Die Angst vor den Wohltätern

Von Carsten Germann
Premier League, Liverpool, Fans
© Getty

Der Spruch musste ja kommen. Beim Treffen der Fan-Initiative ShareLiverpoolFC lauschten die ehemaligen Fußball-Helden John Aldridge, John Barnes und Phil Thompson andächtig der Rede des Politikers Andy Burnham (38), als unvermutet Stimmung aufkam.

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Der Minister für Kultur, Medien und Sport hatte eine Spitze für seine ehemaligen Peiniger parat. "Die Typen hinter mir", scherzte der bekennende Everton-Fan Burnham, "haben mir als Kind so manche psychologische Narbe zugefügt."

In den Achtzigerjahren hatten Aldridge und seine Kollegen mit dem FC Liverpool in den Duellen mit dem Stadtrivalen regelmäßig für klare Verhältnisse an der Merseyside gesorgt.

Auf der Suche nach der Seele

Zur weiteren Vertiefung der Zaunstreitigkeiten war Burnham die Lage an diesem Abend Ende August in einem Liverpooler Kongress- und Kulturzentrum jedoch zu ernst.

Der Fußball-Politiker solidarisierte sich stattdessen mit den Mitgliedern von ShareLiverpoolFC und mit ihrer Idee, den englischen Rekordmeister aus den Händen der betagten US-Milliardäre George Gillett und Tom Hicks zurückzukaufen.

"Es ist gut, wenn die Menschen, die Vereine wie den FC Liverpool aufgebaut haben, Einfluss auf deren Zukunft nehmen", sagte Burnham, "wenn die Premier League nur noch ein Ranking der Milliardäre ist, würde das den Fußball zu einer Angelegenheit ohne Seele machen."

Diplomatie aus dem Pub

Und wer will das schon? John Aldridge (50) jedenfalls nicht. Der ehemalige Stürmerstar der Reds, der zwischen 1987 und 1989 in 83 Spielen 50 Tore für den englischen Rekordmeister erzielte, gehört seit Februar zu den prominentesten Unterstützern der Initiative.

Sein langjähriger Freund, ShareLiverpool-Gründer Dr. Rogan Taylor (63) hatte kurz zuvor den Kampf gegen die texanischen Inhaber der Reds aufgenommen.

Aldridge konnte er gemeinsam mit Phil Thompson (53) bei einer lockeren Runde in einem Liverpooler Pub für das Projekt gewinnen.

"Als ich in den späten Achtzigerjahren für den FC Liverpool spielte, war eine Situation, wie wir sie momentan erleben, absolut undenkbar", erklärt John Aldridge im Gespräch mit SPOX, "der Verein ist in großer Gefahr."

Liverpool in der Schulden-Falle

Im ersten Jahr ihrer Regentschaft haben die amerikanischen Besitzer Verbindlichkeiten in Höhe von rund 545 Millionen Euro angehäuft, von denen 157 Millionen kurzfristig beglichen werden müssen.

Auch für das neue Stadion (New Anfield), das im Sommer 2009 eröffnet werden soll, wurde Geld geliehen.

Der vierte Rang in der Liga und das Erreichen des Halbfinales in der Champions League in der vergangenen Saison waren den Amis zu wenig. Sie liefern sich lieber einen Machtkampf mit dem bei den Fans immens beliebten Trainer Rafael Benitez.

"Gillett und Hicks haben die Fans belogen", sagt Taylor, im Hauptberuf Direktor der Football Industry Groupder Universität Liverpool, "sie haben sich anfangs als Treuhänder und Wohltäter ausgegeben, dann aber jegliche Transparenz vermissen lassen."

Bayern und Schalke als Vorbilder

Als zu Jahresbeginn immer mehr Details über den Streit um Benitez an die Öffentlichkeit gelangten, hatte Taylor genug.

"Ich stellte mir die Frage, warum die Fans den Klub eigentlich nicht kaufen sollten", erklärt Taylor gegenüber SPOX, "das Internet war dafür das geeignete Medium."

Ende Januar ging die Website "www.ShareLiverpoolFC.com" online. Seitdem zählt das Projekt mehr als 10.000 offiziell registrierte Spender, weitere 18.000 Nutzer haben Interesse bekundet.

"Mich haben immer Klubs wie der FC Bayern München, der FC Schalke 04 oder der FC Barcelona beeindruckt, die von ihren Mitgliedern geführt werden", so John Aldridge zu SPOX, "es wird sicherlich nicht über Nacht möglich, den FC Liverpool zurück zu gewinnen, aber wir haben die Aufmerksamkeit der Leute und unsere Ambitionen sind seriös."

Alle Infos zum FC Liverpool finden Sie hier

Supporters Trusts: Basisdemokratie auf Englisch

Seit dem Jahr 2000 wurden insgesamt 14 englische Klubs von ihren Anhängern übernommen, mehr als 140 Fanverbände (Supporters Trusts) wurden gegründet.

Um nun den 18-maligen englischen Meister von den amerikanischen Eigentümern zurückzukaufen, sind rund 750 Millionen Euro nötig. Dafür müssten 100.000 Mitglieder von ShareLiverpoolFC Anteile in Höhe von 7.500 Euro erwerben. "Uns geht es nicht primär darum, die Leute um Geld zu bitten", sagt Rogan Taylor, "wir haben ein Vehikel geschaffen, mit dem die Rückführung des Vereins in die Hände der Fans ermöglicht wird."

Im Erfolgsfall würde der Vorstand von ShareLiverpool auch die neue Klubführung wählen lassen. "Die ganze Sache ist sehr demokratisch, und das genau macht den Charme aus", erläutert John Aldridge, "weil jeder Fan nur eine einzige Aktie erwerben kann."

Für den Klub aus seiner Heimatstadt Liverpool spielt Aldo gern den Türöffner. "Ich stehe ständig in Kontakt mit Rogan Taylor, wir schreiben täglich E-Mails und versuchen, sehr viele Menschen zu erreichen, die noch absolut nichts über ShareLiverpool wissen", beschreibt Aldridge seine Arbeit, "ich war deshalb in Irland, Norwegen und Wales unterwegs und werde unser Vorhaben sicher auch bald in Deutschland vorstellen."

Aldo und die Würfelspieler

Die Erfolgsaussichten von ShareLiverpoolFC sind dank der hohen Zahl an Unterstützern gut. Um das Mitspracherecht beim FC Liverpool wenigstens partiell wiederzuerlangen, benötigt die Gruppe rund 25 Prozent der Anteile.

"Egal, ob Gillett und Hicks den Klub verkaufen wollen oder nicht, die Eigentümer sind auf einen lokalen Partner angewiesen", sagt Rogan Taylor, "wir sind hier, wir bleiben und bei der nächsten Würfelrunde um den FC Liverpool werden wir zur Stelle sein."

Newcastle: Allein gegen die Cockney-Mafia

In Newcastle hat das große Feilschen um die Magpies längst begonnen. Die Frist für neue, potenzielle Investoren wurde bis zum 17. Oktober verlängert.

Laut BBC Sports rangeln acht Interessenten, darunter ein Firmenkonsortium aus Nigeria, um United. Noch-Eigentümer Mike Ashley will für den viermaligen englischen Meister rund 450 Mio. Euro sehen.

"Das absolute Chaos"

Für Neil Mitchell (36) vom neu gegründeten Newcastle United Supporters Club ist die Frage nach der Nationalität des neuen Eigentümers nicht entscheidend.

"Wir heißen jeden willkommen, aber momentan haben wir in Newcastle das absolute Chaos", erklärt Mitchell gegenüber SPOX, "es ist egal, ob der neue Eigentümer aus Basra oder aus Bombay kommt, das Wichtigste ist, dass der Klub sauber geführt wird."

Dem Geschäftsmann Mike Ashley, dessen Privatvermögen auf 1,4 Milliarden Pfund geschätzt wird, stellt Mitchell kein gutes Zeugnis aus: "Er ist angekommen und hat seine Freunde aus London in die entscheidenden Positionen gehievt, sein Versprechen, den Kontakt zu den Fans zu suchen, war ein Lippenbekenntnis."

Aufkleber statt Fäuste

Die sportliche Talfahrt ging in dieser Saison weiter, Newcastle stürzte auf Rang 18 der Premier League, Ashley und Sportchef Dennis Wise bekamen den Frust der Massen zu spüren.

In den Heimspielen gegen Hull City (1:2) und Blackburn (1:2) eskalierte die Situation. Rund um den St. James' Park wurden Spruchbänder wie "Cockney-Mafia raus" ausgerollt, es gab wütende Proteste der Fans - mit Handgreiflichkeiten und insgesamt 14 Festnahmen.

Angesichts solcher Jagdszenen will man sich beim Newcastle United Supporters Club die neuen Eigentümer genau ansehen. "Wir werden sehr vorsichtig sein", sagt Mitchell, "dennoch sollte jeder Investor die Anliegen der Fans respektieren, ehe er sich die Taschen voll stopft."

Für die Zukunft wünschen sich Mitchell und seine Mitstreiter seriöse Klubeigentümer und - im Falle der nächsten Krise - friedliche Demonstrationen. Bis Ashley weg ist, sollen anstatt der Fäuste 20.000 Aufkleber zum Einsatz kommen, die in den nächsten Heimspielen verteilt werden. Was darauf steht, will Neil Mitchell nicht verraten. Nur so viel: "Es ist nichts unanständiges."

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