull bleiben."

Klubchef Paul Duffen ist froh, dass der Zoff erstmal beigelegt ist. Duffen begeistert Windass' "massive Präsenz auf dem Trainingsplatz und bei Auswärtsfahrten." Duffen gegenüber der Zeitung "The Sun": "Seine Erfahrung und seine Motivation sind absolut enorm."

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Triumph für den Erbsenzähler

Dabei war für Windass eigentlich schon alles im Eimer. Bevor er im Mai in Wembley jubeln durfte, pflasterten Skandale seinen Weg.

Dean Windass, geboren am 1. April 1969 in Hull und aufgewachsen im Problemviertel Gipsyville, hat in seinem bewegten Leben nicht viel ausgelassen. "Der Junge namens Windarsch", so schrieb der Autor Matthias Paskowsky in der Zeitschrift "11 FREUNDE", "hat vermutlich nie um Spott betteln müssen."

Stimmt. Eine Bilderbuchkarriere sieht anders aus. Windass' Eltern trennten sich, als er 13 war. Er arbeitete als Maurer und füllte bei seinen zahlreichen Gelegenheitsjobs u. a. in einer Fabrik gefrorene Erbsen in Konservenbüchsen.

Dean Windass war Trinker und outete sich zudem als Bettnässer, er schlug seine Frau Helen, schwänzte Therapiesitzungen, randalierte bei Auswärtsfahrten in Hotelzimmern.

Sein Profi-Debüt gab er erst mit 22 Jahren für Hull, sein Transfer zum FC Aberdeen für umgerechnet eine Million Euro rettete die Tigers 1995 vor dem Bankrott.

Drei Rote Karten in einem Spiel

Für Aberdeen lief Windass 78 Mal auf (23 Tore) und er brachte in Schottland das Kunststück fertig, in einem Spiel gleich drei Rote Karten zu bekommen. Die erste wegen eines groben Fouls, die zweite wegen Schiedsrichterbeleidigung, die dritte, weil er nach seinem Abgang die Eckfahne ramponierte.

Bei Sheffield United sorgte Dean Windass im Jahr 2003 für einen Eklat. Als er von Trainer Neil Warnock für das Premier-League-Aufstiegsspiel gegen Wolverhampton aus dem Kader gestrichen wurde, sah sich der streitbare Stürmer das Match kurzerhand allein in einem Pub in Cardiff an.

Aus Bradford, wo Windass von 1999 bis 2001 und von 2003 bis 2007 unter Vertrag stand, musste er am Ende seiner zweiten Dienstzeit regelrecht flüchten. Aufgebrachte Fans schickten ihm nach einer Roten Karte Morddrohungen.

Dass er schließlich doch noch die Kurve bekam, verdankt er seiner Frau ("Sie hatte es satt, ständig meine Verwarnungsgelder zu zahlen") und seinem früheren Trainer Terry Venables. Der ehemalige englische Nationaltrainer holte Windass 2001 zum FC Middlesbrough in die Premier League und war seitdem einer seiner besten Ratgeber. "Das war der Wendepunkt meiner Karriere", verrät Windass.

Der Traum von der Champions League

Obwohl er lächelnd feststellt, dass sein Alter ihn "langsam einholt", denkt Windass noch nicht ans Aufhören. "Ich möchte noch eine Weile weiterspielen und dann in etwa zwei Jahren ins Trainergeschäft einsteigen", sagt Deano, der es bei mittlerweile neun Klubs auf mehr als 730 Einsätze brachte.

Insgeheim träumt der Tiger sogar von der Königsklasse. "Ich denke, dass Hull sich auf jeden Fall in der Premier League etablieren kann", so Windass, "und wer weiß, vielleicht ist sogar die Champions League für uns drin."

Jungen Spielern rät Windass, "immer an den eigenen Traum zu glauben und unnachgiebig an die Tür zu klopfen." Immer weitermachen.

Dean Windass - seine eigenartige Karriere lieferte genügend Stoff für ein Buch. Die Autobiografie "Deano - Von Gipsyville in die Premier League" erschien im Oktober 2007 - lange vor dem Aufstieg mit Hull in Englands Eliteliga. Und sie birgt offensichtlich zu viele pikante Details rund um den Windass-Clan. "Seit das Buch erschienen ist", sagt Windass mit schelmischem Lächeln, "spricht die halbe Familie nicht mehr mit mir."

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